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Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (19.06.2008)

Wien, am 19.06.2008

Schreiben von Christian M., dreifacher Familienvater

Auch Christian sitzt seit über 4 Wochen unschuldig in Untersuchungshaft. Er leidet vor allem unter der Trennung von seine geliebten Familie.

Das Schreiben von Christian aus der Gefängniszelle:

Mit heute bin ich jetzt bereits seit 4 Wochen unschuldig in Gefangenschaft. Die erste Woche war ich in der Justizanstalt Innsbruck eingesperrt, nachdem Polizeibeamte 5 stunden lang das Haus, in welchem ich mit meiner Frau und meinen drei Kindern lebe, durchsuchten und ich während der ganzen Zeit in Handschellen am Tisch in unserer Stube saß.
Am Donnerstag dem 29. Mai kam ich in die Justizanstalt Wiener Neustadt, nachdem ich von Mittwoch auf Donnerstag in der Justizanstalt Josephstadt übernachten musste.
Gegen das Gefängnis in Innsbruck, und vor allem jenes in Wien Josephstadt scheint die Justizanstalt Wr. Neustadt recht „angenehm“ – sofern es dieses Wort im Wortschatz eines Gefangenen geben kann – zu sein.
Allein vom veganen Essen, ist es hier in Wr. Neustadt um vieles besser als es in Innsbruck war. Während ich die ganze Woche in Innsbruck lediglich Schwarzbrot, und ein oder 2 mal bloßen Reis und Salat, von welchem ich die Marinade abwaschen musste, essen konnte – weil mir dort niemensch die Zutaten der Gerichte sagte und die Beamten, wie auch die Ärztin dort meine Forderung nach deklariert veganem Essen mit der Aussage: „Wir sind ja kein Wellness Hotel!“ abtaten, wird hier in Wr. Neustadt für die veganen Gefangenen aus dem Tierrechtsspektrum eigens vegan gekocht.
Heute beispielsweise gab es sogar zum ersten Mal Tofu.

Der Tagesablauf in Gefangenschaft ist im Grunde immer gleich. Um 6:00 geht das Neonlicht in der Zelle an – nicht dass es aber über Nacht völlig dunkel wäre, nein dadurch dass die Außenmauern auch in der Nacht nahezu taghell beleuchtet werden, und die Zellen weder Vorhänge noch Jalousien haben, ist es auch in der Nacht nur „dämmrig“.
Um etwa 7:00 kommt das Frühstück, schon vorher muss laut „Hausordnung §25 StvG“ das Bett gemacht werden – dort darf mensch im übrigen am Tag nur völlig angezogen und nicht zugedeckt liegen. – Das vegane Frühstück bekomme ich in einem Papiersack mit der Aufschrift „VEGANER“, meistens gibt`s Bananen, Margarine, Schwarzbrot & Marmelade.
Um etwa 8:00 werden die ersten Gefangenen zum Hofgang abgeholt – pro Tag eine Stunde, die einzige Zeit im Freien. - Während im Innsbrucker Gefängnis der Hof aber lediglich aus Asphalt und Beton, mit Blick auf Zäune, Mauern & Natodraht – bestand, wächst im Hof der Justizanstalt Wr. Neustadt Gras & sogar ein Baum, ein Vogelbeerbaum.
Montag & Donnerstag findet der Hofgang später statt, weil das sind die wöchentlichen Duschtage. Geduscht wird in Gruppen von 4-8 Gefangenen.
Beim Hofgang sind in etwa 30 Gefangene zusammen draußen, bewacht von einem Beamten in einem Wachturm und 3-4 Kameras. Die meisten Gefangenen gehen ihre Runden im Hof recht schleppend, oder sitzen nur herum und rauchen. Dadurch, dass ich an ein Leben in ständiger Bewegung und immer im Freien gewöhnt bin, d.h. bis zum Tag meiner Gefangennahme arbeitete ich jeden Tag körperlich und immer im Freien, drehe ich meine Runden beim Hofgang immer sehr schnell, und überrunde die z.T. lethargischen Mithäftlinge um bis zu 30 Runden. Ich versuche, die einzige Stunde im Freien täglich voll auszunutzen.
Der Hofgang ist die einzige Zeit am Tag wo mensch mit anderen Häftlingen, abgesehen von den Zellgenossen, zusammenkommt. Ich hab da mit Leuten zu tun, die z.T. wegen schwerem Raub, schwerer Körperverletzung v.a. teilweise sehr lange Haftstrafen absitzen. Das macht für mich die Situation, der ich unschuldig aufgrund von fadenscheiniger Verdächtigungen ein Mitglied einer „kriminellen Organisation“ zu sein, hier gefangengehalten werde, noch grotesker.

