Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (15.04.2009)
Tierschutz - eine kriminelle Organisation?
Die Polizei hat ihre Ermittlungen gegen den Tierschutz nach 2 1/2 Jahren mit Abschlussberichten beendet, die jetzt vorliegen.
- Intention des Abschlussberichtes
- Hintergrund der Abschlussberichte
- Zusammenfassung der Ermittlungsergebnisse
- Kampagnen der "kriminellen Organisation"
- Eine kriminelle Organisation?
- Ein politischer Prozess
- Nach „Ende“ der polizeilichen Ermittlungen – Wie geht es weiter?
- Schlussfolgerung
Kompletter Abschlussbericht von DDr. Martin Balluch mit Kommentaren
Kommentierter Abschlussbericht einer Mitarbeiterin des VGT
Intention des Abschlussberichtes
Die Berichte der Polizei sind vollkommen einseitig gehalten und unseriös: nicht die Aufklärung spezifischer Straftaten ist hier das Motiv, sondern die Suche nach gefährlich klingenden Aussagen oder Handlungen, um den politischen Gegner in ein schiefes Licht zu rücken. Zu diesem Zweck wird entlastendes Material verheimlicht und belastendes Material bis zur Unkenntlichkeit und Unwahrheit aufgebauscht.
Zwar ist den Akten bspw. zu entnehmen, dass 4 Lauschangriffe stattgefunden haben, aber im Abschlussbericht ist nirgendwo das Ergebnis erwähnt, dass nichts Verdächtiges beobachtet werden konnte. Dass dieses Ergebnis die Vermutung nahelegt, dass die Bespitzelten eben unschuldig sind, kommt der Polizei ungelegen, und deshalb wird der ganze Lauschangriff in den Abschlussberichten verschwiegen. Ähnlich verfuhr die Polizei mit den Ergebnissen der Peilsenderortungen und der Observationen – jeweils über Monate hinweg! Kein Wort davon in den Abschlussberichten. Zusätzlich unterließ es die Polizei, entlastende Alibis zu erwähnen oder z.B. die entlastenden Aussagen von DDr. Balluch in seinem 20 stündigen Verhör in der Justizanstalt Josefstadt anzuführen.
Da „Tierschutz“ ein in der Bevölkerung positiv besetzter Begriff ist, verwendet die Polizei völlig unmotiviert systematisch den Begriff „Tierrechte“ für die Tätigkeit derjenigen, die sie beschuldigt und stigmatisiert ihn damit zum ultimativ Bösen. So erfindet die Polizei z.B. auch das Kunstwort „Tierrechtsunterricht“ für den Tierschutzunterricht. Noch niemand außer der Polizei hat den Begriff „Tierrechtsunterricht“ gebraucht. Das Ziel dahinter ist, die positive Assoziation zu Tierschutz zu unterlaufen.
Ziel der angeblichen kriminellen Organisation sei nach Ansicht der Polizei eine „Tierrechtsrevolution“, also die Anerkennung von Grundrechten für Tiere. Dieses Ziel wird so dargestellt, als wäre es nur als fundamentalistisch-doktrinäre Glaubenseinstellung interpretierbar. Dabei unterlässt die Polizei wohlweislich zu erwähnen, dass Tierrechte international und insbesondere auch in Österreich ein wichtiges akademisches Thema sind (Prof. Maier vom Juridicum der Universität Wien bietet z.B. im Sommersemester 2009 ein Seminar zu genau diesem Thema an!) und dass der Hauptbeschuldigte DDr. Balluch sogar eine Dissertation in Philosophie an der Universität Wien geschrieben und in Buchform veröffentlicht hat, in dem Tierrechte auf naturwissenschaftlicher Ebene behandelt werden und sich als alles andere als ein religiöses Bekenntnis entpuppen.
Die Polizei führt auch Vegetarismus und Veganismus als Erkennungsmerkmale für Mitglieder der kriminellen Organisation ein und spekuliert dabei offenbar mit der Hoffnung, dass NormalbürgerInnen diese Lebensweisen als dubios einstufen. Eine Person wird sogar von der Polizei nur deswegen als unverdächtig bezeichnet, weil sie nicht vegan lebt. Auch hier mobilisiert die Polizei in ihrem Abschlussbericht das Stigmatisierungspotential der auffällig anderen Lebensweise einer Randgruppe, um Sympathien für ihren Feldzug zu erzeugen.
