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Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (11.09.2008)

Wien, am 11.09.2008

Statement von VGT-Obmann DDr. Martin Balluch nach seiner Freilassung

Vor einer Woche wurde ich aus der Untersuchungshaft entlassen. Man hat mich ohne Hausschlüssel und ohne Autoschlüssel, aber auch ohne Zugang zu meinen Konten, ohne Armbanduhr, ohne Handy und natürlich auch ohne Computer usw. auf die Strasse gesetzt. Ginge es also nach das Polizei, könnte ich weder meine Wohnung betreten noch mit meinem Auto fahren oder überhaupt Geld abheben. Zum Glück aber gibt es ungeheuer viele Menschen, die mich unterstützen.

Ich möchte mich daher an dieser Stelle in aller erster Linie bei all diesen Menschen bedanken, die so viel Solidarität und Mitgefühl gezeigt haben, die für mich demonstriert, für mich bei den zuständigen Stellen protestiert und mir in sonstiger Weise geholfen haben. Ich bin richtig gehend beschämt durch diese breite Unterstützung und werde Euch immer dankbar sein.

Auch jetzt nach meiner Befreiung sprechen mich laufend Menschen auf der Strasse an und drücken mir ihre Solidarität aus. Trotz massiver staatlicher Gegenpropaganda lassen sich die Menschen offenbar nicht täuschen. Ich persönlich habe bisher noch keine einzige negative Reaktion erlebt. Auch die materielle Unterstützung in meiner Notsituation ist vollkommen unglaublich. Ich danke Euch allen von ganzem Herzen und sehe das auch als Anerkennung für meine friedliche und gewaltfreie Arbeit für den Tierschutz, die ich in den letzten 29 Jahren geleistet habe.

Aber die Repression ist noch nicht zuende. Die betroffenen Tierschutzvereine wie der VGT haben noch immer nicht ihre Infrastruktur zurückerhalten. Mit 2 Lastwägen wurden vor 4 Monaten alle Computer, 400 Aktenordner, unser gesamtes Film- und Fotoarchiv, unsere Mitgliederdaten, unsere Video- und Fotokameras, unsere Buchhaltung usw. von der Polizei abstransportiert und bisher trotz laufender Anfragen nicht mehr zurückgegeben. Offensichtlich soll auf diese Weise versucht werden, unsere Arbeit zu torpedieren und zu verhindern.

Zusätzlich ist alles, was mir von der Polizei als „Verdacht“ gegen mich vorgehalten wurde, für NGO-Arbeit vollkommen normal und typisch.

Selbst die Aufforderung an Firmen sich tierfreundlicher zu verhalten, weil sonst eine Kampagne drohe, und der Aufruf zu Kampagnen generell, wurde als Hinweis auf eine kriminelle Organisation gedeutet. Solange §278a unverändert weiter existiert, ist normale NGO-Arbeit nicht mehr möglich ohne die ständige Angst, jederzeit in Untersuchungshaft genommen werden zu können. Dass es nämlich bei dieser ganzen Polizeioperation niemals um die Aufklärung von Straftaten ging, sondern immer nur darum, die aktivsten Tierschutzorganisationen Österreichs zum Schweigen zu bringen, ist mittlerweile bewiesen. Allein schon das Faktum, dass tierschutzbezogene Kriminalität in Österreich im internationalen Vergleich sehr gering, der Tierschutzerfolg aber sehr groß ist, und gerade in Österreich die mit Abstand brutalste Polizeiaktion gegen den Tierschutz aller Zeit weltweit stattgefunden hat, spricht Bände. Es sind die Tierschutzerfolge, die mit dieser Polizeiaktion verhindert werden sollten, nicht irgendwelche kriminellen Straftaten.

Erinnern wir uns. Seit 1998 haben wir in Österreich im Tierschutz Erfolgsgeschichte geschrieben. Mit dem Pelzfarmverbot in diesem Jahr wurde eine ganze Kette von Tierschutzgesetzen ganz neuer Qualität erstritten, die mit dem Legebatterieverbot, das 2004 beschlossen wurde, ihren bisherigen Höhepunkt fand. Natürlich gab es auch erfolgreiche Kampagnen gegen den Handel jener Waren, die in Österreich nicht mehr produziert werden durften, wie Pelz und Käfigeier. Für Tierschutzorganisationen eine Selbstverständlichkeit – für die Tierindustrie offenbar eine Bedrohung.

