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Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (05.11.2008)

Wien, am 05.11.2008

§278a: Mitgefangen, Mitgehangen!

Sippenhaftung für NGOs bei politischen Kampagnen?

Anfang 2007 wurde vom Innenministerium eine Sonderkommission gegen den Tierschutz eingesetzt, die einige Zeit später erstmals in Österreich einen großen Lauschangriff gegen eine gesamte soziale Bewegung beantragte und durchführte. Am 21. Mai 2008 wurden 7 Büros von 6 verschiedenen Tierschutzvereinen sowie 23 Privatwohnungen von bewaffneten und maskierten Sondereinheiten der Polizei überfallen und leer geräumt. 38 Personen waren von den Zwangsmaßnahmen betroffen, 10 Personen wurden in Untersuchungshaft überstellt.

Dieser drastische Schritt wurde mit Verdacht auf §278a StGB, Bildung einer kriminellen Organisation, begründet.

Die Staatsanwaltschaft legte Telefonabhörprotokolle vor, in denen über Computerverschlüsselung und die Vermeidung offener Diskussion am Telefon, weil es abgehört werden könnte, gesprochen wurde. Weiters waren einige der bei den Hausdurchsuchungen beschlagnahmten Computer tatsächlich verschlüsselt. Zusätzlich wurden Emails als Beweismittel angeführt, die z.T. bis zu 11 Jahre alt waren und aus denen Sympathie für kriminelle Handlungen mit Tierschutzbezug hervorgehen soll. Neben dieser Evidenz ergab sich kein konkreter Tatverdacht aus den Ermittlungen:

  • Trotz jahrelangen großen Lauschangriffs wurde niemand in flagranti bei einer kriminellen Handlung erwischt oder beobachtet
  • Trotz jahrelangen großen Lauschangriffs wurde niemand dabei belauscht oder beobachtet, wie er/sie eine kriminelle Handlung geplant oder für andere organisiert hat
  • Die Hausdurchsuchungen brachten kein Material zu Tage, das für kriminelle Handlungen verwendet worden ist
  • Die zwangsweise von den Beschuldigten abgenommenen DNA-Proben sind in keinem Fall mit den DNA-Spuren identisch, die auf Tatorten krimineller Handlungen mit Tierschutzbezug gefunden worden sind

Auf Basis dieser Beweislage wurde daher von den Untersuchungshäftlingen gegen die Untersuchungshaft bis zum Obersten Gerichtshof OGH berufen. Ende Oktober schließlich wurde das Urteil des OGH erlassen: es bestünde tatsächlich auf Basis obiger Evidenz der dringende Tatverdacht auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation und die Untersuchungshaft sei daher berechtigt gewesen.

§278a StGB bestraft nicht eine konkrete Handlung, die die Gesellschaft geschädigt hat, sondern soll bereits im Vorfeld derartige Handlungen verhindern.

Es ist auch nicht die Teilnahme an einer kriminellen Schadhandlung notwendig, ja, es ist nicht einmal notwendig, etwaige TäterInnen einer Schadhandlung zu kennen. Es genügt, wissentlich eine Gruppierung zu unterstützen, von der irgendjemand derartige Schadhandlungen setzt oder gesetzt hat.

Konkret setzt sich §278a StGB aus einer Reihe von Merkmalen zusammen, die gemeinsam erfüllt sein müssen, damit von einer kriminellen Organisation gesprochen werden kann. Dazu gehört die Gründung auf längere Sicht und die Teilnahme einer größeren Zahl von Personen mit dem Ziel schwere Sachbeschädigungen zu begehen. Im Fall des Tierschutzes sieht das der OGH allein schon dadurch gegeben, dass es für den Tierschutz seit über 10 Jahren mit gewisser Regelmäßigkeit Sachbeschädigungen gibt, die den Wert von 3000 Euro übersteigen. Die Unternehmensähnlichkeit, die §278a StGB fordert, sei laut OGH schon dadurch gegeben, dass einige der Beschuldigten mit hunderten nicht Beschuldigten in einem moderierten, nicht-öffentlichen Internetforum per Email diskutiert haben, sowie durch den Umstand, dass in verschiedenen Städten durch verschiedene Personen legale Tierschutzkampagnen durchgeführt werden.

Um §278a StGB anwenden zu können, müssen jetzt noch 2 weitere Aspekte erfüllt sein: Erstens muss ein erheblicher Einfluss auf Wirtschaft oder Politik angestrebt werden. Das sei laut OGH für Tierschutz evident. Und zweitens müsste es Versuche geben, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Das wäre durch verschlüsselte Computer und Emails geschehen.

