Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (29.10.2010)
Wien, am 29.10.2010Podiumsdiskussion "Wirtschaft vor Meinungsfreiheit"?
Spannende Diskussionen über Repression und Überwachung im vollbesetzten Hörsaal 2 des NIG der Uni Wien
Hat es solche Diskussionen nicht schon oft gegeben, in letzter Zeit? Wer dieser Meinung war und deshalb zu Hause geblieben ist, hat wirklich etwas versäumt. Drei sehr interessante Buchautoren haben ihre durchaus verschiedenen Blickwinkel eingebracht und mehr als 100 BesucherInnen im voll besetzten Hörsaal beteiligten sich an der Diskussion.
VGT-Obmann DDr. Martin Balluch eröffnete die Veranstaltung mit einem Kurzreferat über den Stand der Dinge beim Tierschutzprozess. In der momentanen Prozesspause gab es ja neue Entwicklungen, wie z.B. die Verurteilung der Polizei, weil sie das Recht der Angeklagten auf Akteneinsicht verletzt hat. Anschließend sprachen die Podiumsteilnehmer.
Klaus Werner-Lobo, mehrfacher Buchautor (zuletzt: „Uns gehört die Welt“) zu Kapitalismus und Verteilungsungerechtigkeit der Ressourcen der Erde, konnte sich von den Koalitionsgesprächen, die er als Grün-Vertreter im Moment mit der SPÖ im Wiener Rathaus führt, losreißen und seinen Zugang zur momentanen Repression sozialer Bewegungen darlegen. Als Repräsentant der Bürgerinitiative 278 hat er seinerzeit die Petition für eine Reform von §278a medienwirksam im Parlament übergeben. In seinem Redebeitrag führte er die Repression direkt auf die Interessen der Mächtigen in der Gesellschaft zurück. Die gesellschaftlich Oberen würden in bewährter Manier die Mittleren gegen die Unteren aufhetzen und damit auch ihre Repressions- und Überwachungsmaßnahmen diesen Mittleren als Waffe gegen die Unteren einreden. Die Staatsgewalt müsse besser überwacht werden, nicht die BürgerInnen. Von ihr ginge eine größere Gefahr für die nationale Sicherheit aus.
Ilija Trojanow, Literaturpreisträger und Ko-Autor des Buches „Angriff auf die Freiheit“, brachte seine Erfahrungen unter der kommunistischen Diktatur in Bulgarien ein. Heute würden wir im Westen in einem Protofaschismus leben. Gegenüber dem Vorwurf seitens des Verfassungsschutzes, es würde eine Radikalisierung in der Gesellschaft geben, die bekämpft werden müsse, sagte Trojanow deutlich: „nein, nein und nochmals nein, dreimal nein!“ Für ihn leidet die Gesellschaft heute unter einer politischen Lethargie und man müsse daran arbeiten, die Menschen zu mobilisieren. Wirtschaftsliberalismus bedeute keine Freiheit, weil er ohne strikte Hierarchie nicht auskäme. Auch die radikalsten Libertärs hätten immer gefordert, der Staat solle Militär und Polizei einsetzen, um das Eigentum der Mächtigen zu schützen. Auch die Medienwelt würde den freiheitlichen Prinzipien nicht genügen, wir würden statt in einer Informationsgesellschaft in einer Lügengesellschaft leben.
Dr. Hans Zeger, Obmann der ARGE Daten, Mitglied des Datenschutzrates im Bundeskanzleramt und Autor des Buches „Mensch. Nummer. Datensatz“, meinte, seiner Erfahrung nach würde „Datenschutz“ nicht im Sinne der BürgerInnen gebraucht, sondern nur dann, wenn BürgerInnen Informationen vorenthalten werden sollen. Wenn sich die BürgerInnen mittels Verschlüsselung der Überwachung entziehen wollen, dann würden sie gleich kriminalisiert, wie das auch beim Tierschutzprozess zu beobachten sei. Die Wirtschaft halte sich die Politik bzw. den Staat sozusagen als „Kasperltheater“, die wichtigen Entscheidungen würden anderswo fallen.
Nach
einer spannenden Diskussion mit den ZuhörerInnen
unterstrich Werner-Lobo die Richtigkeit
dieses letzten Kommentars von Dr. Zeger.
Bei seinen Verhandlungen im Rathaus würde
klar werden, dass der Handlungsspielraum
der Politik unter den wirtschaftlichen
Zwängen minimal sei. Man dürfe auch von
einer rot-grünen Regierung keine Wunder
erwarten. Alle BürgerInnen seien aufgerufen,
ihre Gesellschaft selbst in die Hand
zu nehmen. Nur so könne sich etwas ändern. Dr. Zeger meinte, NGOs hätten das Gefühl
so machtlos zu sein, dabei würden sie
stärkere Hebel zur Veränderung in der
Hand haben, als die politischen Parteien
mit ihrer Abhängigkeit von der Wirtschaft.