Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (05.11.2010)
Wien, am 05.11.2010UN-Artenschutzkonferenz 2010 zu Ende
Totale Blamage in letzter Sekunde abgewendet, vieles ungelöst, Erfüllung der Ankündigungen abzuwarten
In letzter Sekunde gelang auf der UNO-Naturschutzkonferenz im japanischen Nagoya, was fast unmöglich schien. In einem Minimalkonsens bewahrte man die Konferenz vor einer totalen Blamage, wenn das Ergebnis artenschutzpolitisch auch nicht weltbewegend ist und jedenfalls nicht das berühmte Ende der Fahnenstange sein kann. Insbesondere wird abzuwarten sein, ob die erzielten Einigungen auch wirklich umgesetzt werden, oder ob sie sich als bloße Absichterklärungen und Lippenbekenntnisse herausstellen werden.
Die 193 teilnehmenden Vertragsstaaten einigten sich – wenn auch vorerst noch etwas vage - in den drei Zielen Artenschutz, naturgemäße Nutzung und gerechte Verteilung. Der Verlust der Artenvielfalt soll bis zur ominösen Jahresfrist 2020 gestoppt werden.
Viele PolitikerInnen und LobbyistInnen und auch manche Umweltverbände sehen einen großen Fortschritt in dem vereinbarten Papier. Andere Umwelt-NGOs sind skeptisch und verweisen darauf, dass man in vielen Bereichen von zufrieden stellenden Lösungen und dem viel zitierten „ambitionierten Rettungsplan“ zur Erhaltung der biologischen Vielfalt noch weit entfernt sei. Nach wie vor fehlt es in vielen Bereichen an verbindlichen Standards, Fragen der konkreten Finanzierung von Schutzgebieten beispielsweise seien ungeklärt geblieben.
Naturschutzgebiete ausgeweitet
Am 29.Oktober abends hatten sich 193 Staaten im japanischen Nagoya nach schwierigen Verhandlungen doch noch auf ein Abkommen zum Erhalt der Artenvielfalt geeinigt, dass als Ziel das Setzen „wirkungsvoller und dringender Maßnahmen“ anführt, um bis 2020 eine weitere Abnahme der Artenvielfalt zu verhindern und dem Erhalt und der Wiederherstellung der Ökosysteme zumindest noch eine Chance zu geben.
Kernpunkte der Einigung sind die Ausweitung der Naturschutzgebiete auf 17 Prozent der Landfläche der Erde und zehn Prozent der Ozeane, um insbesondere Regenwälder und Korallenriffe vor der Zerstörung zu bewahren. Bislang standen nur 13 Prozent des Landes und ein Prozent des Meeres unter Schutz. Zusätzlich hat man sich vorgenommen, ebenfalls bis zum Jahr 2020 15 Prozent der beschädigten und bedrohten Ökosysteme wieder herzustellen und die Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen, Wälder und Meere nachhaltig(er) zu gestalten.
Verhandlungsinitiative Japans entscheidend
Eine besondere Reibungsflächen stellten Interessenunterschiede zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern dar, ein Erfolg der Verhandlungen hing stark ab von einem sogenannten Access-and-Benefit-Protokoll zum gerechten Vorteilsausgleich bei der Nutzung von biologischen Ressourcen, das heißt zur gerechten Verteilung der Gewinne aus diesen. Entwicklungsländer und aufstrebende südamerikanische Staaten wie Brasilien hatten ihre Zustimmung zu dem 20-Punkte-Plan von der Verabschiedung dieses ABS-Protokolls abhängig gemacht.
Dieses soll nun gewährleisten, dass Unternehmen für die Nutzung biologischer bzw. genetischer Ressourcen einen Teil ihrer Gewinne an die Herkunftsländer abgeben – konkret beispielsweise für die Verwendung von endemischen bzw. regionsspezifischen Pflanzen bei der Produktion von Medikamenten. Chemie- und Pharmafirmen müssen also künftig die Herkunftsländer an den Profiten beteiligen, wenn sie deren natürliche Ressourcen nutzen.