Es scheint als wäre ich der einzige Nichtraucher hier im Gefängnis.
Seit dem Tag meiner Gefangennahme am Mittwoch dem 21. Mai, hatte ich 5 verschiedene Zellgenossen. 3 verschiedene in Innsbruck und 2 verschiedene in Wr. Neustadt. Von diesen 5 waren 4 auf irgendeinem Drogenentzug, starke Raucher waren alle.

Die Zellgenossen auf Drogenentzug sind besonders belastend.
Mein derzeitger Zellgenosse beispielsweise übergab sich in der Nacht von Sonntag auf Montag durchgehend im 15 Minuten Takt, und zwar in einen Eimer im oberen Stockbett während ich unten lag.
So wenig Verständnis ich allg. für Drogen bzw. Drogenkrankheiten habe, so leid tun mir diese Leute abgesehen davon, dass natürlich auch ich dadurch stark in meinem ohnehin schon extrem beschnittenen Alltag eingeschränkt werde.
Um etwa halb 12 kommt immer das Mittagessen. Um etwa 17:00 das Abendessen. Den Vormittag verbringe ich meistens mit schreiben, lesen oder zeichnen. Zum Mittagessen sehe ich meistens etwas fern. Um 14:30 schaue ich mir immer Spongebob- Schwammkopf im Fernsehen an.

Seit einigen Tagen habe ich einen Zeichenblock & Wasserfarben hier in der Zelle. Ich male bereits ein Portrait von mir, nach dem Polizeifoto das ich von mir habe. Weiters ein Portrait von meinem Zellgenossen, der mich darum bat. Auch habe ich begonnen Portraits von meinen drei Kindern, von denen ich ebenfalls Fotos hier habe, zu malen. Seit Beginn meiner Gefangenschaft schreibe ich sehr viel, mittlerweile habe ich knapp 100 Seiten mit tagebuchmäßigen Aufzeichnungen und sonstigen Gedanken aus der Gefangenschaft. Weiters beantworte ich alle Briefe meiner Familienangehörigen & naher Bekannter. Post bekomme ich recht viel, allein diese Woche bekam ich sicher um die 10 Postkarten und 4-5 Briefe. Natürlich freue ich mich sehr über Post, besonders von meiner Frau und meinen Kindern.

