Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (07.09.2006)
Wien, am 07.09.2006Grünschimmernd, faulig, ekelerregend: "Gammelfleisch" erreicht Österreich
Mindestens zehn Gastronomiebetriebe in Österreich betroffen – rund 600 Kilo Gammelfleisch in der Steiermark bereits verzehrt
Nachdem in Deutschland in den vergangenen Jahren schon mehrfach verdorbenes Fleisch für öffentliche Aufregung und Verunsicherung gesorgt hat, hat das mittlerweile zum schauerlich-geflügelten Wort mutierte „Gammelfleisch“ jetzt auch Österreich erreicht. Fünf Bundesländer und mindestens zehn Betriebe sind in Österreich von dem in der vergangenen Woche in Deutschland aufgeflogenen Skandal um "Gammelfleisch" betroffen. Das teilte das heimische Gesundheitsministerium am Montag in einer Aussendung mit. Alle Lebensmittelaufsichtsbehörden der Bundesländer seien am Freitag und Samstag informiert worden, wie Ulrich Herzog, Bereichsleiter für Verbrauchergesundheit im Ministerium, mitteilte.
Erste Ergebnisse der Kontrollen liegen bereits vor: Demnach wurde in Tirol in drei und in Wien in fünf Betrieben „Gammelfleisch" entdeckt. In Niederösterreich wurde in zwei Betrieben verdorbenes und gleichzeitig zum Verkauf bestimmtes Fleisch gefunden. Besagte Fleischware wurde bereits beschlagnahmt und vernichtet.
Gammelfleisch in der Steiermark bereits verspeist
Auch in der Steiermark wurde im Zuge des Gammelfleisch-Skandals verdorbenes Fleisch aus Deutschland gefunden: In einem steirischen Gastronomiebetrieb wurden 200 kg falsch etikettiertes Hühnerfleisch – insgesamt waren aber 500 kg geliefert worden – gefunden. Die restlichen 300 kg davon waren (wie auch eine ebenso große Menge vergammeltes Burgerfleisch) bereits verspeist worden. Und das erstaunlicherweise ohne Beanstandung durch die Kunden, die in Sachen Fleischkonsum offenbar manchmal ihren kritischen Verstand ausgeschaltet zu haben scheinen. Der Name des betroffenen Gasthauses wurde vom steirischen Gesundheitsreferenten leider nicht bekannt gegeben.
Da es weder beim Verzehr wie auch später keinerlei Beanstandungen durch Kunden gegeben haben soll – möglicherweise, weil durch Zubereitungsart bzw. starke Würzung der verdorbene Geschmack übertüncht wurde – sind die betroffenen Betriebe, für die nach wie vor die Unschuldsvermutung gilt und die laut Gesundheitslandesrat als ahnungslose Opfer des deutschen Skandalunternehmens einzustufen sind, ohne juristische Folgen davon gekommen.
Der Fall zeigt, wie sorglos gerade im Risikobereich Fleisch vielfach vorgegangen wird bzw. wie wichtig gründliche Kontrollen und strenge Gesetze zum Schutz der KonsumentInnen sind. In Österreich beträgt der Strafrahmen gemäß dem neuen Lebensmittel- und Verbraucherschutzgesetz 20.000 bis 40.000 Euro im Wiederholungsfall. Handelt es sich um gesundheitsbedrohliche Lebensmittel, droht den Betroffenen sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten.
Selbstmord
Diesem Strafmaß entging der hauptbeschuldigte Großhändler, indem er Suizid begang. Der Mann wurde am Morgen gegen 7.30 im Keller seines Wohnhauses in München gefunden. Er stand in Verdacht, große Fleischmengen trotz abgelaufener Haltbarkeit verkauft zu haben. Er selbst hatte zu den Vorwürfen geschwiegen. Bei einer Durchsuchung der Geschäftsräume wurden am vergangenen Donnerstag mehr als zehn Tonnen Fleisch sichergestellt, bei dem die Haltbarkeitsdaten teilweise um vier Jahre überschritten waren. Nach dem Auftauen hätten mehrere Proben des Fleisches „grünlich und ekelerregend" ausgesehen, so ein Sprecher des Kreisverwaltungsreferats.
Zu der beschlagnahmten Ware gehörten mehrere Tonnen Döner-Spieße und rund 360 kg Wild- und Geflügelfleisch. Am Freitag waren dann nochmals 30 bis 40 Tonnen verdächtiges Entenfleisch in dem Kühlhaus des Großhändlers in München entdeckt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den Fleisch-Großhändler Ermittlungen aufgenommen. Die Behörden bemühen sich vor allem um Klärung, wohin die fragliche Ware geliefert wurde.
FÜNF BETRIEBE IN WIEN KONTROLLIERT
Auch in der Bundeshauptstadt Wien mussten die Behörden in Sachen "Gammelfleisch" bereits tätig werden. Laut einem Rathaus-Sprecher wurden vom Gesundheitsministerium fünf Betriebe genannt, die möglicherweise mit verdorbener bzw. abgelaufener Ware beliefert worden sind. Diese Firmen wurden inzwischen kontrolliert - ein Ergebnis liegt noch nicht vor. Namen der betroffenen Firmen wurden nicht genannt, es soll sich aber um Großhandelsunternehmen handeln.