Spätestens 2004 wurde deutlich, dass wir einer mächtigen Clique zu sehr auf die Zehen getreten sein mussten. Plötzlich blies ein heftiger Gegenwind, wir wurden laufend beschattet und bespitzelt, unsere Kundgebungen und Veranstaltungen wurden in Bausch und Bogen untersagt, es gab Warnbriefe an alle Schulen, das Finanzamt wurde instruiert unsere Steuergebahrung zu untersuchen, die Verwaltungsstrafen bei unseren Aktionen stiegen ins Unermessliche und der Innenminister bezeichnete den VGT öffentlich als gewalttätige Organisation, ohne dafür auch nur den geringsten Hinweis zu haben.

Doch als auch diese Repressionsmassnahmen keine Eindämmung unserer Erfolgsliste brachten – so erreichten wir erst letztes Jahr ein weltweit einzigartiges Verbot der Käfighaltung für Fleischkaninchen – wurde an höchster Stelle ernsthaft interveniert. Aus internen Akten geht deutlich hervor, dass die Besitzer einer Bekleidungsfirma das Ende unserer legalen Kampagne an höchster Stelle einforderten. Und die Netzwerke der Jägerschaft, die auch immer wieder unsere Kritik zu spüren bekommt, taten ihr übriges, sodass die Gründung einer Sonderkommission beschlossen wurde, um unsere Arbeit zu verhindern. Unsere politischen GegnerInnen wurden von der Polizei in Medienarbeit gegen den Tierschutz beraten, es gab Planungstreffen zur Verhinderung von legalen Tierschutzaktionen und Strategiesitzungen mit dem Ziel, dem VGT die Gemeinnützigkeit zu nehmen und andere Aktivitäten zu setzen, um ihn möglichst zu schädigen und zu vernichten. In diesen Sitzungsprotokollen findet sich kein einziges Wort von Kriminalität. Dort geht es nur darum, den Tierschutz und insbesondere den VGT zu schädigen und zum Schweigen zu bringen. Ein erschütterndes Dokument von Machtmissbrauch.

Es folgte ein jahrelanger großer Lauschangriff auf den Tierschutz. Dutzende Personen wurden am Telefon abgehört und es wurden ihre Emails gelesen. Vereins- und Privatfahrzeuge wurden mit Peilsendern versehen, es gab Mikrophone in Privatwohnungen, VGT-Räumlichkeiten und einem Kaffeehaus, in dem Tierschutztreffen stattfanden. Verdeckte ErmittlerInnen wurden in den VGT eingeschleust, die Eingänge von 3 Privatwohnungen wurden ständig gefilmt und dutzende Personen wurden über Monate hinweg 24 Stunden pro Tag observiert. Und dieser ungeheuerliche Aufwand führte zu keinerlei Hinweis, dass auch nur eine der überwachten Personen eine kriminelle Handlung setzte, plante oder organisierte. Gibt es einen besseren Beweis für die Unschuld der betroffenen Personen?

Da also auch der große Lauschangriff keine Möglichkeit brachte, den Tierschutz zum Schweigen zu bringen, setzten die Verantwortlichen auf eine weitere Eskalation.

Am 21. Mai wurden, wie bekannt, 23 Wohnungen und Büroräumlichkeiten von bewaffneten und maskierten Polizeikräften überfallen und leer geräumt. 10 Personen – „zufällig“ genau die Mindestzahl für eine kriminelle Organisation nach §278a – überstellte man in Untersuchungshaft und hielt sie dort 3 ½ Monate ohne jede konkrete Begründung fest. Erst politischer Druck konnte diesen ungeheuerlichen Bruch der Menschenrechte beenden.

