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Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (08.07.2008)

Wien, am 08.07.2008

Plädoyer von DDr. Martin Balluch zum Haftprüfungsverfahren am 7. Juli 2008

lch möchte jetzt das mir nach §176 StPo zustehende Recht auf eine letzte Äußerung als Beschuldigter in Anspruch nehmen. Immerhin geht es um 2 Monate meines Lebens, die ich nach Ansicht des Staatsanwalts in einer Zelle verbringen soll. In meinen bisherigen fast 7-wöchgigen Gefängnisaufenthalt habe ich auch mit einem Gewalttäter die Zelle geteilt, der als 5-fach Vorbestrafter nach Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung genau solche 2 Monate im Gefängnis bleiben musste. Es handelt sich also um ein sehr schwerwiegendes Urteil, das heute gefällt werden soll.

Der Staatsanwalt hat eine lange, beeindruckende Liste von Straftaten vorgelesen. Wenn man sich das anhört, möchte man meinen, dass bald jede Auslagenscheiben eingeschlagen und jeder Verkaufsraum mit Buttersäure verstunken sein muss. Aber wenn der Staatsanwalt eine Liste aller Autounfälle der letzten Jahre vorlesen würde, dann bekäme man den Eindruck, dass bald jeder in einen Autounfall verwickelt sein müsse. Aber Halt! Erst eine statistische Analyse liefert die objektive Basis um derartige Listen richtig bewerten zu können.

Faktum ist, dass die Tierschutzkriminalität in Österreich im internationalen Vergleich verschwindend klein ist!

Selbst tierschutzfremde Länder wie Tschechien, Mexiko oder Spanien haben eine wesentlich höhere Kriminalitätsrate mit Tierschutzbezug.
Und das alles, obwohl Österreich, statistisch gesehen, die meiste Tierschutzaktivität aller Länder dieser Welt hat. Über 600 Tierschutz-Kundgebungen, über 150 Tierschutz-Aktionen und über 50 Tierschutz-Veranstaltungen pro Jahr stehen gerade einmal einer handvoll Fälle von Tierschutzkriminalität gegenüber.

Die soziologisch interessante Frage ist also eigentlich. Warum ist die Tierschutzkriminalität in Österreich so gering?

Und noch interessanter: warum gab es trotzdem gerade in Österreich die drakonistische Polizeiaktion aller Zeiten?

Die Staatsanwaltschaft und eine vom Innenministerium eingerichtete Sonderkommission zum Tierschutz ermitteln seit 2 Jahren. Bisher konnten sie keine einzige Straftat aufklären! Und das trotz massivem Lauschangriff, Abhören von Telefonen und Wohnräumen, Bespitzelung, Observierung und Einsatz von in die Vereine eingeschleusten Beamten. Statt die logische Schlussfolgerung zu ziehen, offensichtlich die Falschen ins Visier genommen zu haben – vielleicht sind die für die Tierschutzkriminalität Verantwortlichen doch EinzeltäterInnen oder autonome Kleinstgruppen, wie die Polizei im Akt festhält, die nicht offen als TierschützerInnen auftreten – bläst man zum Großangriff.

Der Grund ist nachvollziehbar. Staatsanwaltschaft und Sonderkommission wollen ihr Gesicht wahren und nicht als erfolglos und unfähig gelten. Also wurde ein massiver Polizeieinsatz mit 28 Hausdurchsuchungen bei der im Tierschutz aktivsten Personen Österreichs beschlossen. Und wie wurde das gerechtfertigt? Mangels irgendeines konkreten Tatverdachts ersann man das nebulose Konzept einer großen Kriminellen Organisation. Weil eine derartige Organisation mindestens 10 Personen umfassen muss, wurden willkürlich genau 10 Personen in Haft genommen, und dabei einfach ignoriert, dass diese Personen sich nicht gegenseitig kennen und zu Gruppen gehören, die seit vielen Jahren nichts miteinander zu tun haben, ja in regelrechter Feindschaft miteinander leben.

Bemerkenswert ist auch, dass sich Staatsanwalt und Polizei bisher standfest geweigert haben, mich zu befragen und mir irgendwelche Indizien vorzulegen, obwohl mein Anwalt seit Wochen darum anfragt. Was für ein anderer Schluss ist aus diesem Umstand zu ziehen, als dass sie keine Fragen und keine Evidenz haben?