Die Polizei führt sogar einen eigenen Namen für die kriminelle Organisation ein: MTG, für „militante Tierrechtsgruppen“. Dieselbe Bezeichnung verwendet seit neuestem auch der Staatsschutzbericht für jene Personen, die Kundgebungen für Tierschutz abhalten oder sich sonst auffällig für Tierschutz engagieren. Damit suggeriert die Polizei, dass jede Person, die sich im Rahmen von legalen Aktionen und Protesten für den Tierschutz engagiert, in die von ihr identifizierte kriminelle Organisation zu subsummieren sei. Diese Organisation sei für alle in Österreich begangenen Straftaten mit möglichem Tierschutzhintergrund verantwortlich. Im Grunde ist also die gesamte soziale Bewegung für Tierschutz, die Tierschutzbewegung, im Fadenkreuz der Ermittlungen und im Verdacht, eine kriminelle Organisation zu bilden.
Hintergrund der Abschlussberichte
Generell wird in den Abschlussberichten der Polizei deutlich, dass fehlende Beweise und konkrete Verdachtsmomente durch eine möglichst große Quantität nichtssagender, aber verdächtig klingender „Fakten“ kompensiert werden sollen. Diese Taktik wird durch eine maximal tendenziöse und möglichst charakterschädigende Darstellung aller Beschuldigten verstärkt.
Im November 2006 wurden von Innenminister Platter, selbst Jäger und damit unmittelbarer Gegner der Tierschutzbewegung, weitreichende polizeiliche Ermittlungen gegen den Tierschutz eingeleitet, die bald in die Gründung einer eigenen Sonderkommission mündeten. Innenminister Platter reagierte damit auf heftige Attacken und Zivilklagen, die von Tierschutzseite wegen seiner fortwährenden Anti-Tierschutz Agitation gegen ihn eingebracht worden waren.
In den folgenden 2 ½ Jahren entwickelte diese Sonderkommission, bestehend aus 35 Beamten der Mordkommission und des Inlandsgeheimdienstes eine beachtliche Eigendynamik. Immer weitreichendere Bespitzelungs- und Belauschungsaktivitäten wurden unternommen, ohne den gewünschten Erfolg, eine kriminelle Verwicklung des Tierschutzes nachweisen zu können. Die Mitglieder der Sonderkommission gerieten fortan immer mehr unter Zugzwang. Während 2 ½ Jahre wurden immense Kosten von vielen Millionen Euro verursacht, um Anklagen gegen TierschützerInnen aufbereiten zu können. Will die Sonderkommission also nicht als komplette Versagerin dastehen, muss sie jetzt irgendwelche gefährlich klingenden „Fakten“ zusammenstellen, um in unbedarften LeserInnen den Eindruck zu erwecken, im Tierschutz wäre eine kriminelle Organisation aktiv. Seit Gründung der Sonderkommission ist die Verurteilung von im Tierschutz aktiven Personen um jeden Preis zum persönlichen Anliegen einiger der Mitglieder dieser Kommission geworden. Über Jahre hinweg wurde erfolglos bespitzelt, belauscht und beobachtet. Zugeben, dass keine Evidenz vorliegt, wäre ein Eingeständnis des eigenen Versagens. Also muss die fehlende Evidenz mit einer Lawine nichtssagender „Fakten“, die allesamt nichts mit krimineller Aktivität zu tun haben, kaschiert werden:
- So wird in den Ausführungen z.B. suggeriert, die eine oder andere Person wäre rechtsradikal, linksradikal oder anarchistisch. Nichts davon hat irgendetwas mit kriminellen Machenschaften zu tun, sondern wird ausschließlich zu dem Zweck angeführt, die beschuldigten Personen charakterlich in ein schlechtes Licht zu rücken.
- In einer Reihe von Fällen werden „Fakten“ einfach erfunden oder kommen durch eine – beabsichtigte oder unbeabsichtigte – Falschübersetzung zustande. Z.B. übersetzt die Polizei „50 pounds fine, conditional discharge for 2 years“ mit 2 Jahre Haft auf Bewährung, obwohl die korrekte Übersetzung lautet: „50 Pfund Geldstrafe bedingt, für 2 Jahre auf Bewährung ausgesetzt“. Ebenso werden Decknamen frei erfunden, Emails falschen Personen zugeordnet, ausländische Verurteilungen – ohne Angabe einer Quelle – schlicht erdichtet und natürlich „verhört“ man sich immer wieder bei Telefonprotokollen.
