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Vortrag VGT-Obmann zu Verhältnis Menschen – Wildtiere: tausche Freiheit für Sicherheit

Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (21.06.2023)

Wien, 21.06.2023

Civilization Bias bezeichnet die Sicht des Zivilisationsmenschen auf die Wildtiere, dass Zivilisation immer besser wäre, aber was würden die Wildtiere selbst bevorzugen?

Für Donnerstag, den 25. Mai 2023, hatte der VGT in den Skydome zu einem Vortrag von VGT-Obmann DDr. Martin Balluch über Wildtiermanagement geladen. Anlass war die zunehmende Kritik seitens eines Teils der Tierschutzbewegung weltweit, dass das Wildtierleid viel größer als das Nutztierleid sei und man sich daher um Wildtiere kümmern müsse. Einer der lautesten Fürsprecher dieser Wild Animal Suffering Bewegung, Prof. Oscar Horta Alvarez aus Spanien, denkt dabei an Krankheit, Hunger, Wetterkapriolen und Prädation. Doch inwieweit, stellte Balluch die rhetorische Frage, ist die Sicht vom Sofa im geheizten Raum hinter Doppelglasscheiben allgemeingültig? Männliche Kaiserpinguine z.B. stehen 3 Monate in der Dunkelheit des antarktischen Winters ohne zu essen mit jeweils einem Ei auf ihren Füßen, das sie warm halten müssen, bei -60°C im Schneesturm. Leiden sie dabei? Balluchs Antwort: nein. Wer leidet, dessen Immunsystem schwächelt und er ist angetrieben, etwas im Leben zu ändern. Wer glücklich ist, pflanzt sich viel häufiger fort. Tiere von Arten, die an ihre Umgebung angepasst sind, werden also unter normalen Umständen glücklich sein. Balluch formuliert: Die meisten Wildtiere sind meistens glücklich. Die meisten Nutztiere sind meistens unglücklich. Letzteres, weil Gefangensein in der Natur nicht vorkommt und daher die Tiere daran nicht angepasst sein können.

Als Untermauerung seiner These brachte Balluch viele Beispiele aus seiner Erfahrung und so manche wissenschaftliche Studie, obwohl das Glücksgefühl wildlebender Tiere nicht oft seriöser Studieninhalt ist. Aber Balluch zeigte auch Beispiele von wilden Menschen, die außerhalb der Zivilisation leben und nicht unglücklich sind, im Gegenteil. Depression und Selbstmord sind Zivilisationserscheinungen, die weit verbreitet sind. So nehmen 27 % der Bürger:innen des UK Antidepressiva und im Jahr 2021 haben sich allein in Österreich 1.100 Menschen umgebracht. Aber nicht nur das, die Liste typischer Zivilisationskrankheiten ist lange: Diabetes, Fettleibigkeit, Herz- Kreislauf Erkrankungen, Schnupfen, Grippe, Karies, Allergien, Bluthochdruck, Neurodermitis, Hämorrhoiden, Krampfadern usw. Und zahlreiche Menschen, die außerhalb der Zivilisation gelebt haben und die Zivilisation kennenlernen, ziehen Ersteres vor. Der Tenor: lieber die Freiheit der Wildnis und dafür die Unsicherheit des Morgen, als die Unfreiheit der Zivilisation in der Sicherheit von sozialen Netzen und Krankenversorgung.

Balluch schloss seinen Vortrag daher mit seiner These des Wildnisvertrags. Jean-Jacques Rousseau nannte es den Gesellschaftsvertrag, sich der Herrschaft der Mehrheit in einer Zivilisation zu unterwerfen (nicht zu reden von der Herrschaft eines Putin in einer Diktatur). Diesen Vertrag unterschreibt man nicht persönlich, man wird hinein geboren. Der Wildnisvertrag ist nun die Übereinkunft, ohne diese Herrschaft in Freiheit in der Wildnis zu leben und dafür deren Gefahren in Kauf zu nehmen. Auch diese Übereinkunft wird für eine:n im Moment der Geburt getroffen. Es ist später schwer, von der Zivilisation in die Wildnis zu wechseln oder umgekehrt. Für den Umgang mit Wildtieren durch die Zivilisation bedeutet das, dass keine systematischen Eingriffe zulässig sind. Nichts spricht gegen die persönliche Hilfe für ein leidendes Wildtier bei einer zufälligen Begegnung in der Wildnis, aber eine systematische Hilfe bedürftiger Wildtiere durch die Gesellschaft einer Zivilisation wäre eine Einschränkung der Freiheit der Wildtiere und widerspricht daher dem Wildnisvertrag. Für nicht-domestizierte Tiere, die im zivilisatorischen Umfeld leben, wie Ratten, Tauben oder Ziesel z.B., ist die Situation anders. Wo die Zivilisation die Lebenswelt von Tieren beeinflusst, hat sie auch Mitverantwortung für deren Wohlbefinden.

Dieser Standpunkt, so Balluch, ist nicht speziesistisch. Wildtiere, die unter einem Wildnisvertrag leben, können auch Menschen sein. So sind die menschlichen Einwohner:innen der Insel Nord-Sentinel im Indischen Ozean völlig von jeder Zivilisation unabhängig. Sie töten sogar alle zivilisierten Menschen, die in ihren Lebensraum eindringen. Als es auf der Insel einen Tsunami gab und die Zivilisation einen Hubschrauber zur Hilfe sandte, wurde dieser mit Pfeilen beschossen und vertrieben. Seit 1996 hat die Indische Regierung diese Insel zu einer Sperrzone erklärt. Weder sie, noch das Meer in Küstennähe, dürfen betreten werden. Dieser Wildnisvertrag wird also explizit von der Indischen Küstenwache und der Polizei überwacht.

Die Sentineles:innen haben klar gemacht, was sie von der Zivilisation halten, und dass sie ihre Freiheit in der Wildnis bevorzugen, selbst wenn das mit Gefahren einhergeht. Und genauso, meint Balluch, muss man auch den Standpunkt der anderen Wildtiere in der Wildnis sehen.

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