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Wien, am 10.07.2024

Die Jagd darf nicht vom Tierschutzgesetz ausgenommen sein

Dr. med. vet. Erik Schmid wünscht sich geeignete, geschützte und zusammenhängende Lebensräume für alle Wildtiere, auch im Sinne des Klimaschutzes.

Über den gesellschaftspolitischen Anachronismus des Ausschlusses der Jagd aus dem Tierschutzgesetz, den Umgang mit der Rückkehr des Wolfes, die Tötung von Freigänger-Katzen sowie den Einfluss der Jägerschaft auf politische Entscheidungen haben wir mit dem pensionierten Amtstierarzt und Leiter der Veterinärabteilung im Bregenzer Landhaus und ehemaligen Tierschutzombudsmann gesprochen. Dr. med. vet. Erik Schmid ist Fachtierarzt für Tierhaltung und Tierschutz und Vorsitzender der gleichnamigen Prüfungskommission sowie Gerichtsgutachter. Der Mitbegründer des Vereins Tierschutz macht Schule ist auf vielen Ebenen ein Kämpfer für die Rechte der Tiere.

Wie stellt sich Ihre Haltung als Fachtierarzt zur Jagd dar?

Als Fachtierarzt für Tierhaltung und Tierschutz habe ich vom überaus großen Spektrum der tierärztlichen Tätigkeiten den Bereich Tierschutz bewusst gewählt. Das Tierschutzgesetz soll alle Tiere vor unnötigen Schmerzen, Leiden, Schäden, aber auch vor großer Angst schützen und der Tierschutz steht im Verfassungsrang. Leider ist die Ausübung der Jagd vom Gültigkeitsbereich des Tierschutzgesetzes ausgenommen. Das ist für mich ein gesellschaftspolitischer Anachronismus. Es kann nicht sein, dass sich eine kleine Gruppe der Gesellschaft für die Ausübung ihrer Interessen die eigenen Regeln macht und das auch noch in jedem Bundesland unterschiedlich. Hier braucht es wie in allen Bereichen der Tiernutzung bundesweit einheitliche Regelungen zum Schutz der Tiere.

Welche jagdlichen, tierschutzrelevanten Fälle haben Sie besonders berührt?

Man sollte bei keiner gesellschaftlichen oder beruflichen Gruppe von Einzelfällen auf die Allgemeinheit schließen. Ich habe zwei Berufskollegen, die zur gleichen Zeit die Jagdprüfung gemacht haben. Bei einem hat die Leidenschaft zur Jagd Ausmaße angenommen, die seine Objektivität in der Berufsausübung definitiv gefährdet und mit einem beruflichen Selbstverständnis im Sinne einer Anwaltschaft für die Tiere definitiv unvereinbar ist. Das oft genannte Motiv der Lust am Töten ist für mich nicht von der Hand zu weisen und moralisch inakzeptabel.

Inwiefern kann die Weidgerechtigkeit dem Tierschutz Rechnung tragen?

Bei Weidgerechtigkeit handelt es sich um einen klassischen unbestimmten Rechtsbegriff, der sehr von Tradition und Ritualen geprägt ist. Kleine Gruppen können innerhalb der Gesellschaft durch einen selbst auferlegten Ehrenkodex berufliche Autonomie erlangen. Das gilt für Bäuer:innen, Tierärzt:innen und Jäger:innen. Die selbst definierten moralischen Werte müssen dabei aber deutlich über den gesetzlichen Mindestnormen liegen und dürfen keine Ausnahmen oder gar Widersprüche legitimieren.

Inwiefern widerspricht das Selbstverständnis von Tierärzt:innen der Weidgerechtigkeit?

Dieser Widerspruch ergibt sich schon begrifflich. Tierärzt:innen sind in ihrem beruflichen Selbstverständnis gegenüber den Tieren, deren Lebenserhalt und Wohlergehen, also der Tiergerechtigkeit verpflichtet. Die Weidgerechtigkeit hat die Einhaltung gewisser Regeln und Rituale bei der Tötung von freilebenden Wildtieren zum Inhalt. Während die Ansprüche zum Nachweis des gesetzlich geforderten vernünftigen Grundes zur Tötung eines Tieres im Heimtierbereich immer steigen, spielen sie offensichtlich bei Nutztieren und bei der Jagd keine Rolle. Bei der Hobby- und Trophäenjagd ist er definitiv nicht gegeben.

Welche Missstände müssen in der Jagd reformiert werden? Wo sehen Sie die Hauptprobleme?

Das Hauptproblem ist die geltende Rechtslage mit den unterschiedlichen Landesjagdgesetzen und der traditionsgeprägten und anmaßend in Anspruch genommenen Deutungshoheit der Jagd über die Wildtiere. Die freilebenden Wildtiere sind herrenlos, sie gehören, solange sie leben, niemandem, deshalb wäre der Staat für ihr Wohlergehen verantwortlich. Mit der Bindung des Jagdrechtes an den Grundbesitz erwirbt der/die Jäger:in die Lizenz zum Töten und zur Aneignung des (jagdbaren) Wildes. Den Auftrag zur Hege des Wildes hat sich die Jägerschaft nicht uneigennützig selbst erteilt, u.a. zur ethischen Rechtfertigung der Hobbyjagd. In der Schweiz ist der Staat Inhaber des Jagdrechtes, deshalb ist die staatliche Lenkung der Jagd trotz Kantönligeist deutlich besser als in Österreich.

