Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (12.07.2004)
Wien, am 12.07.2004Historisches Urteil: Freispruch für Tierbefreier!
Nach der nächtlichen Befreiung von 7 Hühnern aus einer Legebatterie wurde der Obmann des VGT heute in höchster gerichtlicher Instanz von der Strafanklage freigesprochen
Im März 2003 hatte Dr. Martin Balluch, Obmann des Verein Gegen Tierfabriken, aufgrund eines anonymen Hinweises die Legebatterie in Kleinsierning bei St. Pölten des Nachts besucht und gefilmt. Dabei wurden 7 schwerkranke Hühner mitgenommen und noch in der Nacht auf die Notaufnahme der Universitätsklinik für Geflügel der veterinärmedizinischen Universität Wien gebracht und notversorgt. Danach informierte Balluch die Behörden. Die amtstierärztliche Kontrolle bestätigte die Vorwürfe gegen die Legebatterie und deren Betreiber wurde zu einer Verwaltungsstrafe verurteilt. Die Staatsanwaltschaft erhob aber Anklage gegen den Tierretter wegen Verdacht auf „Dauernde Sachentziehung“ mit einem Strafmass bis zu 6 Monaten Gefängnis. Am 9. Februar 2004 wurde er in erster Instanz zu 60 Tagsätzen unbedingt verurteilt. In 2. und letzter Instanz entschied das Landesgericht St. Pölten aber heute dieses Urteil wieder aufzuheben und einen Freispruch zu fällen: Da die Tat im Interesse der Gesellschaft geschehen sei, wäre sie nicht strafwürdig.
Die Verteidigung unter Rechtsanwalt Mag. Stefan Traxler hatte darauf hingewiesen, dass seit 1988 nach dem Gesetz Tiere keine Sachen mehr sind. Daher sei deren Wohlergehen ein Rechtsgut, das bei dieser Befreiung geschützt worden ist. Das geschützte Rechtsgut, die Gesundheit und das Leben der Tiere, muss also gegen ihren Sachwert, die vom Legebatteriebetreiber geltend gemachten 15 Euro, abgewogen werden. Zusätzlich unterstützt das neue Bundestierschutzgesetz diese Sicht, weil es Legebatterien verbietet und im §1 Tiere als Mitgeschöpfe und deshalb als besonders schützenswert bezeichnet und weil das Parlament mit einem einstimmigen Beschluss den Verfassungskonvent beauftragt hat, den Schutz des Lebens und des Wohlergehens der Tiere in den Verfassungsrang zu erheben. Abgesehen davon waren die Zustände in dieser Legebatterie haarsträubend: unhygienisch, viel mehr Hühner als erlaubt pro Käfig, tote Tiere mitten unter den Lebenden und eine Reihe schwer verletzter, sterbender Tiere. Entsprechend sei es im Interesse der Öffentlichkeit, wenn so etwas aufgedeckt wird.
Das Gericht berief sich bei seinem Freispruch auf §42 StGB wonach der Tierrettung mangelnde Strafwürdigkeit zukommt. Die Richter bezogen sich dabei explizit auf das neue Bundestierschutzgesetz. Demzufolge sind Legebatterien gesellschaftlich geächtet und als Tierquälerei anerkannt, und Tiere sind leidensfähige Mitgeschöpfe. Die Rettung der Hühner war daher eine Tat im Sinne der Gesellschaft, die von einer anerkannt positiven Gesinnung getragen war.
"Ein historisches Urteil", kommentiert Balluch seinen Freispruch. "Immerhin habe ich nach der Diktion der Tiernutzer in eine Legebatterie 'eingebrochen' und 7 Hühner 'gestohlen' und wurde dennoch freigesprochen. Ich habe die Tat an sich auch nie geleugnet sondern, im Gegenteil, selbst die Behörden davon informiert. In der Gesellschaft findet im Moment ein großer Wandel in der Einstellung gegenüber Tieren statt. Wurden sie früher als Sachen gesehen, die jedem menschlichen Interesse untergeordnet werden können, so verändert sich das zunehmend dahingehend, Tiere als Lebewesen mit eigenen Interessen und Bedürfnissen zu sehen, denen auch entsprechende Rechte zustehen. Und diese Rechte sind unabhängig von menschlichen Interessen, bzw. sollen die Tiere zuweilen vielleicht auch explizit vor menschlichen Interessen schützen. Dieser Gesinnungswandel zeigt sich im Bundestierschutzgesetz, bei der Erhebung von Tierschutz in die Bundesverfassung und endlich auch in der Rechtssprechung der Höchstgerichte. Ein deutlicher Wendepunkt in der Geschichte der Mensch-Tier Beziehung ist erreicht!"