- Praktisch die gesamte „Evidenz“ stammt aus Diskussionsforen am Internet. Andere Aussagen wurden in Privatgesprächen am Telefon mitgehört. Immer handelt es sich dabei aber ausschließlich nur um Meinungen und Kommentare der Belauschten. Es ist eine sehr bedenkliche Entwicklung in einer freien Demokratie, wenn ihre BürgerInnen im Privatgespräch belauscht werden, um ihnen danach ihre Privatmeinungen als Vorwurf vor Gericht zu präsentieren. George Orwells 1984 ist Wirklichkeit geworden, wenn man sich bei jedem privaten Satz, den man äußert, überlegen muss, ob er vor Gericht gegen einen verwendet werden kann.
Zusammenfassung der Ermittlungsergebnisse
Die Resultate der jahrelangen Ermittlungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1) Kein direkter Nachweis krimineller Handlungen: Trotz jahrelanger intensivster Bespitzelung einer großen Zahl von Personen konnte niemandem die Durchführung, Planung oder Organisation von kriminellen Handlungen nachgewiesen werden. Das gleiche gilt für die Hausdurchsuchungen, und die unzähligen DNA-Tests und Fingerabdruckabnahmen: auch sie brachten keinen Nachweis der Beteiligung eines der Beschuldigten an tierschutzrelevanten kriminellen Handlungen.
2) Zwar gab es zum Teil Tierschutzaktivismus, der gegen Verwaltungsgesetze verstoßen hat, ohne dabei aber kriminell zu werden: Verschiedene Organisationen und Individuen wurden dabei belauscht bzw. beobachtet, wie sie über nächtliche Recherchen und Fotodokumentationen in Tierfabriken sprachen, oder Aktionen wie Besetzungen, Run-ins, offene Befreiungen und dergleichen unternahmen, die alle im Bereich üblicher NGO-Aktivität liegen. Es handelt sich dabei aber ausschließlich um Bagatelldelikte nach dem Verwaltungs- oder Zivilrecht, nicht aber um kriminelle Straftaten.
3) Es gab Abschirmungsmaßnahmen gegen behördliche Bespitzelung: Viele der betroffenen Individuen und Tierschutzorganisationen versuchten sich der nur allzu deutlichen allgegenwärtigen Bespitzelung durch die Polizei zu entziehen, indem sie ihre Computer verschlüsselten, mit verschlüsselten Emails verkehrten und nicht am Telefon über ihre Aktivitäten sprachen. Das ist aber nicht nur eine natürliche Reaktion gegen ständige Bespitzelung, es dient auch dem Schutz von InformantInnen über Tiermissbrauch und der ungestörten Planung von NGO-Aktionen.
4) „Radikal-subversive“ Diskussionsinhalte: Aus Meinungsäußerungen bei überwachten Telefongesprächen und aus Diskussionsbeiträgen auf Internetforen schließt die Polizei bei einigen Personen auf ein gewisses Verständnis und eine Sympathie für Aktivitäten, die im Namen des Tierschutzes gegen Strafgesetze verstoßen. Viele dieser Zitate sind falsch oder ins Gegenteil verkehrt, in jedem Fall handelt es sich dabei aber bloß um private Meinungen und Kommentare, die durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit in der Menschenrechtskonvention geschützt sind.
5) Breite Zusammenarbeit: Die Polizei „entdeckte“ bei ihren Ermittlungen, dass sich die meisten Aktiven in der Tierschutzszene mehr oder weniger gut gegenseitig kennen und dass die verschiedenen Organisationen teilweise offen und teilweise verdeckt zusammenarbeiten.
6) Informationsfluss: Vor allem durch das Internet, aber auch durch verschiedene tierschutzinterne Medien wie zum Beispiel Radiosendungen und Magazine, werden Informationen zu Tierschutzaktivitäten rasch verbreitet. Darunter fallen auch Informationen zu strafrechtlich relevanten Handlungen mit möglichem Tierschutzbezug.