Daher sei laut OGH die Existenz der kriminellen Organisation nach §278a StGB nachgewiesen.

Betrachtet man die Argumentation des OGH und die vorliegende Beweislage, so wird rasch die Dimension dieses Urteils klar: Es genügt, dass es eine normale NGO gibt, und dass Sachbeschädigungen im Schadensausmaß von mindestens 3000 Euro zu einem ideologisch der NGO nahestehenden Thema von Unbekannten verübt worden sind, und es liegt bereits eine kriminelle Organisation vor. Für die allermeisten NGOs, die politische Kampagnen fahren, gilt nämlich automatisch,

  • dass sie auf längere Zeit angelegt sind,
  • dass sie eine größere Zahl von Personen umfassen,
  • dass es eine gewisse Organisations- und Infrastruktur gibt,
  • dass man sich konspirativ verhält (um InformantInnen, AktivistInnen und zukünftige Aktionen nicht zu gefährden) und
  • dass das Ziel eine Einflussnahme auf Wirtschaft oder Politik ist.

Um §278a StGB anzuwenden fehlt also nur noch eine kriminelle Handlung geographisch in etwa in der Gegend, in der die NGO aktiv ist, und mit in etwa einer ideologischen Begründung, die der der NGO zugrundeliegenden Ideologie nahekommt.

In praktisch allen sozialen Bewegungen wird das der Fall sein. Damit ist durch das OGH-Urteil der Umstand gegeben, dass in jeder sozialen Bewegung und insbesondere in jedem Bereich, in dem eine NGO politisch aktiv ist, schon die Existenz einer kriminellen Organisation anzunehmen ist. Diese kriminelle Organisation ist aber nicht mit der NGO identisch. Das macht auch das OGH-Urteil deutlich. Vielmehr ist das so zu sehen, dass die Infrastruktur der NGO von der kriminellen Organisation verwendet wird.

Ist einmal das Bestehen einer kriminellen Organisation auf diese Weise gesichert, so wird die bloße Mitgliedschaft bereits mit mindestens 6 Monaten und bis zu 5 Jahren Haft strafbar.

Abgesehen davon kann §278a StGB jederzeit für große Lauschangriffe, Hausdurchsuchungen und Untersuchungshaft als Begründung herangezogen werden. Dafür ist es nicht notwendig, auch nur irgendeine konkrete kriminelle Handlung wie eine Sachbeschädigung irgendeiner Person nachzuweisen oder zu beweisen, dass sie im Umfeld einer NGO getätigt worden sein muss. Wer konkret die Straftaten ausführt ist unerheblich. Ebenso, ob die Mitglieder davon wissen, wer oder wann konkret welche Straftat gesetzt hat.

Mitglied wird man allein dadurch, dass man eine an sich legale Unterstützungshandlung setzt, im Wissen, dass es eine derartige kriminelle Organisation gibt, d.h. dass es zu Sachbeschädigungen kommen wird – von wem auch immer. Derartige Unterstützungshandlungen können jetzt legale Demonstrationen sein, oder Hilfe für die NGO, ihre Computer zu verschlüsseln, oder die Ausbildung von NeuaktivistInnen für legale Kampagnen usw. Mit anderen Worten:

Mitglieder bzw. AktivistInnen einer NGO machen sich nach §278a StGB bereits dann strafbar, wenn sie eine legale Kampagne unterstützen, aber gleichzeitig wissen oder wissen müssten, dass irgendwann irgendwer irgendwo für diese oder ähnliche Kampagnen eine kriminelle Handlung mit einem Sachschaden von mindestens 3000 Euro setzen wird.

Diese Wissentlichkeit wird ebenfalls leicht erfüllt. Einerseits müssten NGOs von vergangenen strafbaren Handlungen in ihren sozialen Bewegungen wissen und daher von zukünftigen ausgehen. Andererseits können Sympathiebekundungen für derartige Handlungen als Argument für die Wissentlichkeit herangezogen werden. Aber selbst die bloße Hilfe bei Computerverschlüsselung – was offenbar laut OGH nur zu kriminellen Zwecken geschehen kann – reicht schon aus.

Das ist die Lesart von §278a StGB, die einem nach dem Urteil des OGH aufgezwungen wird. §278a StGB wird dadurch zu einem Gesinnungsdelikt, zu einer unglaublich schlagkräftigen Waffe gegen außerparlamentarische politische Arbeit.