NEUER GAMMELFLEISCHSKANDAL DURCH ZUFALLSFUND EINES SCHWAMMERLSUCHERS AUFGEDECKT
Der neue Gammelfleischskandal, der diesmal von Niederbayern ausgeht, ist durch den Zufallsfund eines Pilzsammlers aufgedeckt worden. Der Schwammerlsucher hat am 26. August an einem Waldweg einen Aktenkoffer mit belastenden Unterlagen gefunden und der Polizei übergeben, sagte der Leitende Deggendorfer Oberstaatsanwalt am Dienstag. Nachdem die Polizei die Hinweise aus den Aufzeichnungen überprüft hat, sei es zur Razzia bei dem Unternehmen gekommen.
Unterdessen habe sich der Verdacht gegen den 53-jährigen Inhaber der Fleischzentrale weiter erhärtet. Nach seinen Angaben haben ein Drittel der bisher untersuchten 33 Proben aus dem Unternehmen ergeben, dass dieses Fleisch nicht zum Verzehr geeignet ist. Bisher seien mehr als sechs Tonnen Waren, die teils schon drei bis vier Jahre alt waren, untersucht worden. Das Fleisch, darunter Wild und Spanferkel, wurde beim Privathaus des 53-Jährigen und in einem Lager im Landkreis Passau entdeckt.
Die Behörden prüfen unterdessen, ob dem Unternehmen die Zulassung entzogen werden muss. Auf Grund der Untersuchung der nicht mehr genießbaren Fleischproben gebe es Zweifel an der Zuverlässigkeit des Inhabers, sagte ein Sprecher der Regierung von Niederbayern. Zunächst wollen die Behörden anordnen, dass das verdorbene Fleisch vernichtet wird. Die nicht beanstandeten Waren sollen - wenn es nach den Behörden geht - aber dennoch zum Verkauf freigegeben werden.
Chefermittler geht davon aus, dass es auch früher schon bei der Fleischzentrale zu Verstößen gegen die Vorschriften kam. "Wir haben den Verdacht, dass es schon seit Jahren so geht." Der Koffer mit den privaten Aufzeichnungen, der die Ermittlungen ausgelöst hat, gehört laut dem Oberstaatsanwalt übrigens einem 19-jährigen ehemaligen Mitarbeiter des Betriebs.
DEUTSCHLAND WILL KÜNFTIG GAMMELFLEISCH-ANBIETER ÖFFENTLICH NENNEN
Wenn es nach dem Willen des deutschen Verbraucherschutzministers geht, sollen überführte Gammelfleisch-Anbieter künftig öffentlich genannt werden dürfen. Die entsprechende Gesetzeslücke solle mit dem neuen Verbraucherinformationsgesetz geschlossen werden, sagte der CSU-Politiker der "Bild"-Zeitung.
Außerdem forderte er, den Strafrahmen bei Verstößen gegen das Lebensmittelrecht voll auszuschöpfen - im Sinne der VerbraucherInnen sollten die Gerichte hier künftig härter vorgehen. Auch sollten die deutschen Länder häufiger von der Möglichkeit gebrauch machen, gegen Gammelfleisch-Händler Berufsverbote auszusprechen. Bisher hätten die Länder im Kampf gegen Fleischskandale nicht ausreichend mit dem Bund kooperiert.
GAMMELFLEISCH WISSENSCHAFTLICH BETRACHTET: CHEMISCH ODER MIKROBIOLOGISCH VERDORBEN
Die Bezeichnung "Gammelfleisch" ist kein gesetzlicher oder wissenschaftlicher Begriff für verdorbene Waren, erläutert der schon erwähnte Bereichsleiter für Verbrauchergesundheit im Gesundheitsministerium. Man müsse zwischen chemischem und mikrobiologischem Verderb unterscheiden - gesundheitliche Gefahr drohe vor allem durch Letzteren.
Beim chemischen Verderb verändern sich Geruch und Farbe des Fleisches. Das Fett beginnt zu oxidieren und das Lebensmittel färbt sich grünlich. Möglich sei dies beispielsweise bei zu lang gekühlten, vakuumverpackten Waren. Mikrobiologischer Verderb droht vor allem bei zu warmer, offener Lagerung. Dabei gelangen Umgebungskeime zum Fleisch. Diese breiten sich aus und das Fleisch beginnt zu faulen. Erkennbar wird ein derartiger Prozess neben Veränderungen bei Geruch und Farbe auch an der fehlenden Festigkeit des Fleisches.
Gesundheitliche Gefahr entstehe vor allem durch mikrobiologischen Verderb, bei dem Bakterien Lebensmittelvergiftungen auslösen können, so Informationen der Lebensmittelhygieniker. Bei chemisch verdorbener Ware zeigt das Fleisch vor allem unerwünschte Eigenschaften: Es riecht schlecht, verfärbt sich und schmeckt merkwürdig bis ekelerregend. Krank werde man davon allerdings nicht unbedingt – als gesundheitlich unbedenklich kann man es aber sicher auch nicht einstufen.
Ob bei einem Verzehr von Gammelfleisch zum Beispiel Übelkeit auftritt, hänge sehr von der Anfälligkeit bzw. der Robustheit des Einzelnen ab, erklärt ein Experte.
Der Grad des Verderbens und die Verarbeitung sind dafür verantwortlich, ob schon verarbeitetes "Gammelfleisch" beim Essen bemerkt wird - je mehr etwas gewürzt wird, desto weniger sind andere Geschmäcker spürbar.