Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (18.06.2021)
Innsbruck, am 18.06.2021Mythen widerlegt: 1.000 Unterschriften für den Wolfsschutz
VGT Tirol unterstützt private Wolfspetition und setzt auf Aufklärung statt Hetze
Wann: Montag, 21. Juni 2021, 17 Uhr
Wo: bei der Annasäule, Innsbruck
Was: Im Zuge einer Kundgebung des VGT Tirol wird dem Abgeordneten des Tiroler Landtags, Michael Mingler, die Petition zum Schutz des Wolfes in Tirol übergeben
Kaum ein Thema erhitzt die Tiroler Gemüter so sehr wie dieses. Landwirt:innen laufen Sturm, weil sie ihre Almtiere in Gefahr sehen. Weite Teile der Bevölkerung glauben allzu bereitwillig den medial aufgebauschten Mythos vom „bösen Wolf“. Höchste Zeit für einen Faktencheck.
Die Rückkehr der Wölfe
Hier kommen wir gleich zur Lieblingsbehauptung der Wolfsgegner:innen:
„Der Wolf gehört nicht hierher (und muss gewaltsam entfernt werden)."
Bewertung: falsch. Der Wolf war hierzulande bis zu seiner Ausrottung vor ca. 150 Jahren ein fixer Bestandteil des Ökosystems. Führende Fachleute und Tierschutzorganisationen betonen, dass Wölfe einen wertvollen Beitrag für den Erhalt der Naturlandschaft spielen. Denn sie sind die Gesundheitspolizei des Waldes. Entgegen allen Klischees ernähren sie sich nämlich nicht hauptsächlich von Schafen, Rotkäppchen oder deren Großmüttern, sondern in erster Linie von Wildtieren. So betont der WWF Österreich auf seiner Website: „Die Anwesenheit des Wolfes wirkt sich positiv auf die Gesundheit des Wildbestandes in unseren heimischen Wäldern aus. Das liegt daran, dass der Wolf die Wildtiere in unseren Wäldern, vor allem Rotwild, Rehe, Wildschweine oder Gamswild in guter Kondition hält. Denn ein altes, sehr junges oder krankes Tier ist weniger aufmerksam und leichter zu reißen als gesunde, flinke und wehrhafte Tiere. Außerdem können Wölfe kranke Tiere schon bemerken, noch bevor die Erkrankung für den Menschen sichtbar wird. Demnach fungieren Wölfe […] als „Gesundheitspolizei“ des Waldes, weil sie kranke Wildtiere viel effizienter aus dem Bestand entnehmen als jeder noch so eifrige Jäger. Mit dieser Fähigkeit helfen sie auch, die Ausbreitung von Krankheiten unter den Wildtieren zu reduzieren.1
Dieser Position schließen sich andere namhafte Organisationen wie der Naturschutzbund sowie auch international renommierte Wissenschafter:innen an, zum Beispiel die Diplombiologin und weltweit bekannte Wolfsforscherin Gudrun Pflüger.2
Wölfe haben es also gar nicht in erster Linie auf landwirtschaftlich gehaltene Tiere abgesehen. Statistiken zeigen, dass sie vorwiegend Rehe und Rothirsche jagen und dass nur 1,7% ihrer Beute aus „Nutztieren“ besteht. Schafe oder Ziegen reißen sie nämlich nur, wenn man sie ihnen ohne Herdenschutz als leichte Beute quasi auf dem Silbertablett serviert. Und hier kommen wir zu einem weiteren oft gehörten Einwand:
„Herdenschutz funktioniert nicht.“
Bewertung: größtenteils falsch. Erfolgsbeispiele aus unseren Nachbarländern zeigen, dass sich Herdenschutzmaßnahmen sehr gut umsetzen lassen. Gerade die Schweiz mit ihrer alpinen Topographie könnte hier als Vorbild für Österreichs Bergregionen dienen. In der Schweiz werden nämlich schon seit etlichen Jahren Herdenschutzhunde und andere Maßnahmen eingesetzt. Die Anzahl der Wolfsrisse konnte nachhaltig reduziert werden und die Maßnahmen werden stetig evaluiert und verbessert.3