Einigung in letzter Minute
Wieder
hatte ein einigungs- und entscheidungsloses
Ende und ein Verhandlungsdebakel wie
in Kopenhagen gedroht.
Die Einigung gelang durch einen Last-Minute-Coup,
den die japanischen Gastgeber und KonferenzteilnehmerInnen
landeten, die mit einem eigenen Entwurf
einen Kompromiss in letzter Sekunde doch
noch möglich machten.
Spannungsfeld Wirtschaft – Umweltschutz
Wie selten zuvor hat die Konferenz zur Diskussion und teilweise Klärung eines grundsätzlichen Themas geführt: dem Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Umweltschutz.
Dabei wurden nun erstmals und unverhohlen von bestimmten VertreterInnen offen Forderungen auf den Tisch gelegt, die eindeutig darauf abzielten, die Umwelt respektive den Umwelt- und Artenschutz hochoffiziell der WTO unterzuordnen.
Dieses Ansinnen konnte in dieser Drastik von anderen VerhandlungsteilnehmerInnen verhindert werden.
Ziele schon einmal nicht eingehalten
Bei aller Euphorie über und Vorschusslorbeeren
für die Verhandlungsteilerfolge sollte
aber nicht vergessen werden, dass sich
die internationale Gemeinschaft bereits
einmal dazu verpflichtet hatte, den
Verlust der Artenvielfalt zumindest
deutlich zu bremsen.
Eigentlich hätten diese Maßnahmen gerade
bis heuer – 2010 – schon greifen sollen.
Dass die Vereinten Nationen mit diesem
Ziel aber weitgehend gescheitert sind,
räumte auch der Chef der UNO-Konvention
über Biologische Vielfalt, Ahmed Djoglaf,
freimütig ein. Kein einziges Land habe
dieses Ziel erreicht.
Fehlende Finanzierungsbereitschaft der Staaten
In der Analyse, dass die bis 2010 gesetzten Zielsetzungen nicht erreicht wurden, stellte sich heraus, dass die erforderlichen Mittel gefehlt haben, da sich zahlreiche nationale Behörden mangels umweltpolitischen Willens oft wenig um die biologische Vielfalt gekümmert und die notwendigen Finanzierungen verweigert hätten.
Weitgehend offen blieb in Nagoya die Frage, wie viel Geld benötigt wird, um den Zielkatalog bis 2020 auch wirklich umzusetzen. Forderungen in Höhe von mindestens 30 Milliarden bis zu 300 Milliarden Euro pro Jahr standen im Raum. Bis zur nächsten Artenschutzkonferenz 2012 in Indien wird zu ermitteln sein, wie viel zusätzliches Geld noch benötigt wird und wo dieses herkommen soll.
Ralph Chaloupek vom VEREIN GEGEN TIERFABRIKEN: „Das Maßnahmenpaket der UNO-Naturschutzkonferenz ist also geschnürt – jetzt kann man nur hoffen, dass seine Zielsetzungen und Übereinkünfte auch wirklich umgesetzt werden und bei den Folgekonferenzen weiterreichende Beschlüsse gefasst werden.
Für Tier- und Naturfreunde sowie für Arten-, Umwelt- und Tierschutzorganisationen ist jedenfalls ein aufmerksames Beobachten der Entwicklungen angesagt, auch in Österreich, wo der Umweltminister sich nicht gerade als Vorkämpfer für die biologische Vielfalt und den Schutz der Arten hervor getan hat, betrachtet man nüchtern seine Performance bei der jüngsten Konferenz wie auch in der heimischen Artenschutzpolitik.
Was der Individualtierschutz für das Einzeltier bedeutet, ist der Artenschutz für die Erhaltung der Vielfalt der Spezies der Tiere und die langfristige Sicherung des Überlebens der Tierarten. Nur mit konsequenten Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der wildlebenden Fauna und Flora kann es uns gelingen, die wunderbare Tier- und Pflanzenwelt auch für künftige Generationen zu erhalten!“