Aus diesen Ergebnissen schließt die Polizei, es gäbe eine große, österreichweit und international agierende, kriminelle Organisation, die für alle strafrechtsrelevanten Aktivitäten mit möglichem Tierschutzbezug verantwortlich sei, und die mehr oder weniger alle AktivistInnen umfasse, die im Rahmen von Demonstrationen und Aktionen des Zivilen Ungehorsams „einschlägig“ und „militant“ aktiv geworden wären.
Kampagnen der „kriminellen Organisation“
Die Polizei gibt in den Abschlussberichten an, dass es Sachbeschädigungen im Namen des Tierschutzes schon seit den 1980er Jahren in Österreich gibt. Dennoch legt sie die Gründung der kriminellen Organisation in das Jahr 1996 – ohne dafür einen vernünftigen Grund anzugeben. Für die Zeit von 1996-2008 zählt die Polizei folgende Tierschutzkampagnen zu den Kampagnen der kriminellen Organisation.
A) Die Pelzkampagne
A1) Kampagne gegen Nerzfarm Pfeiffer 1996-1998
A2) Nerzbefreiung in Holland 2006
A3) Nerzbefreiungen in Deutschland 2007
A4) Filmen auf Nerzfarm in Holland und Fuchsbefreiung in
Tschechien
A5) Pelztierfarmrecherche in Skandinavien
A6) Kampagne gegen Nerzfarm Seebauer in Deutschland
A7) Besetzung einer Nerzfarm in Holland 2003
A8) Kampagnen gegen Pelzgeschäfte in Österreich 1997-2006
B) OGPI-Kampagnen gegen Bekleidungsfirmen
B1) C&A Kampagne 2000-2001
B2) P&C Kampagne 2002-2006
B3) Fürnkranz Kampagne 2006
B4) Kleider Bauer Kampagne 2006-dato
B5) Escada Kampagne
C) Kampagne gegen Legebatterien
C1) Gansinger Gutshof Ei 1996
C2) Geflügelhof Sterrer 2001
C3) Hühnerfarm Huber 2000
C4) Firma Wolf Eiernudeln 2004
C5) Legebatterierecherchen
D) Fleischkampagne
D1) Kampagne gegen Restaurants
D2) Kampagne gegen Schlachthöfe und Tiertransporte
D3) Kampagne gegen Fleischhauer
D4) Schweinekampagne 1996-2008
D5) Rinderkampagne
D6) Kampagne gegen Daunen
D7.1) Kampagne gegen Gänse- und Entenstopfen
D7.2) Kampagne gegen Lebendhummerhaltung
E) Zirkuskampagne
F) Anti-Jagd Kampagne
G) SHAC-Kampagne gegen Tierversuche (2001-2007)
G1) Universitäre Forschungsinstitute
G1.1) Institut für Biomedizinische Forschung
G1.2) Institut für Krebsforschung
G1.3) Konrad-Lorenz Forschungsstelle
G2) Novartis und Sandoz
G3) Glaxo Smith Kline
G4) Sankyo
G5) Marsh
Insgesamt werden in den Abschlussberichten über 100 Personen namentlich genannt, die in der einen oder anderen Weise an obigen Kampagnen teilgenommen haben und deshalb verdächtig sind. Für etwa 30 davon wurden als Beschuldigte Abschlussberichte verfasst. Zusätzlich fallen die Namen von 10 Tierschutzorganisationen, die die genannten Kampagnen mitgetragen haben sollen.
Mangels irgendwelcher konkreter Beweise für kriminelle Handlungen zieht die Polizei als Deliktvorwurf §278a StGB „Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation“ heran. Paragraphen wie 278a widersprechen dem herkömmlichen Rechtsempfinden: um schuldig im Sinne dieses Paragraphen zu sein, ist es nämlich weder notwendig, selbst einer kriminellen Handlung beschuldigt zu werden, noch Mitwisser einer solchen Handlung zu sein. Begründet wird das mit dem Gefahrenpotential, das von einer kriminellen Organisation ausginge. Zusätzlich erlaubt eine behauptete Verdächtigung nach §278a StGB alle weitest möglichen polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen, selbst wenn diese tief in die grundrechtlich geschützte Privatsphäre eindringen.