Das Schrecklichste hier in der Gefangenschaft ist für mich, von meiner geliebten Frau & meinen geliebten Kindern getrennt worden zu sein. Es ist unbeschreiblich, wie sehr ich sie vermisse. Der älteste meiner Söhne ist Samuel, 10, ihm ging meine Gefangennahme derart nahe, dass er beim ersten Besuch nicht aufhören konnte zu weinen. Noah ist 5 Jahre alt, das Bild wie er mir bei meiner Festnahme aus dem Schlafzimmerfenster nachwinkt, bekomme ich nicht mehr aus meinem Kopf! Tochter Talia ist mit 2 Jahren die jüngste meiner Kinder, und speziell bezüglich meiner Beziehung zu ihr mache ich mir am meisten Sorgen. In ihrem Alter ist die Gefahr am größten, dass unsere Beziehung aufgrund dieser erzwungenen Trennung ernsthaften Schaden nimmt, worunter möglicherweise die Vertrauensbasis für die Zukunft negativ beeinträchtigt wird. Wenn ich es nicht schaffe mich richtig abzulenken, treiben mich diese Gedanken täglich in die Verzweiflung. Karin, Talia, Noah & Samuel, ich kann nicht beschreiben, wie sehr ich euch vermisse.
Abgesehen vom extremen Schmerz, nicht bei meiner Frau und Kindern sein zu dürfen, mache ich mir Sorgen um unsere Zukunft nach der Gefangenschaft. Hauptsächlich um die finanzielle.
Auch wenn meine künstlerische Arbeit – Beispiele auf www.radikalkunst.net – vom Zeitaufwand her meine Hauptttätigkeit darstellt, arbeitete ich die letzten 10 Jahre als Restaurator bei einem Archäologen.
Dort bin ich mit der Reinigung, Konservierung & Restaurierung der archäologischen Bodenfunde – vorwiegend aus dem Mittelalter – betraut.
Ich hoffe sehr, dass ich dort auch nach meiner Gefangenschaft – die ja in Anbetracht meiner Unschuld jeden Tag zu Ende sein müsste – wieder arbeiten kann.
Meine künstlerische Arbeit – die teilweise aufgrund ihrer provokanten & radikalpolitischen Themen & Aussagen, die Verdächtigungen der Staatsanwaltschaft „untermauern“ - auch nach der Gefangenschaft weiterzuführen ist natürlich verhältnismäßig problemlos. Nun ist es eben leider so – wie auch die Kunstgeschichte zeigt – je radikaler und authentischer ein Künstler & sein Kunstwerk ist, desto mehr Zeit muss aufgewendet werden um das Leben- außerhalb des Kunstmarktes zu finanzieren.
Die Kunst ansich lebt auch in der Gefangenschaft, und selbst wenn ich hier weder Werkzeug noch Material habe, um bildhauerisch zu arbeiten, so kann ich doch zeichnen, malen & entwerfen. - von meiner intensiven Schreibarbeit hier ganz zu schweigen....

Meine Zelle hier misst etwa 2,5x6 Meter, ist „eingerichtet“ mit einem Stockbett, 2 Kästen, einem Regal, einem abgetrennten Kloraum, einem Tisch, 2 Stühlen und einem Waschbecken. Es gibt ein Fenster, mit in der Mauer eingelassenen Gittern davor.
Hier auf der Zelle haben wir einen Fernseher und ein Radio, während ich die ganze Woche im Innsbrucker Gefängnis weder Fernseher noch Radio hatte, wo ich ja die ganze Woche in einer sogenannten Zulaufzelle (Nr. 140!) verbrachte.
In der Justizanstalt Wr. Neustadt befinde ich mich im „Haftraum 9“ und meine Gefangenennummer ist 91001.
Wenn Kindersendungen im Fernsehen kommen, die ich zu Hause mit meinen Kindern anschaute, kämpfe ich mit den Tränen.
Oft reichen auch Bilder von Kindern oder glücklichen Personen, um mich verzweifeln zu lassen. Manchmal lassen mich auch schon Worte wie “Familie“, „Kinder“ oder „Zuhause“ in tiefer Traurigkeit versinken.
Ich glaube, wenn ich keine Familie, keine Kinder hätte, von denen ich getrennt wurde, wäre meine Gefangenschaft viel leichter. - gleichzeitig ist die Familie ein Grund für mich, warum diese unbegründete Gefangenschaft schnellstens enden muss.
Doch bei aller Schrecklichkeit der Gefangenschaft, der Verzweiflung, von Karin, Talia, Noah & Samuel getrennt worden zu sein, bei aller Angst um die finanzielle Zukunft meiner Familie ist doch sicher, dass ich hier lebend rauskomme.
Anders als bei jährlich Millionen von nichtmenschlichen Tieren, welche nach quälender Gefangenschaft lediglich durch den grausamen Tod „Erlösung finden“.
Und gegen diese himmelschreiende Ungerechtigkeit künstlerisch & aktionistisch vorzugehen, soll eine Straftat sein?

Aus der Gefangenschaft, mit Grüßen an Karin, Talia, Noah & Samuel, Ich liebe Euch!
Chris

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