Welche Inhalte der Landesjagdgesetze und Verordnungen halten Sie für nicht mehr zeitgemäß?

Es gibt etliche jagdliche Gepflogenheiten, die nicht nur bei mir, sondern in großen Teilen der Bevölkerung zunehmend auf Unverständnis und Ablehnung stoßen. Die Fallenjagd, die Gatterjagd, die Baujagd, das Aussetzen von Wildtieren zum nachfolgenden Abschuss bei Treibjagden und das Abschießen von Hunden und Katzen sind alles Praktiken, die eine kritische Haltung dazu geradezu herausfordern.

Welche Vorgehensweise halten Sie im Umgang mit der Rückkehr des Wolfes für lösungsorientiert?

Auch hier wäre die Schweiz ein gutes Beispiel. Die Schweiz ist nur halb so groß wie Österreich, hat gleich viele Einwohner und ist als Gebirgsland geografisch durchaus vergleichbar. Mit über 30 Rudeln und ca 300 Individuen gibt es aber viel mehr Wölfe als in Österreich. Selbstverständlich gab und gibt es auch in der Schweiz Probleme mit Nutztierrissen und Bedenken der Landwirtschaft. Die Lösung lautet professioneller Herdenschutz mit Behirtung, gelenkter Weideführung, Herdenschutzhunden und Nachtpferchen. Das ist sehr aufwändig, aber es funktioniert. In Österreich lehnt die offizielle Landwirtschaft den – gesetzlich vorgeschriebenen – Herdenschutz a priori als undurchführbar und unzumutbar ab und fordert einen wolfsfreien Alpenraum, der mit geltendem EU-Recht selbst bei Lockerung der FFH-Richtlinie unvereinbar ist.

Ist die Wildtierfütterung tierschutzrelevant?

Ich beziehe mich hier auf die weit verbreitete Rotwildfütterung. Diese ist in mehrfacher Hinsicht tierschutzrelevant. Erstens ist es vollkommen unnatürlich, Wildwiederkäuer, die im Winter seit Jahrtausenden verdauungsphysiologisch auf Sparflamme als Überlebensstrategie ausgerichtet sind, in dieser Zeit mit Kraftfutter zu versorgen. Durch die Massierung von vielen Tieren an den Futterstellen und den Fütterungsstress kommt es darüber hinaus zur Übertragung von ansteckenden Krankheiten (Parasiten, TBC). Letztlich verursacht die Überhege einen überhöhten Wildbestand, der Waldschäden zur Folge hat. Dann werden höhere Abschusspläne verordnet, die wiederum zunehmenden Jagddruck verursachen. Selbst verursachtes Tierleid in der Endlosschleife.

In Oberösterreich und Tirol sind Jagdschutzorgane befugt, Katzen, die in Fallen gefangen wurden, zu töten. Aktuelle Fälle von in Fallen gefangenen und anschließend getöteten Katzen zeigen die Grausamkeit dieser legalen Jagdpraxis auf. Können Jäger:innen zwischen Haus- und verwilderten Hauskatzen, die in einer Falle gefangen sind, unterscheiden?

Ohne individuelle Kennzeichnung und Registrierung aller Katzen mit Mikrochip (wie bei Hunden und Pferden) ist das schlicht und einfach unmöglich. Mal ganz abgesehen von der grundsätzlichen Problematik der Fallenjagd und Tötung von Freigänger-Katzen ohne vernünftigen Grund.

Wie stellt sich der Einfluss der Jägerschaft auf politische Entscheidungen dar?

Der kann wohl nicht hoch genug eingeschätzt werden. Früher wurden Geschäfte auf dem Golfplatz gemacht, heute auf der Jagd. Aktuell sind gleich mehre Fälle medial virulent, die den netzwerkartigen Lobbyismus der Jagdgesellschaft dokumentieren.

Wie kann es gelingen, das Wirtschaftssystem Jagd umzustellen und vom Grundeigentum loszulösen?

Dazu bräuchte es eine Änderung der Verfassung und eine 2/3-Mehrheit im Parlament. Das halte ich angesichts der Tatsache, dass dort deutlich mehr als 1/3 Jäger:innen und Jagdgäste sitzen, auch nach den Wahlen für illusorisch.

Welchen Prozess erhoffen Sie sich vom Volksbegehen für ein Bundes-Jagdgesetz?

Ein Nach- und Umdenken in breiten Teilen der Gesellschaft. Mehr geeignete, geschützte und zusammenhängende Lebensräume für alle Wildtiere, auch im Sinne des Klimaschutzes.

Vielen Dank für das Interview.

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