Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (03.11.2009)
Wien, am 03.11.2009Ferkelkastration – ein hitziges Thema
Am 22. Oktober fand in der Veterinärmedizinischen Universität in Wien ein Vortragsabend zum Thema „Impfung gegen Ebergeruch – Eine Alternative zur derzeitigen Ferkelkastration“ statt, veranstaltet vom Verein der Veterinärmedizin im öff. Gesundheitswesen.
Teilnehmende Diskutanten waren neben Prof. Josef Troxler von der Vetmed.-Uni/Institut für Tierhaltung u. Tierschutz, der in seiner Einleitung einen Überblick über Status Quo und mögliche Veränderungen gab, über Begründung und Möglichkeiten der Ferkelkastration, deren Vor- und Nachteile sprach, Barbara Hertrampf, eine Wissenschaftlerin der Uni Giessen – sie stellte Studien zur Impfung mit dem Pfizer-Medikament „Improvac“ vor, sowie der steirische Amtstierarzt Harald Fötschl, dessen Hauptsorge die praktische Finanzierbarkeit einer Abkehr von der konservativen Kastrationsmethode war. In der abschließenden Diskussion prallten nochmals die konträren Sichtweisen des Tierschutzes und einer Reduktion von Gewalt einerseits und der Landwirtschaft andererseits aufeinander; einmal mehr wurde augenscheinlich, dass das Hauptargument der Schweinezüchter ein rein wirtschaftliches ist, dass aber auch in den eigenen Reihen ein Umdenken beginnt.
Warum Kastration?
Ferkel werden kastriert um den Geschlechtsgeruch
– auch Ebergeruch genannt – zu verhindern. Der
Geruch wird durch Androstenon und Skatol verursacht.
KonsumentInnen von Fleisch wollen offenbar –
zumindest hierzulande – diesen typischen Geruch
nicht, der, wenn das Tier zuvor nicht kastriert
wurde, auch im Endprodukt vorhanden ist.
Kastration
In Österreich ist es noch immer erlaubt,
Ferkel bis zum siebenten Lebenstag ohne Narkose,
ohne Schmerzbehandlung, ohne Tierarzt und ohne
Nachbehandlung zu kastrieren! Eine derartige
Operation stellt einen immens schmerzhaften
Eingriff für die Tiere dar. Dies sieht und hört
nicht nur jede/r der/die das hautnah miterlebt,
sondern es ist bewiesenes Faktum und in zahlreichen
Studien belegt.
EU-weit werden jährlich rund 100 Mio. Ferkel
auf diese Art und Weise kastriert, in Österreich
sind es ca. 2,75 Mio. Tiere.
Verbote dieser Art des Eingriffs gibt es bereits
in der Schweiz und in Norwegen. In Österreich
wird immer mehr über dieses Thema diskutiert:
Immer mehr Menschen, von TierschützerInnen über
KonsumentInnen, bis hin zum SchweinezüchterInnen
selbst wird klar, dass eine derartige Methode,
die Tag für Tag, jahrein-jahraus so vielen Lebewesen
grundlos (weil es Alternativen gibt) furchtbare
Schmerzen bereitet, nicht zu rechtfertigen ist.
Die Öffentlichkeit wird immer mehr auf diese
Tierquälerei aufmerksam, die Wissenschaft reagiert,
die Landwirtschaft sollte ihre konservative
Einstellung zeitgerecht überdenken.
Verschiedene Möglichkeiten der Kastration
Kastration mit Schmerzausschaltung
Lokalanästhetikum
Normalerweise werden bei dieser Art
der Schmerzausschaltung der Bereich des Eingriffes
vereist und ein Lokalanästhesiespray verwendet.
Nachteil dieser Form der Schmerzausschaltung
ist, dass tiefer liegendes Gewebe nicht betäubt
wird und es so zu einem Akutschmerz kommt.
Injektionsnarkose
Hier ist die Dosierung schwierig und es gibt
eine lange Nachschlafphase.
Allgemeinanästhetikum
Wenn nur ein Schmerzmittel verwendet wird, hat
das Ferkel postoperative Schmerzen
Inhalationsnarkose
Bei dieser Form der Schmerzausschaltung
ist die Frage welches Gas verwendet wird. Meistens
wird CO2 verwendet, das ist aber ein Reizgas.