Ein paar kritische Fragen zeigen sofort die Unhaltbarkeit des Vorwurfs einer großen kriminellen Organisation:

  • Warum soll es sich bei den Verantwortlichen für die Tierschutzkriminalität um eine große Organisation statt viele autonome Kleinstgruppen handeln? Es gibt dafür kein Indiz. Der eigentliche Grund ist, dass nur das Strafmaß für eine große Organisation eine Untersuchungshaft rechtfertigt.
  • Warum sollen gerade die vom Staatsanwalt genannten Straftaten der kriminellen Organisation zugeordnet werde, und nicht mehr oder weniger? Es gibt kein Kriterium für die Zuordnung. Die Liste ist willkürlich, nicht zu kurz, um die kriminelle Organisation als genügend gefährlich darstellen zu können, und nicht zu lang, dass sie nicht als übertrieben und unglaubwürdig wirkt.
  • Welche Personen sollen Mitglieder dieser Organisation sein und warum? Wiederum kann kein Kriterium dafür angegeben werden. Die 10 Verhafteten wurden willkürlich ausgewählt, weil mindestens 10 Verdächtige für eine große kriminelle Organisation notwendig sind, während wesentlich mehr als 10 wiederum unglaubwürdig wirken würden. Allein schon, dass genau 10 ausgewählt wurden, zeigt schon die Willkür, die hinter der Auswahl steht.
  • Dass Staatsanwalt und Sonderkommission derartig über Leichen gehen, um ihr Gesicht zu wahren, ist zutiefst erschütternd. Offenbar sind sich diese Leute nicht bewusst, was sie dabei anrichten!
  • Zahllose Personen wurden in der Nacht von einer Gruppe bewaffneter, maskierter Männer zu hause in der Nacht überfallen. Man hat sie im Bett mit Scheinwerfern angestrahlt und ihnen Schusswaffen an den Kopf gelegt. Davon waren alle Personen betroffen, auch jene, die nichts mit Tierschutz zu tun hatten und auch in den Wohnungen anwesend waren, darunter ein 7-jähriges Mädchen. Alle diese Opfer der Polizeiüberfälle sind jetzt schwerst traumatisiert.
  • Die Intimsphäre zahlloser Personen wurde schwerst verletzt, ihre privatesten Bereiche durchwühlt, alle persönlichen Sachen von fremden Menschen angeglotzt und angetatscht.
  • 10 Personen wurden wochen – bzw. monatelang in winzige Zellen gesperrt und ihrer Freiheit beraubt. Ihr gesamtes Leben wurde damit unterbrochen, ihre Planung durcheinandergebracht. Und sie konnten die ihnen wichtigsten Personen und ihre Tiere nicht mehr sehen!
  • Zusätzlich kam es zu einer ungeheuerlichen Rufschädigung für die verdächtigen Personen. Von der Nachbarschaft über Bekannte und die KollegInnen am Arbeitsplatz bis zu den Mitgliedern in den Tierschutzvereinen un die Zielgruppen der Tierschutzaktivität, allen diesen Personen gegenüber wurde ein Verdacht auf kriminelle Aktivität vorgegaukelt, der gar nicht existiert.
  • Und die Polizeiaktion hat auch eine ungeheuerliche Sachbeschädigung verursacht, z.B. sind alle Computer und Laptops jetzt unbrauchbar und müssen neu gekauft werden. Für den VEREIN GEGEN TIERFABRIKEN ergibt sich ein gesamter Sachschaden von wahrscheinlich mehreren 100.000 Euro.

Die psychischen Schäden, die durch Staatsanwalt und Sonderkommission angerichtet wurden –fahrlässig oder sogar vorsätzlich -, sind nicht mehr wieder gutzumachen. Zahllose Personen wurden schwer traumatisiert, ihr Vertrauen in die Staatsgewalt maßgeblich erschüttert, ihr Zuhause wurde geschändet, sie selbst zutiefst erniedrigt und gedemütigt. Für alle Zukunft werden sie in Angst leben müssen. Die meisten werden eine Psychotherapie brauchen.

Staatsanwalt und Sonderkommission haben sogar Evidenz fabriziert, die keine ist, wie ein fingierter Belastungszeuge und eine fingierte Brandstiftung. Die Verantwortlichen für diese Verbrechen müssen zur Verantwortung gezogen werden!!

Für die Zukunft bleibt mir eine letzte Frage. Es geht in der heutigen Verhandlung nicht um Schuld, sondern lediglich um einen dringenden Tatverdacht. Wenn ich hier herauskomme, was soll ich nach Ansicht des Gerichts anders machen, um nicht mehr verdächtig zu sein, nicht mehr in Untersuchungshaft genommen zu werden?

