Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (13.04.2011)
Wien, am 13.04.2011Der Tierschutzprozess ist zu Ende gegangen
Nach 97 Prozesstagen – manche davon bis zu 15 ½ Stunden ohne Mittagspause lang! – steht nur noch der Tag der Urteilsverkündung am 2. Mai aus
Der Tierschutzprozess ist aus. Am 31. April wurde das Beweisverfahren beendet, d.h. die Richterin ließ keine weiteren ZeugInnen oder Beweisanträge von Staatsanwaltschaft oder Verteidigung mehr zu. Am 1. April hielten der Staatsanwalt, die RechtsanwältInnen und die Angeklagten ihre Schlussplädoyers. Was fehlt ist nur noch die Urteilsverkündung am 2. Mai.
Es war schon seit einiger Zeit absehbar, dass die Richterin das Verfahren nicht mehr weiterführen wollte. Dann kündigte sie das Ende an und lehnte in immer rasanterem Tempo alle weiteren Anträge von Staatsanwaltschaft und Verteidigung ab. Die Prozesstage wurden von 9 Uhr früh bis 0:30 Uhr am nächsten Tag ohne Mittagspause durchgezogen. Nach 97 Prozesstagen – 98 mit dem Tag der Urteilsverkündung – war alles beendet. 300.000 Seiten Akt drückten sich in 1 Jahr und 1 Monat Prozess aus. In jedem Fall wird dieses Verfahren als das skurrilste und verrückteste in die österreichische Prozessgeschichte eingehen.
Was geschah in den letzten Prozesstagen?
Das Ende des linguistischen Gutachtens
Das linguistische Gutachten, das dem VGT-Obmann einige „polemische Bekennerschreiben“ sowie Leserbriefe und Artikel in Zeitschriften zuordnete, galt als einziges objektives Beweismittel gegen den VGT. Doch zwei ausführliche Gutachten von ausgewiesenen ExpertInnen auf dem Gebiet der Linguistik zeigten, dass das Gutachten völlig unglaubwürdig war. €50.000 Euro wollte der Gutachter für seine „Arbeit“, aber im Prozess stellte sich heraus, dass er selbst 178 Fehler in die zu begutachtenden Texte vor der Begutachtung eingebaut hatte und zumindest in 5 Fällen diese seine eigenen Fehler als Hinweis auf den VGT-Obmann als Autor bewertete.
Zu 4 Texten, die er dem VGT-Obmann zuordnete, wurden die tatsächlichen Autoren gefunden und gaben das auch vor Gericht zu. Zuletzt verstieg sich der Gutachter zu der Aussage, er habe den ärgsten linguistischen Fingerabdruck gefunden und dem VGT-Obmann zugeordnet, den er je gesehen habe – nur stammte dieser „linguistische Fingerabdruck“ von einer anderen Person. In einem anderen Fall wollte er einen Text von 562 Worten ausschließlich wegen 2 Textstellen dem VGT-Obmann zuordnen, obwohl sich in den Vergleichstexten des VGT-Obmanns derartige Worte oder Phrasen nie fanden.
Der Gutachter entwickelte sogar eine neue Methode, mit der er den VGT-Obmann „überführen“ wollte – doch konnte gezeigt werden, dass laut dieser Methode der VGT-Obmann auch Autor eines Artikels von Manfred Seeh in der Tageszeitung „Die Presse“ sein müsste. Nach 7 Prozesstagen, an denen der Gutachter einvernommen wurde, sagte die Richterin zuletzt, dass er nicht in der Lage gewesen sei, die Unschlüssigkeiten seines Gutachtens auszuräumen. Damit war dieses „objektive Beweismittel“ endgültig gestorben.
Ist eine Schweinebefreiung Tierquälerei?
Am 31. März beschäftigte das Gericht die Frage, ob das Öffnen der Tore einer intensiven Schweinemast mit 0,7 m² Platz pro 110 kg Schwein, ohne Stroheinstreu und mit Vollspaltenböden, und ohne jedem Auslauf ins Freie eine Tierquälerei gewesen sein soll. Sie lesen richtig: nicht die Intensivschweinemast soll die Tierquälerei sein, sondern das Öffnen der Tore, sodass die Schweine in die Sonne und auf die umliegenden Wiese aus der Schweinefabrik hinausgehen konnten. Das Tierquälerische sollte der Umstand gewesen sein, dass manche der Schweine dabei gegenseitig aufgeritten sein und sich dabei gekratzt haben könnten. Lebenslanges Einsperren mit minimalem Platz, auf hartem Vollspaltenboden ohne Stroh, mit nichts Interessantem zu tun ist keine Tierquälerei, aber das Aufreiten im freien Auslauf schon? Auch hier zog die Richterin einen Schlussstrich und machte den Eindruck, dem Staatsanwalt und seinen Vorwürfen nicht folgen zu können. Die Befreiungsaktion wurde aber sowieso niemandem aus dem VGT vorgeworfen.
