Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (23.06.2010)
Wien, am 23.06.2010ÖH organisiert Podiumsdiskussion zu §278ff
Einhellig wurde eine Reform von §278a, die noch vor Ende des Prozesses gegen die TierschützerInnen in Kraft treten soll, gefordert
Für den 22. Juni 2010 hatte die ÖH mit Hörsaal 28 in der Hauptuni Wien einen großen Saal vorgesehen, um ihre hochkarätige Podiumsdiskussion zu §278ff abzuhalten. Und dieser war letztendlich fast voll. Immer mehr Menschen zeigen sich nämlich durch die Entwicklungen Richtung Polizeistaat sehr irritiert, auf breiter Basis werden von der Zivilgesellschaft, von JournalistInnen-Organisationen und von kritischen BürgerInnen ein Überdenken der geplanten Terrorismusprävention und eine Reform von §278a gefordert. Auch der VGT möchte in dieser Diskussion partizipieren und wird, insbesondere als Betroffener, in den nächsten Wochen und Monaten einige Veranstaltungen dazu organisieren. Der Justizsprecher der SPÖ, Dr. Hannes Jarolim, hat es treffend formuliert: „Wir müssen für das Tierschutzverfahren dankbar sein, weil es hat uns die Augen für die Problematik geöffnet!“
Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Michaela Hoffmann von der ÖH
Sie stellte gleich am Anfang fest, dass VertreterInnen von Justiz, Polizei und ÖVP eingeladen worden seien, aber die Diskussion verweigert hätten. TeilnehmerInnen am Podium waren daher SPÖ Justizsprecher Dr. Hannes Jarolim, die Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich Mag. Barbara Weber, Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk und der Justizsprecher der Grünen Mag. Albert Steinhauser. Prof. Funk musste in letzter Sekunde für Dr. Ingeborg Zerbes vom Institut für Strafrecht der Uni Wien einspringen, die plötzlich verhindert war.
Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk eröffnete die Diskussion, indem er auf §278 (3) aufmerksam machte, eine Bestimmung, die für alle §278ff Gültigkeit hat
Darin wird festgelegt, dass diejenige Person als Mitglied einer kriminellen Organisation oder einer terroristischen Vereinigung zu bestrafen ist, die sich „auf andere Weise“ in dem Wissen beteiligt, dass die Organisation oder ihre Straftaten dadurch gefördert werden. Das sei so unpräzise formuliert, dass sich das Strafrecht dadurch zu einem Gesinnungs-, Absichts- und Verdachtsstrafrecht entwickle. Im Effekt bedeute das eine Beweislastumkehr: alles wird potentiell verdächtig und gefährlich. Prof. Funk nannte das ganz deutlich einen Rückschritt in der strafrechtlichen Entwicklung. Tatsächlich sind die MitarbeiterInnen des VGT im Tierschutzprozess genau nach diesem Paragraphen angeklagt.
Prof. Funk kritisierte aber auch die geplante §278ff Novelle. Danach sei eine Berichterstattung über die Aktivitäten einer verdächtigen Organisation nicht strafbar, aber eine Anleitung, wie diese Organisation agiert, schon. Der Unterschied liegt aber nur in den Augen der BetrachterInnen und nicht im geschriebenen Wort. Tatsächlich sieht das neue Terrorismuspräventionsgesetz vor, dass eine Tat zur Straftat werden soll, wenn sie geeignet ist, das allgemeine Rechtsempfinden zu empören. „Das ist in Gesetzesform gegossene Willkür“, konstatierte Prof. Funk.
SPÖ Justizsprecher Dr. Hannes Jarolim begann seine Ausführungen mit der Frage, wie Sicherheit vor kriminellen Organisationen herbeigeführt werden kann
§278a sei eingeführt worden, damit auch Situationen polizeilich verfolgbar würden, in denen eine Organisation Straftaten vorbereite, aber noch nichts Konkretes passiert sei. Das Problem dabei sei aber, dass es sich um ein Verdachtsdelikt handle und es daher nur mit Sorgfalt anzuwenden sei. §278a sei aber nur für schwere kriminelle Handlungen gedacht gewesen. Absurd ist aber, so Dr. Jarolim, die Anwendung von §278a unabhängig davon zu machen, ob die Statuten einer Gruppe kriminell ausgerichtet oder eigentlich wünschenswert sind. Im Prozess in Wr. Neustadt würde man sehen, dass es extreme Ermittlungen gegeben habe, dass dabei nichts Ausreichendes gefunden worden sei, und dass man deshalb auf §278a zurückgegriffen habe. Es solle jetzt eine breite Diskussion insbesondere im September und Oktober geben, dann könne man eine entschärfte Version des Terrorismuspräventionsgesetzes sowie eine Reform von §278a beschließen. Am 1. Jänner 2011 könne das alles dann in Kraft treten. Dr. Jarolim machte deutlich, dass er das Argument, man müsse auf den Ausgang des Tierschutzprozesses warten, nicht akzeptiere: „Wenn man bereits sieht, dass etwas anders läuft, als es vom Gesetzgeber geplant war, dann muss man sofort eingreifen.“ Laufende Verfahren werde es immer geben, es wurde ja jetzt auch gegen die Väterrechtsaktivisten ein §278a-Verfahren eingeleitet.