Die Anwendung eines derartigen Paragraphen auf soziale Bewegungen ist äußerst fragwürdig und war nie im Sinne des Gesetzgebers, zumal soziale Bewegungen durch ihr Engagement zur gesellschaftlichen Veränderung von vornherein fast alle Kriterien für §278a StGB erfüllen. In der aktuellen Handhabung ist es Beschuldigten perfider Weise auch gar nicht möglich, ihre Unschuld zu beweisen. Wie soll man beweisen, keine Gefahr zu sein. Tatsächlich ist seit 2002 überall auf der Welt zu beobachten, dass derartige Paragraphen als Deliktvorwürfe gegen Gruppen und insbesondere soziale Bewegungen herangezogen werden, die aus dem Rahmen des üblichen bürgerlichen Lebens herausfallen. So gab es z.B. 6 Monate vor Österreich in Neuseeland ein völlig paralleles Vorgehen der Polizei gegen die dortige Friedensbewegung, das mit einem Vorwurf analog zu §278a StGB begründet wurde. Zuletzt entschied dort aber der Generalbundesanwalt, dass keine kriminelle Organisation vorliegt, und das Verfahren wurde eingestellt. Man würde sich in Österreich eine ähnlich vernünftige Person an der Spitze der Staatsanwaltschaft wünschen.
Liest man nämlich die Intention des Gesetzgebers aus der Formulierung von §278a StGB heraus, so erkennt man sofort, dass dieser Paragraph nicht auf die Tierschutzbewegung anwendbar ist, wie das die Polizei intendiert:
- Eine kriminelle Organisation ist auf die Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen ausgerichtet. Wie in allen sozialen Bewegungen, so kommt es auch in der Tierschutzbewegung immer wieder zu strafbaren Handlungen, aber sie bilden die verschwindende Minderheit im Vergleich zu den legalen Aktionen, sie sind niemals mit Gewalt gegen Menschen verbunden und überhaupt in den seltensten Fällen schwerwiegend.
- Eine kriminelle Organisation muss unternehmensähnlich organisiert sein. Zur Unternehmensähnlichkeit gehört sowohl eine Zentrale, die alle Aktivitäten kontrolliert und organisiert oder zumindest delegiert, als auch ein einheitliches Auftreten und wohlkoordiniertes Vorgehen. Die Tierschutzbewegung besteht dagegen aus einer Reihe von unabhängigen Gruppen und Einzelpersonen, die keine übergeordnete Zentrale haben, sondern die eigenständig und autonom zuweilen dasselbe Kampagnenziel verfolgen, ohne sich über konkrete Aktionen oder Strategien abzusprechen.
- Eine kriminelle Organisation muss sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abschotten, um ihre kriminelle Tätigkeit zu verschleiern. Die Tierschutzbewegung schottet sich gegen behördliche Bespitzelungen ab, aber nicht um kriminelle Tätigkeiten zu verschleiern, sondern um staatliche Repression gegen dissidentes Denken hintanzuhalten, sowie um ihre InformantInnen schützen und ihre Recherche- und Aktionstätigkeit bewahren zu können.
Dass der Begriff einer kriminellen Organisation in der Anwendung auf eine ganze soziale Bewegung völlig überstrapaziert wird, erkennt man am Begründungsnotstand, in den die Polizei gerät, wenn sie erklären soll, wer, genau, Mitglied der ominösen kriminellen Organisation ist und woran man das erkennt. Der Übergang scheint völlig fließend zu sein. Genauso ist es der Polizei unmöglich zu begründen, welche kriminellen Straftaten von der kriminellen Organisation begangen worden sein sollen und welche nicht. Es gibt dafür kein anderes Kriterium als einen möglichen Tierschutzbezug der Straftat. Es kann auch nicht gesagt werden, ab welchem Jahr derartige Straftaten einer kriminellen Organisation zuzuordnen wären, und welcher geographische Bereich den Aktivitätsbereich der kriminellen Organisation kennzeichnet usw. Genaugenommen gibt es keinen einzigen Hinweis, dass es überhaupt eine kriminelle Organisation gibt, weil das Szenario vieler EinzeltäterInnen, die unabhängig voneinander autonom agieren, ist mindestens genauso gut mit der vorhandenen Evidenz kompatibel.
Letztendlich existiert das Gespenst „kriminelle Organisation“ also nur im Gehirn der Sonderkommission und in der Propaganda derer, die dem Tierschutz schaden wollen.
