Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (17.01.2001)
Laaben, am 17.01.2001EU-Kommission verabschiedet neue Schweinehaltungs-Richtlinien
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Die Europäische Kommission hat heute einen Bericht über intensive Schweinehaltung angenommen, der die EU-Gesetzgebung zum Schutz der Schweine in Richtung artgemäßerer Haltung anpassen soll. Der Vorschlag sieht ein Verbot der sogenannten Kastenstände vor, auch "eiserne Jungfrauen" genannt, in denen die Sauen den Großteil ihrer Trächtigkeit auf engstem Raum in Einzelhaft verbringen müssen. Er beinhaltet auch neue Regelungen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Schweine und Ferkel im allgemeinen, z.B. für den Mindestplatzbedarf, die Bodenbeschaffenheit und artgemäße Fütterungssysteme. Ebenfalls enthalten sind neue Regelungen für die Ausbildung der Schweinehalter bzw. Betreuer. Zusätzlich schlägt die Kommission verpflichtendes Einstreumaterial, bestimmte Absetzfristen für Ferkel und das Verbot der schlimmsten Arten von Verstümmelungen (Kastration, Schwanz- und Zähnekupieren) vor. Diese Pläne sollten zumindest die Hauptprobleme der derzeitigen tierquälerischen Schweine-Intensivzucht beheben, basierend auf einer genauen Analyse des wissenschaftlichen Ausschusses für Tiergesundheit und Tierschutz.
"Die ECFA (European Coalition for Farm Animals) begrüßt den Antrag der Kommission, Kastenstände für trächtige Sauen zu verbieten", sagt ECFA-Sprecher Justin Wilkes, "Sauen in Kastenständen haben schwächere Knochen und Muskeln, leiden häufig unter Herzproblemen sowie Urogenital-Infektionen. Sie zeigen zudem hochgradige Verhaltensstörungen (Stereotypien) - sinnlos sich wiederholendes Verhalten wie Stangenbeißen - welche beweisen, daß das Wohlbefinden schwer beeinträchtigt ist. Aus diesen Gründen sollten Sauen möglichst im Freiland oder zumindest in Gruppen gehalten werden und geeignetes Einstreumaterial zur Verfügung stehen."
Kastenstände sind so eng, daß sich die Sau nicht einmal umdrehen kann. Sie wird in diesem Metallkäfig während ihrer gesamten 16-wöchigen Trächtigkeit auf hartem Beton- oder Metallspalten eingepfercht. Trächtigkeit nach Trächtigkeit, also die meiste Zeit ihres Erwachsenenlebens, so lange, bis sie am Schlachthof von ihren Qualen "erlöst" wird. EU-weit werden ca. 8 Millionen Sauen unter derartigen Bedingungen für das billige Schnitzel eingesperrt.
Der EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz sagte dazu: "Die Intensivierung der Schweinehaltung in den letzten 10 Jahren hat zu nicht notwendigen Leiden geführt, die auch in zunehmendem Maße kontraproduktiv sind. Ich folge dem Rat unserer Wissenschaftler daher sehr ernsthaft und werde das Bestmögliche tun, um sicherzustellen, daß diese Gesetzgebung durchgebracht wird. Tierschutz wird in Zukunft ein integraler Bestandteil der EU-Agrarpolitik sein. Wir möchten uns in Richtung eines Landwirtschaftssystems entwickeln, welches effiziente Tierhaltung mit Haltungssystemen kombiniert, die auch für die breite Öffentlichkeit akzeptabel sind."
Der heutige Richtlinienvorschlag der Kommission basiert auf einer Stellungsnahme des Wissenschaftlichen Ausschusses von 1997 über das Wohlbefinden intensiv gehaltener Schweine. Die Wissenschaftler betonten die Notwendigkeit, Maßnahmen zu ergreifen, um die Bedingungen in intensiven Schweinehaltungen zu verbessern. Die wichtigsten tierschutzrelevanten Aspekte, welche die Wissenschaftler in Bezug auf die Schweineintensivhaltung fanden, waren:
- die Haltung von Schweinen, insbesondere von Sauen, in sozialer Isolation und in Kastenständen verhindert soziale Interaktionen und natürliches Verhalten wie z.B. Wühlen;
- künstliche Böden und Vollspaltenböden verursachen Verletzungen, Unbehagen und verhindern normales Beschäftigungs-Verhalten;
- bestimmte Fütterungs-Systeme können aggressives Verhalten der Tiere verursachen, wodurch einzelne Sauen den Großteil ihres Lebens unter Unterernährung leiden müssen;
- inkompetentes Personal ist eine Ursache von Leiden für Tiere, sogar in guten Haltungs-Systemen;
Der Kommissions-Antrag beinhaltet daher die folgenden Maßnahmen:
- ein Verbot der Einzel- und Kastenstandhaltung für trächtige Sauen bis 7 Tage vor der Geburt;
- ein Verbot der Anbindehaltung von Sauen;
- Mindestmaße für Sauen-Boxen, die zumindest das Umdrehen ermöglichen;
- verpflichtendes Einstreumaterial und Rauhfutter;
- getrennte Kot-, Ruhe- und Freßbereiche.
Die unmittelbare sozioökonomische Auswirkung der vorgeschlagenen Verbesserungen zu den vorhandenen EU-Richtlinien wird eher begrenzt sein. Abgesehen von der Tatsache, daß bestimmte Standards in einigen Ländern bereits umgesetzt wurden, sollen diese Richtlinien stufenweise erst nach einer Übergangsfrist von mehr als 10 Jahren eingeführt werden, um der Agrarindustrie Zeit für die verbesserten Standards einzuräumen. So sollen die Richtlinien erst im Jahr 2012 (!) in Kraft treten, während jedoch einige Bestimmungen für Neubauten schon ab Januar 2002 gelten sollen. Die Betriebe sollen auch finanzielle Unterstützung für Investitionen in Gebäude und technische Anlagen erhalten, um die Tierschutz-Standards besser umsetzen zu können.
Fünf EU-Mitgliedsstaaten (Großbritannien, Niederlande, Dänemark, Finnland und Schweden) haben bereits eine weiterreichende nationale Tierschutz-Gesetzgebung verabschiedet als es die EU-Richtlinien 1991 vorgegeben haben. Dies waren insbesondere Maßnahmen wie das Verbot von Kasten-ständen und das Gebot von Stalleinrichtungen, welche ein natürliches Sozial-Verhalten ermöglichen.
Der EU-Schweinebestand zählte 1998 ca. 125 Millionen Tiere, davon 12,6 Millionen Zuchtsauen, hauptsächlich konzentriert auf Deutschland, Spanien, Frankreich, die Niederlande und Dänemark. Die Schweinefleisch-"Produktion" ist zu einer hochspezialisierten Industrie geworden, um nach festgesetzten Standards und mit fixen Auslieferungszeiten möglichst schnelle Gewichtszunahmen zu erreichen. Zur Zeit werden in der EU fast 65% der trächtigen Sauen in tierquälerischen Kastenständen und mehr als 60% ohne Einstreu auf Spaltenböden gehalten.
Der Richtlinienvorschlag der Kommission, wie er heute verabschiedet wurde, ändert die Mindest-Standards der Richtlinie 91/630 zum Schutz der Schweine. Er muß noch vom Agrarministerrat angenommen werden. Das Europäische Parlament wird zwar konsultiert, hat aber keine Mitentscheidungsmöglichkeit, da die Gesetzesgrundlage des Antrages auf Artikel 37 - gemeinsame Agrarpolitik - basiert.