Wissenschaftliche Erkenntnisse aus Tirol unterstützen diese Einschätzung. 2019 führten die AGRIDEA und das Büro Alpe im Auftrag der Tiroler Landesregierung eine Machbarkeitsstudie im Hinblick auf heimische Almen durch. Das Ergebnis: Effektiver Herdenschutz ist auch hierzulande umsetzbar, zumindest für einen Teil der untersuchten Betriebe. Zur Auswahl stehen Maßnahmen wie Behirtung, gezielte Weideführung, Zäune, Pferche und Schutzhunde. Diese seien angemessen zu kombinieren und an den individuellen Bedarf anzupassen.4
Die EU zahlt jährlich insgesamt etwa 6 Millionen Euro an 1700 Tiroler Almen.5 Herdenschutzmaßnahmen werden aber kaum umgesetzt. Was passiert mit dem Geld? Vorausgesetzt, das Geld würde korrekt eingesetzt, ließen sich spezifische Herdenschutzmaßnahmen auch in Tirol umsetzen. Fest steht: Ohne Behirtung geht es nicht. Natürlich lässt sich das Risiko von Wolfsrissen nicht auf Null reduzieren. Wer das erwartet, sollte der Fairness halber aber auch die anderen, teils erheblichen Risiken, für Almtiere thematisieren. So kommt es im gebirgigem Terrain regelmäßig zu Abstürzen. Auch Unwetter sind eine große Gefahr für die Herden. 78.000 Schafe werden jährlich auf Tirols Almen aufgetrieben. Pro Jahr sterben etwa 5000 Schafe und Ziegen durch Gewitter, Absturz oder Krankheit.6 An die 150 Tiere wurden im Jahr 2020 von Wölfen getötet – im Vergleich zu den anderen Todesursachen eine verschwindend kleine Anzahl.7
"Wolfsrisse kosten uns viel Geld."
Bewertung: zu kurzsichtig gedacht. Wölfe reduzieren die Anzahl der Unfälle mit Wildtieren um 27 %, wie eine neue Studie belegt.8 Damit sparen sie der Gesellschaft um das 63-fache mehr ein, als Wolfsrisse von Nutztieren kosten. Gleichzeitig retten sie Leben – in Österreich sterben ca. 4-5 Menschen pro Jahr an Wildunfällen.
VGT-Campaignerin Nicole Staudenherz: Aus Österreich und Tirol wurden 2019 16.000 Schafe und Ziegen ins Ausland transportiert. Tagelang und zum Teil unversorgt werden sie durch die halbe Welt gekarrt. Viel wichtiger ist es, diese grausamen Tiertransporte zu stoppen als permanent gegen den Wolf zu hetzen. Populistische Anträge auf einen Abschuss des Wolfes werden scheitern. Diese Tiere sind geschützt, und das ist gut so. Es ist Zeit, dass der Mensch die Natur nicht mehr als Feind sieht.
- https://www.wwf.at/de/fragen-und-antworten-wolf [zuletzt eingesehen am: 15.06.2021]
- Pflüger, Gudrun: Wolfspirit. Patmos Verlag. 2012.
- http://www.herdenschutzschweiz.ch/ [zuletzt eingesehen am: 15.06.2021]
- Daniel Mettler, Agridea & Simon Moser. 2020. Machbarkeitsstudie Herdenschutz Tirol. Volltext zum Download [zuletzt eingesehen am: 15.06.2021]
- EU zahlt Prämie, aber die Behirtung dazu fehlt.“ Tiroler Tageszeitung vom 28.02.2021 [zuletzt eingesehen am: 15.6.2021]
- Tirol setzt beim Herdenschutz auch auf Hirten und Hunde.“ (Rainews.it) [zuletzt eingesehen am: 15.6.2021]
- ebenda
- ebenda
- "Wo Wölfe leben gibt es weniger Verkehrsunfälle durch Wildwechsel", Der Standard, 7. Juni 2021 [zuletzt eingesehen am: 15.6.2021]