Nach 11 Sekunden bekommen die Tiere Atemnot,
nach 26 Sekunden krampfen sie, meistens ist
die Narkose schon wieder im abklingen bis der
Eingriff durchgeführt wird, also Tierquälerei.
Manchmal wird auch Isofluran verwendet, das
ist teuer und wirkt nicht voll. Außerdem darf
dieses Medikament nur von TierärztInnen verwendet
werden.
Derzeit mögliche Alternativen zur chirurgischen
Kastration
Ebermast
Bei der Ebermast werden die männlichen
Ferkel nicht kastriert, stattdessen senkt man
das Schlachtgewicht – so würde das Problem des
Ebergeruchs minimiert werden. Eine sog. „elektronische
Nase“ am Schlachthof wäre hier dennoch sinnvoll,
um Ausreißer am Schlachtband aussortieren zu
können.
Immunokastration
Dabei handelt es sich um eine Immunisierung
gegen das GnR-Hormon, so wird das Hodenwachstum
gestoppt und die Bildung von Geschlechtshormonen
unterdrückt.
Es sind zwei Impfungen nötig, geimpft wird mit
Improvac, nach der 2. Impfung bilden sich Antikörper.
Bei der Immunokastration wird kein Hormon eingesetzt,
sondern ein Eiweißstoff, der das Hormon GnRH
beeinflusst und dessen Wirkung aufhebt. In Australien
und Neuseeland wird die Immunokastration durchgeführt
und hat sich als praxistauglich herausgestellt.
Nach der Impfung haben die Tiere eine bessere
Futterverwertung, was die Kosten der Impfung
deckt. Vermeintliche Angst von KonsumentInnen
(von der die Landwirtschaft spricht) ist fehl
am Platz, es gibt kein Gesundheitsrisiko für
die KonsumentInnen.
In der Diskussion war tendenziell spürbar, dass
die Zukunft ein Ende der chirurgischen Kastration
bringen könnte, evtl. durch Einsetzen der Immunokastration.
Kritik daran kam aus der Praxis – mit finanziellem
Hintergrund: Der Amtstierarzt meinte, dass ein
Tierarzt am Schlachthof 60 Tiere (Schlachtkörper)
pro Stunde begutachten muss, was ca. 1500 –
2000 Schlachtungen pro Tag entspricht; müsste
nun zusätzlich die Hodengröße inspiziert werden
(ein Zeichen, ob die Immunokastration funktioniert
hat) so wäre das ein Mehraufwand von 10 Sekunden
pro Tier, was finanziell nicht tragbar wäre.
Unfassbar, dass dieser minimale Mehraufwand
und somit das Geld wieder einmal über das „Wohl“
der Tiere gestellt wird.
Es könnte außerdem, so der Amtstierarzt, zu
Ungereimtheiten bezüglich der Haftung und eines
möglichen Schadenersatzes kommen, sollte der
Fall eintreten, dass Geschlechtsgeruch trotz
erfolgter Immunokastration auftritt.
Ein Sprecher des VÖS (Verband österreichischer
Schweinezüchter) kritisierte die mangelnde Praxistauglichkeit
von Ebermast und Immunokastration und lehnte
beides dezidiert ab.
Dennoch müssen sich Landwirtschaft und Schlachthöfe mit diesem Thema weiter auseinandersetzen. Aus ethischer Sicht sind diese furchtbaren Eingriffe der chirurgischen Kastration nicht zu rechtfertigen und die Wissenschaft hat probate Mittel gefunden, sie zu ersetzen. Eine Gegenposition wird nicht mehr lange aufrechtzuerhalten sein.
In Deutschland ist die Kastration von Ferkeln auch ein großes Thema; dort haben sich Fast Food Ketten bereit erklärt ab 2011 kein Kastratenfleisch mehr zu verwenden, sondern Fleisch von Tieren aus der Ebermast.
Der Tierschutz begrüßt selbstverständlich jegliche Verbesserungen in der Schweinehaltung, und gerade Verbesserungen bei der Kastration von Ferkeln, so wie sie in Österreich durchgeführt wird, wären ein wichtiger Schritt. Dennoch darf man nicht vergessen, dass das gesamte Leben der Schweine – auch hierzulande – eine Katastrophe darstellt (Vollspaltenböden, Platzmangel, andere Eingriffe wie Schwanz und Zähnekupieren,..); ein Leben ohne Würde bis zum bitteren Ende im Schlachthof.