Nach jahrelangen Lauschangriffen und Bespitzelungen in bisher noch nie dagewesenem Ausmaß, gibt es keinerlei Beweise für kriminelles Verhalten, geschweige denn für die Existenz der ominösen kriminellen Organisation. Angeklagt wird hier einzig und allein die Gesinnung der beschuldigten Personen.
Die politische Motivation der gesamten polizeilichen Ermittlungen lässt sich anhand einer Beweiskette lückenlos belegen:
- Österreich hat im internationalen Vergleich eine sehr geringe Rate an Straftaten mit potentiellem Tierschutzhintergrund
- Die Anzahl strafbarer Handlungen mit Tierschutzbezug hat sich laut Staatsschutzbericht vom Jahr 2006 zum Jahr 2007 halbiert, sie ist also stark zurückgegangen
- Im gleichen Zeitraum ist die Anzahl legaler Protesthandlungen von Tierschutzseite explosionsartig angestiegen – zur gleichen Zeit wird die Sonderkommission gegründet
- Österreich hat die erfolgreichste Tierschutzbewegung der Welt – und die brutalste Polizeirepression dagegen
- Die Statistik belegt, dass es etwa 35 Mal (!!!) mehr Fälle von krimineller Tierquälerei gibt, also solche von Straftaten mit möglichem Tierschutzbezug. Zusätzlich gibt es jährlich Tausende Fälle von Tierquälerei nach dem Tierschutzgesetz. Statt gegen Tierquälerei wird aber eine Sonderkommission gegen den Tierschutz gegründet.
- Tierschutzvereine wie der VGT erhalten laufend Droh-Emails, Drohanrufe und Drohbriefe. Einmal drangen 2 gedungene Schläger in das VGT-Büro ein und bedrohten die Angestellten. Es gibt gegen den VGT regelmäßig Sachbeschädigungen wie mit Lack übergossene Autos, aufgestochene Autoreifen, verklebte Schlüssellöcher und eingeschlagene Scheiben. Die Polizei hat an diesen Straftatbeständen bisher jedoch noch nie Interesse gezeigt.
- Während noch nie ein Tierschützer andere Menschen physisch
misshandelt hat, sind physische Angriffe und schwere Körperverletzungen
gegen Tierschützer häufig. Nachweislich wurden in manchen
Fällen Personen bezahlt, um Tierschützer zu attackieren.
Einem 60 jährigen Rechtsanwalt und Tierschützer wurde
bei einer friedlichen Tierschutzkundgebung von Zirkusangestellten
die Nase gebrochen. Jäger schlagen filmende Tierschützer
nieder, und sogar der stellvertretende Klubchef der ÖVP-Kärnten,
Robert Lutschounig, hat einem Tierschützer ins Gesicht
geschlagen und Sachbeschädigung begangen. Allein im Jahr
2008 gab es mindestens die folgenden Vorfälle:
o Beim Filmen eines Tiertransportes wurden TierschützerInnen mit der Motorsäge angegriffen
o Beim Filmen eines Singvogelfängers wurde einem Tierschützer durch Schläge mit einem Stock die Hand gebrochen
o Beim Filmen einer Gänsefarm von der öffentlichen Straße aus wurden TierschützerInnen von einem maskierten Mann mit der Axt angegriffen
o Bei einer friedlichen Kundgebung gegen Tierleid wurde ein Tierschützer zu Boden gestoßen und derartig ins Gesicht getreten, dass er mehrere Knochenbrüche davontrug - In den Gesprächsprotokollen anlässlich der Gründung der Sonderkommission wird eindeutig erwähnt, dass es zwar keinen Hinweis auf kriminelle Handlungen des VGT gibt, dass der VGT als aktivster Tierschutzverein aber dennoch das Hauptziel der Repressionsmaßnahmen der Sonderkommission sein solle.
- In einem Aktenvermerk ist festgehalten, dass die Sonderkommission bei einem Treffen im Juni 2008 ausschließlich das Thema behandelte, wie dem VGT noch zusätzlich geschadet werden könne.
- Aus den Akten geht auch hervor, dass die Sonderkommission bundesweit zu jeder Tierschutzkundgebung Polizeibeamte abkommandierte, mit dem erklärten Ziel, dem Tierschutz ein radikales Image zu geben.