Der Staatsanwalt will das Prozessende sabotieren
Unmittelbar vor Beginn der Schlussplädoyers erweiterte der Staatsanwalt plötzlich die Anklage. Ein anonymer Anrufer hatte der Verteidigung mitgeteilt, dass der ehemalige VGT-Geschäftsführer Dr. P. nicht nur seit 2002 Polizeiinformant gegen den Tierschutz war, sondern auch vor seiner Aussage als „Kronzeuge“ gegen die Angeklagten den Staatsanwalt getroffen hatte. Dieses Treffen wurde vollständig geheim gehalten. Was konkret dabei zwischen den beiden ausgemacht worden ist, blieb offen, allerdings sagte Dr. P. dann vor Gericht etwas ganz anderes aus, als er der Polizei gesagt hatte. Plötzlich beschuldigte Dr. P. den heutigen VGT-Obmann und den heutigen VGT-Geschäftsführer der Sachbeschädigung, der Tierquälerei und des dauerhaften Sachentzugs und legte sogar nahe, dass der VGT-Obmann Brandstiftungen begangen haben könnte. Der Staatsanwalt erweiterte wegen Dr. P.s Aussage die Anklage. Da aber Dr. P.s Aussagen vollkommen unglaubwürdig waren und in einigen Aspekten objektiv widerlegt werden konnten, blieb die Richterin durch die Anklageerweiterung des Staatsanwalts unbeeindruckt, lehnte dessen weitere Beweisanträge ab und schloss das Beweisverfahren. So blieb auch Dr. P.s letzter Versuch einer Rache am VGT unwirksam.
Die Schlussplädoyers
Am 1. April eröffnete der Staatsanwalt den Reigen der Schlussplädoyers ohne neue Aspekte einzubringen. Als wäre er die letzten 13 Monate nicht anwesend gewesen, wiederholte er monoton die längst widerlegten Mutmaßungen seines Eröffnungsstatements. Anschließend sprachen alle 6 VerteidigerInnen zum Teil in sehr berührender Weise von der Belastung, der die Angeklagten ausgesetzt waren, von der Absurdität der Anklage und von der Unverfrorenheit der polizeilichen Sonderkommission, die bis zuletzt alle entlastenden Beweismittel unterdrückt und keine volle Akteneinsicht gewährt hatte.
Die Angeklagten ergänzten diese Ausführungen noch mit vielen Details und Fakten. Bis zuletzt sei nicht klar geworden, ob der Staatsanwalt tatsächlich die Existenz einer kriminellen Organisation vermute, aber sie nicht beweisen konnte, oder ob er davon ausgehe, dass die legale Kampagnentätigkeit der Angeklagten bereits die kriminelle Organisation ausmache. Die Schlussplädoyers endeten nach 22 Uhr. Dann schloss die Richterin das Verfahren und vertagte auf den 2. Mai für die Urteilsverkündung.
Das Urteil
Welches Urteil wird erwartet? Faktum ist, dass die Richterin den Staatsanwalt die Anklage präsentieren ließ – und selbst das nahm 13 Monate in Anspruch – aber vor Präsentation der Verteidigung das Verfahren abbrach. Sie kann also nur der Meinung sein, dass die Verteidigung sich gegen nichts zu verteidigen habe, weil die Anklage völlig ohne Substanz blieb. Und das kann nur einen Freispruch zumindest nach §278a bedeuten.
Die weiteren Anklagepunkte betreffen den VGT nicht, umfassen aber einige Punkte, die nur zusammen mit der Existenz einer kriminellen Organisation einen Sinn ergeben. So ist die Ankündigung einer Kampagne nur dann eine Nötigung wie angeklagt, wenn es eine kriminelle Organisation gibt, die eine kriminelle Kampagne plant. Weder eine kriminelle Organisation noch eine kriminelle Kampagne hat es aber je gegeben. Auch die Tierquälerei durch die Schweinebefreiung dürfte nicht wirklich Ernst genommen werden.
Es könnte also durchaus sein, dass der 2. Mai für alle Angeklagten einen kompletten Freispruch bedeutet. Wir wollen aber nicht vorgreifen und lassen diesen Tag einfach auf uns zukommen. Im Tierschutz gibt es sowieso bis dahin genug zu tun. Für uns beim VGT ist es schon von unschätzbarem Wert, dass dieser Monsterprozess – so oder so – endlich ein Ende gefunden hat!!
Alle weiteren Details zum Prozess finden Sie hier: www.tierschutzprozess.at