Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (18.12.2013)
Wien, am 18.12.2013Tierschutzprozess: spannende Podiumsdiskussion zu Selbstanzeigen und Zivilem Ungehorsam
Die Reaktion der Zivilgesellschaft habe den Freispruch im ersten Tierschutzprozess ermöglicht; laut Irene Brickner vom Standard sei die öffentliche Meinung für die Neuauflage 50:50 geteilt
Während einige UniversitätsprofessorInnen das Berufungsurteil des OLG im Tierschutzprozess als völlig verfehlt kritisieren, sehen andere die Anwendung des Nötigungsparagraphen nachvollziehbar, wenn auch demokratiepolitisch bedenklich. Um diese Diskussion auf die Spitze zu treiben haben sich nun über 3000 Personen wegen schwerer Nötigung angezeigt, weil sie ebenfalls Firmen mit legalen Kampagnen unter Druck gesetzt haben, tier-, umwelt- oder menschenfreundlicher zu produzieren. Einer von ihnen, Roland Hoog, erzählte auf der vom VGT organisierten Podiumsdiskussion zum Tierschutzprozess am 12. Dezember 2013 im Presseclub Concordia in Wien von seiner diesbezüglichen Einvernahme durch die Polizei. Das Einvernahmeprotokoll findet sich hier: www.martinballuch.com.
Die ehemalige Strafverteidigerin und Buchautorin (Staatsgewalt - Die Schattenseiten des Rechtsstaates) Dr. Katharina Rueprecht wartete mit einer neuen Eingabe gegen das OLG-Urteil auf. Ihr war aufgefallen, dass ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)explizit RichterInnen für befangen erklärt, die in einem vorhergehenden Rechtsgang inhaltlich entschieden haben. Und das ist bei diesem OLG-Urteil der Fall, da 2 Senatsmitglieder bereits mit sehr scharfen Worten die damalige U-Haft-Beschwerde abgewiesen hatten. Der Befangenheitsantrag war zwar vom OLG-Präsidenten abgewiesen worden, aber mit Bezug auf eine Stelle im Wiener Kommentar, die dieses EGMR-Erkenntnis nicht vollständig, und damit unrichtig, wiedergab. Daher wird nun eine Anregung für eine Nichtigkeitsbeschwerde an die Generalprokuratur verfasst. Dr. Rueprecht war überzeugt, dass das OLG-Urteil deshalb aufgehoben werden müsse.
Irene Brickner vom Standard meinte, dass die Neuauflage des Tierschutzprozesses deutlich gefährlicher für die Demokratie als der erste Rechtsgang sei. Das deshalb, weil das OLG-Urteil ihrer Ansicht nach sehr spitzfindig für Nötigung argumentiere und manche der Emails der Angeklagten z.B. wegen ihrer Forderung an die Firmen, bis zu einer Deadline aus dem Pelzhandel auszusteigen, tatsächlich ungeschickt formuliert seien. Die große öffentliche Sympathie mit dem Angeklagten im ersten Tierschutzprozess sei jetzt nicht mehr zu spüren. Ihrem Eindrucknach würde die Meinung in der Gesellschaft über Schuld und Unschuld der Angeklagten etwa 50:50 aufgeteilt sein. Da gebe es also noch großen Nachholbedarf in der Aufklärung.
Wolfgang Pekny, ehemaliger langjähriger Kampagnenleiter von Greenpeace und heute Obmann der Initiative Zivilgesellschaft, erzählte eindrucksvolle Geschichten von seinen Aktionen des Zivilen Ungehorsams. So sei er einmal 6 Tage in Kanada in orangen Anzügen mit Hand- und Fussketten im Gefängnis gesessen, weil er mehr als 2000 Jahre alte Bäume vor der Rodung habe retten wollen. Heute gebe es dort einen Nationalpark. Insgesamt sei er 33 Mal wegen derartiger Aktionen vor Gericht gestanden. Nur mit einer gewissen Radikalität einzelner AktivistInnen könne die Gesellschaft in eine bessere Richtung weitergeführt werden. Dieser notwendige Aktivismus derZiviligesellschaft sei aber in Gefahr, wenn der Staat zur Repression greife. Es habe ihn schockiert, dass im Tierschutzverfahren der Staat in Österreich offenbar so wenig Rücksicht genommen hat, wie in autoritären Systemen, und selbst in Russland sind 29 der 30 Greenpeace-AktivistInnen, die wegen Aufhängens eines Transparents an einer Ölplattform in U-Haft gekommen waren, nach Zahlung einer großen Kaution wieder in Freiheit.