Nach „Ende“ der polizeilichen Ermittlungen – Wie geht es weiter?
In den letzten Jahren sahen wir eine Vendetta der Staatsmacht gegen den Tierschutz, der seinesgleichen sucht in der Geschichte der 2. Republik. Am 21. Mai 2008 kulminierte diese Aktivität in einem Großangriff bewaffneter Polizeikräfte und in 3 ½ Monaten Untersuchungshaft für 10 TierschützerInnen. Mehrere Tierschutzorganisationen wurden für 10 Monate ihrer gesamten Infrastruktur beraubt.
Hauptziel dieses Angriffes war der Verein Gegen Tierfabriken VGT, ein Tierschutzverein mit 18.000 Mitgliedern und 600.000 Euro Budget pro Jahr – ein Zwerg im Vergleich zum politischen Gegner, der gesamten Tiernutzungsindustrie und ihrer politischen Repräsentanz. Gerüchten zufolge soll die Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt bereits Strafantrag gestellt haben, der von Mag. Petra Staribacher von der Oberstaatsanwaltschaft jetzt geprüft wird. Ein Strafantrag wird jeden Moment erwartet, der Prozess wegen §278a StGB „krimineller Organisation“ soll im September 2009 beginnen.
- Die Abschlussberichte enthalten absolut überhaupt keinen Beweis für irgendeine kriminelle Handlung. Wenn dennoch angeklagt werden soll, dann lässt sich das nur damit erklären, dass Polizei und Justiz ihr Gesicht wahren wollen, weil sie kaschieren müssen, dass hinter diesem Verfahren nur eine politische Vendetta steckt. Durch eine Anklage wird der psychische Druck auf die Betroffenen weiter aufrecht erhalten und der Staat kann sich um die Schadenersatzzahlungen drücken.
- Der Kern einer Anklage kann nur §278a StGB „kriminelle Organisation“ sein, weil dieser Paragraph so vage gehalten ist, dass eine Anklage auch ohne konkrete Beweise möglich wird. Die Strategie der Polizei ist dabei, die tatsächlichen normalen NGO-Aktivitäten im Tierschutz, wie Recherchen und Aktionen des Zivilen Ungehorsams, zu kriminalisieren und unter strafbare Handlungen nach §278a StGB zu subsummieren. Dieser Schritt ist aber eine große Gefahr für die Demokratie in Österreich, weil gelebte Demokratie setzt eine lebendige Protestkultur von Bürgerinitiativen und einer kritischen Zivilgesellschaft voraus, die erst der Garant für den Erhalt und den Ausbau vieler Grundwerte wie Tier- und Umweltschutz sind.
- Seit 9/11 werden die Ermittlungsmöglichkeiten der Polizei und damit der Überwachungsstaat drastisch ausgebaut und die Anklagemöglichkeiten der Justiz durch Sonderparagraphen wie §278a StGB von konkreten Straftaten auf Gefahrenlagen ausgeweitet. Weltweit sind die Auswirkungen dieser Entwicklung spürbar, in verschiedenen Ländern wie z.B. in Neuseeland sind parallel zur österreichischen Tierschutzcausa ähnlich rigorose Polizeimaßnahmen gegen die Zivilgesellschaft durchgeführt worden. Diese Entwicklung muss jetzt kritisch untersucht und hintan gehalten werden.
Spätestens sei 1997 wird die Tierschutzszene zunehmend invasiver vom Inlandsgeheimdienst und seit 2007 auch von einer Sonderkommission bespitzelt, belauscht und verfolgt. Gerade weil dabei keine einzige kriminelle Handlung aufgedeckt werden konnte, bestehen die Abschlussberichte zu 90% aus privaten Meinungsäußerungen, die den Beschuldigten zur Rechtfertigung vorgehalten werden.
Dieses Vorgehen ist skandalös und gleicht Big Brother in George Orwells 1984. Aus gutem Grund gibt es das menschliche Grundrecht auf Privatsphäre. In den eigenen 4 Wänden und in privaten Diskussionen muss die freie Rede gewährleistet sein, ohne dass man von einer neugierigen Behörde belauscht wird. Mittlerweile ist es aber so weit in Österreich, dass man zumindest als TierschützerIn nirgendwo mehr – auch im eigenen Schlafzimmer nicht! – eine Meinung äußern kann, ohne damit rechnen zu müssen, in der Öffentlichkeit oder vor Gericht dafür zur Rechtfertigung aufgefordert zu werden.