  • Muss ich eine andere Gesinnung haben, obwohl mit die Verfassung garantiert, dass ich aufgrund meiner Weltanschauung nicht benachteiligt werden kann?
  • Darf ich keine normale NGO-Arbeit mehr machen, obwohl diese Arbeit international anerkannt ist und nicht nur demokratiepolitisch notwendig, sondern auch im Sinne der großen Mehrheit der Bevölkerung in Österreich?
  • Darf ich keine Konferenzen mehr organisieren oder keine (Neu-) AktivistInnentreffen mehr abhalten?
  • Oder darf ich keine Bücher mehr schreiben und die dafür nötigen Daten sammeln und Archive anlegen?

Wenn sich diese Fragen nicht vernünftig und klar beantworten lassen – wie kann dann meine Untersuchungshaft rechtsstaatlich gedeckt sein?

DDr. Martin Balluch


Zusatz:

Analyse der Liste von Straftaten, die laut Staatsanwaltschaft ohne Angaben von Gründen der angeblichen kriminellen Organisation angeordnet werden.
Bei der Haftverhandlung vom 6.6.2008 führte der Staatsanwalt eine Liste von 33 Straftaten an. Von dieser Liste müssen unmittelbar 5 Straftaten abgezogen werden, die laut Akt vor In-Kraft-Treten des §278a StGB gesetzt worden sind, und damit nicht unter diesen Paragraphen fallen.
Vorfall A-j ist ein klassischer Run-in, eine nicht-kriminelle Aktion des zivilen Ungehorsams, wie sie für NGOs üblich ist.
Vorfall B-a war eine angemeldete Demonstration im Beisein der Polizei, also keine kriminelle Aktivität.
Vorfälle A-bb und A-ee betreffen das Filmen eines Schweinestalls durch simples, schabeschädigungsfreies Betreten durch eine offene Tür. Sie sind daher auch nicht kriminell.
Vorfall A-y ist, wie anderswo ausgeführt, keine Brandstiftung, sondern ein fahrlässiger Brand durch Überhitzen eines nicht-isolierten Ofens.
Vorfall A-dd betrifft das Aufstechen eines Reifens eines Polizeiautos und hat keinerlei Tierschutzbezug.
Übrig bleiben nach diesen Abzügen nur mehr 22 Vorfälle in 6 Jahren, mit einem Gesamtschaden von wesentlich weniger als 100.000 Euro. Also 3 Fälle pro Jahr! Diese 22 Vorfälle gliedern sich in:

  • 7 Stinkbomben aus Buttersäure
  • 7 mal eingeschlagene Scheiben
  • 3 mal Farbschmierereien
  • 2 mal beschädigte Hochstände bzw. eine leere, uralte, desolate Fasanvoliere
  • 2 Tierbefreiungen (Schweine und Fasane) ohne Sachbeschädigung
  • 1 briefliche Drohung

Mit dieser Tätigkeit innerhalb von 6 Jahren soll die angebliche kriminelle Organisation erheblichen Einfluss auf Wirtschaft und Politik ausgeübt haben!

Aus Umsägen jagdlicher Einrichtungen kann in keinster Weise als Einflussnahme auf Politik und Wirtschaft gesehen werden.
Ebenso das Beschmieren des Wohnhauses eines Tierexperimentators.
Die zwei Tierbefreiungen sind offensichtlich der Versuch bedrohten Individuen unmittelbar zu helfen, und in keinem Einfluss auf Wirtschaft oder Politik auszuüben.
Hiermit bleiben nur noch 17 Vorfälle in 6 Jahren. 15 davon waren gegen die Besitzer der Firma Kleider Bauer gerichtet, 1 gegen ein Pelzgeschäft und 1 briefliche Drohung gegen eine Tierversuchsfirma.
DDr. Balluch hat sich weder führend an der Kampagne gegen Kleider Bauer noch gegen Pelz betätigt. In Österreich führt weder jemand eine Kampagne gegen Tierversuche im Allgemeinen, noch gegen die betroffene Firma im speziellen.
Keinem der Beschuldigten kann auch nur eine der genannten Straftaten durch konkrete Verdachtsmomente zugeordnet werden! Es gibt keinen Hinweis, dass für alle Vorfälle dieselbe Tätergruppe verantwortlich ist!


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