Die Grundrechte der freien Meinungsäußerung, der Versammlungsfreiheit und der Freiheit sich in Vereinen zu verbinden besteht in Österreich. Allerdings offenbar nur, solange die Ausübung dieser Grundrechte nicht gesellschaftsverändernd eingesetzt wird. Meinungsfreiheit ja – aber wehe genügend Menschen hören zu und verändern deshalb ihr Kaufverhalten, sodass z.B. Kleider Bauer oder andere Firmen, die Tiermissbrauch in klingende Münze verwandeln, geschmählerte Profite erwirtschaften. Versammlungsfreiheit ja – aber nur solange Geschäftsinteressen dadurch nicht gestört werden. Und Vereinsfreiheit ebenfalls ja – aber nur als Debattierclubs. Wehe den Vereinen oder Bürgerinitiativen, deren Aktionen und Kampagnen Wirkung zeigen und die Gesellschaft verändern.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung und damit das Innenministerium haben in vielen Äußerungen deutlich gemacht, dass sie jeden politischen Einfluss von außerhalb des Parlaments als staatsgefährdend betrachten. Politischer Druck aus der Zivilgesellschaft, auch wenn eine Mehrheitsmeinung des Volkes dahintersteht, wird mit Terror gleichgesetzt und bekämpft bzw. verhindert. Doch damit stellt sich gerade jene Institution ausserhalb der Verfassung, die dafür geschaffen wurde, sie zu schützen.

Jede Machtkonzentration verleitet zum Missbrauch. Auch und gerade die Polizei mit ihrem Gewaltmonopol in der Gesellschaft kann missbräuchlich instrumentalisiert werden, wie das in unserem Fall offensichtlich geschehen ist. Vor 40 Jahren rollten die Sowjetpanzer den Prager Frühling nieder. Und ähnlich wie damals die ersten Anzeichen von einer Veränderung zu mehr Menschlichkeit in der Gesellschaft brutal entwurzelt wurden, so versucht der Staat heute die ersten Anzeichen für einen echten Wandel zu mehr Menschlichkeit im Umgang mit Tieren zu zertrampeln. Damals wie heute hat man die DissidentInnen und die Aktivsten der kritischen DenkerInnen einfach weggesperrt, um sie zum Schweigen zu bringen. Eine erschütternde Parallele von totalitärer Gewalt zum rücksichtslosen Schutz der Eigeninteressen einer mächtigen Minderheit.

Die Zivilgesellschaft ist ein unersetzliches Korrektiv für Machtmissbrauch und Regieren gegen die BürgerInnen. Die Zivilgesellschaft ist daher auch das erste Opfer am Weg zur totalitären Entwicklung. Was hier geschehen ist, ist ein Alarmsignal, das alle wachsamen BürgerInnen aufrütteln muss. Allein schon der große Lauschangriff gegen den Tierschutz ist ein beängstigendes Symptom der stetigen Entwicklung zu mehr Überwachungsstaat. Wie im Tierschutz die angeblich kriminellen Handlungen, so wird in der Gesamtgesellschaft der internationale Terrorismus als Begründung vorgeschoben, um Überwachung, Bespitzelung und Repression zu rechtfertigen. Diese Entwicklung muss gestoppt werden. Der Metternichsche Polizeistaat führte zu Verzweiflung und Revolution, nicht zu einem sicheren Staat zufriedener BürgerInnen.

Die Problematik reicht weit über den Tierschutz hinaus. In einer eigenen außerordentlichen Generalversammlung hat der VGT seine Statuten geändert, um auch die Verteidigung unserer Grundrechte als Vereinsziel festzuschreiben. Ohne Grundrechte können wir auch für den Tierschutz nichts weiter bringen. Alles hängt jetzt davon ab, wie dieser Skandal aufgelöst wird. 3 essentielle Voraussetzungen scheinen mir dabei notwendig, um effektive NGO-Arbeit weiterhin möglich zu machen:

  • Die Verantwortlichen für diesen Gewaltangriff gegen den Tierschutz müssen zur Verantwortung gezogen werden.
  • Der Schaden, der durch diese Gewaltaktion angerichtet wurde, muss vollständig wiedergutgemacht werden.
  • Und §278a StGB muss abgeschafft oder so verändert werden, dass er für NGO-Arbeit in Hinkunft keine Gefahr mehr darstellt.

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