Praktisch alle sozialen Bewegungen, alle NGOs und alle legalen Kampagnen sind der Staatswillkür ausgeliefert.

Gegen wen dann wirklich vorgegangen wird, ist dem Innenministerium überlassen. Sollte eine soziale Bewegung eine echte Veränderung in der Gesellschaft bewirken, wie das der Tierschutzbewegung zunehmend gelungen ist, dann kann sie auf diese Weise zerschlagen werden. Es ist ein altbekanntes Rezept von Geheimdiensten, sich an die legal agierenden und die Sympathie der Öffentlichkeit für ihre Sache gewinnenden Gruppierungen zu halten. Gerade diese Gruppierungen sind nämlich wesentlich einflussreicher als etwaige Verzweiflungshandlungen von EinzeltäterInnen oder Kleinstgruppen mit Sachbeschädigungen. Letztere fallen politisch überhaupt nicht ins Gewicht, und werden so von der Behörde instrumentalisiert, um die eigentlichen politischen GegnerInnen, die erfolgreichen NGOs, zu zerschlagen.

Bemerkenswert ist aber auch an dieser Lesart von §278a StGB, dass so kriminelle Handlungen durch das altbewährte Konzept der Sippenhaftung hintan gehalten werden sollen. Wenn man der TäterInnen nicht habhaft werden kann, dann hält man sich an jene, die diesen ideologisch nahestehen, auch wenn sie völlig legal und offen agieren. Mitgefangen, mitgehangen. Vielleicht erwartet man so auch, dass diejenigen, die die Sachbeschädigungen setzen, davon Abstand nehmen werden, weil sie Racheaktionen des Staates gegen jene nicht verschulden wollen, die zwar nichts getan haben, aber allein schon durch ihre ideologische Nähe zu den TäterInnen willkommene Opfer sind.

Die Grundsatzfrage an die Gesellschaft ist daher, ob sie einen §278a StGB dieser Auslegung ernsthaft für richtig hält.

Sollen außerparlamentarische politische Kampagnen, in deren Verlauf auch Aktionen des Zivilen Ungehorsams gesetzt werden, wirklich unterbunden werden oder muss eine lebendige Demokratie nicht eher derartige Kampagnen und Aktionen allein schon deshalb tolerieren, weil sie für die Gesellschaft ein unabdingbar wichtiges Korrektiv gegen Machtkartelle und schrankenlosen Kapitalismus darstellen? Ist es moralisch gerechtfertigt und demokratiepolitisch vertretbar, das schon längst überwunden geglaubte Konzept der Sippenhaftung wieder zum Leben zu erwecken?

Oder sollte §278a StGB nicht vielleicht grundsätzlich abgeschafft werden?

Zumindest die Bestrafung einer reinen Mitgliedschaft, immerhin wurde damit ja überhaupt keine strafbare Handlung gesetzt. Oder man reduziert die Anwendbarkeit des §278a StGB auf Fälle, in denen in einem sehr großen Ausmaß die Sicherheit der Gesellschaft bedroht ist, weil nur dann derartig drastische Maßnahmen wie die Bestrafung von Mitgliedschaft mit 5 Jahren Gefängnis gerechtfertigt sein könnten. In den 182 Fällen, in den bisher seit Bestehen dieses Paragraphen Menschen danach verurteilt wurden, handelte es sich fast ausschließlich um ethnisch einheitliche Gruppen von MigrantInnen, und um angeblichen Drogenhandel. Die Zusammengehörigkeit, die im Fall der sozialen Bewegungen durch eine gemeinsame Ideologie konstruiert wird, war in diesen Fällen durch eine gemeinsame Herkunft gegeben.

Die Anwendung von §278a StGB gegen NGOs und soziale Bewegungen ließe sich auch abwenden, wenn §278a StGB nur im Falle einer Bereicherungsabsicht gültig wird. Echte kriminelle Organisationen auf Basis ideologischen Idealismus‘ wären sowieso schon durch den „Terrorismusparagraphen“ §278b StGB abgedeckt. Man könnte auch statt einem allgemeinen Verbot krimineller Organisationen, verschiedene Verbote für verschiedene konkrete Deliktbereiche wie Menschenhandel, Waffenhandel oder Drogenhandel schaffen.

Solange §278a StGB nach diesem Urteil des OGH weiterbesteht, ist jedenfalls jede soziale Bewegung und jede NGO in Gefahr, mit Staatsgewalt zerschlagen zu werden.

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