Wenn solche Meinungen aus dem Kontext gezogen und zitiert werden – ohne Rücksicht auf die damalige emotionale Situation des Augenblicks, ohne Bezug zum damaligen Thema, ohne die Meinungsbeiträge anderer MitdiskutantInnen und ohne Angaben über die AdressatInnen der Äußerung – dann verändert sich zwangsläufig die Botschaft einer solchen Aussage, manchmal sogar ins Gegenteil. Niemand erinnert sich an diesen Kontext selbst eigener Aussagen 10 Jahre später. Es wäre bei jeder beliebigen Person ein Leichtes, ihre über 10 Jahre gesammelten privaten Äußerungen propagandistisch und manipulativ in einen rufschädigenden Zusammenhang zu stellen, und dadurch Meinungen zu suggerieren, die diese Person gar nicht hat. Es ist eine sehr bedenkliche Erosion fundamentaler Grundrechte, dass Polizei und Staatsanwaltschaft in diesem Verfahren derart manipulativ vorgehen dürfen.
Aber nicht nur die Dauerbespitzelung, auch die gesamte martialische Art des polizeilichen Auftretens, die Waffengewalt bei den Hausdurchsuchungen, die Untersuchungshaft, die permanente Bedrohung mit hohen Gefängnisstrafen usw., werden von den Betroffenen und ihrem gesamten Umfeld, ja der gesamten Tierschutzszene, als Terror empfunden. In dieser Atmosphäre des Terrors und der Gewaltdrohung ist es nicht mehr möglich, wie bisher vernünftige Tierschutzarbeit zu leisten. Österreich hat eine der weltweit lebendigsten und aktivsten Tierschutzbewegungen, auf die wir stolz sein sollten. Dieser österreichischen Tierschutzszene ist es zu verdanken, dass wir heute in Österreich das weltweit beste Tierschutzgesetz z.B. mit einem echten Legebatterieverbot haben. Die Gesellschaft ist nun aufgerufen, dieses Kleinod, unsere Tierschutzszene, vor der Gewalt einer wildgewordenen Staatsmacht zu schützen.
Nach 9/11 wurden in der allgemeinen Terrorhysterie überall neue Gesetze geschaffen, die der Polizei rigorose Beschattungs- und Verfolgungsmaßnahmen auf der Basis einer „erweiterten Gefahrenlagenforschung“ ermöglichen. Heute zahlen wir den Preis dafür, und zwar weltweit. Die Polizei ist für den Umgang mit Kriminalität geschaffen. Man kann ihr nicht vertrauen, wenn es um politische und soziale Bewegungen geht. Da bedarf es strikter Gesetze, die diesen für eine Demokratie notwendigen Freiraum bewahren.
Mit den Abschlussberichten hat die Polizei offiziell ihre
Ermittlungen eingestellt. Inoffiziell, und daran besteht
leider kein Zweifel, gehen die Ermittlungen weiter. Im Gerichtsakt
steht, dass „verdeckte Ermittler“ in die Tierschutzgruppen
eingeschleust worden sind. Davon wird aber nichts in den
Abschlussberichten erwähnt. Es ist davon auszugehen, dass
die Polizei diese Spione weiter in der Tierschutzszene belassen
will. Ein Ende der ewigen Bespitzelung und Verfolgung ist
also nicht abzusehen – auch nach Ende eines etwaigen Gerichtsverfahrens
nicht.
Aber wir als Gesellschaft dürfen nicht zulassen, dass dieses
Vorgehen der Behörde zum Normalzustand wird. Es ist inakzeptabel
und nicht „normal“, dass die Behörde politische Bewegungen
und insbesondere den Tierschutz ununterbrochen belauscht
und beschattet.
Das deutsche Höchstgericht hat kürzlich geurteilt, dass das durchgehende Filmen einer Demonstration durch die Polizei ohne konkreten Anlass mit dem Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit nicht vereinbar ist, weil es die BürgerInnen einschüchtert und damit von der Ausübung ihres Grundrechts abhält. Genau das scheint hierzulande auch eine wesentliche Intention der ständigen Polizeiüberwachung zu sein. Sie ist verfassungs- und grundrechtswidrig.