Die Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt zeige jedenfalls, wie der Gesetzgeber mit einem Gesetz einfahren kann. Die Anwendung auf NGOs muss über deren Zielsetzung ausgeschlossen werden. Der Tierschutzprozess zeige jedenfalls klar, dass etwas geschehen muss. Dr. Jarolim will jedenfalls nicht, dass Zeitschriften wie das Tatblatt durch §278ff verboten werden, wie sich das im Tierschutzprozess anbahnt. Aber auch der Vorwurf, der das zentrale Thema im Wr. Neustädter Prozess ist, dass man den Angeklagten zwar keine Planung oder Durchführung von Straftaten vorwerfe, aber behaupte, sie hätten im Rahmen ihrer legalen Kampagnen mit Straftaten ihnen Unbekannter förmlich gerechnet, soll nach Dr. Jarolim nicht zu einer gerichtlichen Verfolgung führen können.
Zu den Reformen soll es ein Expertenhearing und einen runden Tisch geben. Wer sich einbringen will, sollte das tun. Man könne ihn jederzeit kontaktieren. „Aufgrund der Geschehnisse ist aber klar, dass §278a verändert werden muss“, schloss Dr. Jarolim seine Ausführungen.
Der Grüne Justizsprecher Mag. Albert Steinhauser betonte, dass der Gesamtkontext zu 9/11 und der damit einhergehenden sicherheitspolitischen Wende zu beachten sei, um das Problem zu verstehen
Die Grundrechte würden sukzessive ausgehöhlt. „Das Geschäft mit der Angst nimmt zu“, stellte Mag. Steinhauser fest. „Die neokonservative Wende soll Grundfreiheiten, die manchen schon lange ein Dorn im Auge waren, entfernen“. Damit sei der Weg zum Überwachungsstaat frei.
Morde gebe es 30-40 pro Jahr, Terrorismus in Österreich keinen. Wenn jetzt die Terrorismusprävention verschärft würde, dann zeige das eine falsche sicherheitspolitische Priorität. Spricht sich ein Mensch für einen Anschlag der PKK in der Türkei aus, dann habe er nach §278ff eine terroristische Straftat begangen. Sagt jemand am Stammtisch, Frauen zu schlagen sei schon richtig, dann habe das aber keine Konsequenzen. Welche dieser beiden Handlungen sei aber häufiger, fragte Mag. Steinhauser rhetorisch.
Die Grünen seien nicht für eine Abschaffung von §278a, weil es z.B. Zwangsprostitution durch kriminelle Organisationen gebe, gegen die vorgegangen werden müsse. Daher schlagen die Grünen vor, eine Bereicherungsabsicht als definierendes Kriterium in §278a aufzunehmen. Dann sei §278a auf NGOs nicht mehr anwendbar.
Man könne sich mit §278ff nicht auf die EU oder die UNO ausreden. 80% der Formulierungen in §278ff seien nämlich gegenüber den internationalen Vorgaben überschießend. §278a und §278ff seien also in ihrer derzeitigen Form nicht notwendig. Im Parlament ist auch bereits eine Mehrheit für eine entsprechende Änderung, weil neben der SPÖ und den Grünen auch die FPÖ eine Reform wolle. Letzteres deshalb, weil der Burschenschaftsflügel der FPÖ aufgrund der geschichtlichen Entwicklung aus der Tradition der 1848er Revolution auch einen freiheitlichen Anspruch habe. Die SPÖ sollte daher, mit dieser Parlamentsmehrheit im Rücken, das Spiel der ÖVP spielen und einen Beschluss zum Terrorismuspräventionsgesetz blockieren, bis die ÖVP einer entsprechenden Änderung von §278a zustimme. Er als Oppositionspolitiker lobe den Justizsprecher der Regierung Dr. Jarolim bzgl. seines Standpunktes in dieser Sache, was nicht oft vorkomme, aber er hoffe auch, dass Dr. Jarolim entsprechend handle und werde das genau beobachten.
Zuletzt sprach die Geschäftsführerin von Amnesty International Mag. Barbara Weber
Sie betonte, dass sie allem, was bisher gesagt worden sei, nur zustimmen könne. Amnesty International würde bereits seit 2002 Stellungnahmen gegen §278ff in dessen derzeitiger Formulierung abgeben. Die Strafverfolgung von NGOs sehe sie nicht an sich als problematisch, aber das Problem entstehe durch die überschießenden Formulierungen der Gesetzestexte. So reiche es für eine terroristische Straftat, wenn es zu einer „schweren Störung des öffentlichen Lebens“ komme. Das entspreche nicht internationalen Standards der Definition von Terrorismus. „Amnesty International hält das für bedenklich und brandgefährlich“, meinte Mag. Weber.
Weitreichende Gesetze würden eine besondere legistische Genauigkeit verlangen, daher sollten alle §278ff noch einmal genau angeschaut werden, bevor die Reform beschlossen werden kann. Betont werden müsse hier, dass eine genaue Formulierung möglich ist und nicht durch die Komplexität der Sachlage ausgeschlossen sei.
Amnesty
International würde einen runden Tisch
zu diesem Themenkomplex sehr begrüßen.
Das Zeitfenster bis zum Beschluss müsse
genutzt werden. Österreich brauche eine
professionelle Polizei, aber die Terrorbekämpfung
sollte auch nicht außer Acht lassen,
dass Terrorismus in erster Linie durch
das Angehen sozialer Probleme verhindert
werden könne. Mit schärferen Gesetzen
würde man nur eine Scheinsicherheit schaffen.