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Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (19.02.2010)

Wien, am 19.02.2010

Vegetarische Donnerstage im Kommen

Angewandter Tier- und Klimaschutz mit Messer und Gabel

Sogar der Urheber der richtungsweisenden ökologischen Pionieraktion – immerhin ist ein vegetarischer Tag von so offiziellem Charakter bislang weltweit einzigartig - der Vorsitzende des belgischen Vegetarierbundes Tobias Leenaert, war von dem großen Interesse an „Veggieday“ überrascht.

Am Anfang war es nur die utopisch anmutende Idee einiger belgischer VegetarierInnen und VeganerInnen. Dass schließlich die ganze Stadt mitziehen würde, ja dass diese weit über die Landesgrenzen hinaus Aufsehen erregen und JournalistInnen von praktisch allen Kontinenten anziehen würde, ahnte kaum jemand. Und doch ist Gent nun Vorbild für Tier- und Klimaschützer rund um den Globus.

Der Beginn: Einladung eines Nobelpreisträgers

Es war Leenaert, der auf die Idee kam, den Vorsitzenden des Weltklimarats (IPCC) und Friedensnobelpreisträger Rajendra Pachauri nach Gent einzuladen. »Ich habe ihn einfach gefragt, ob er kommt«, sagt er bescheiden. Und Pachauri kam wirklich.

Im Audimax der örtlichen Universität lieferte er rund 600 ZuhörerInnen gute Gründe, warum eine verstärkt vegetarische Ernährung so viele Vorteile bietet: »Die Viehzucht verursacht nicht weniger als 18 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen«, erläuterte Pachauri und bezeichnete »die Fleischproduktion und die damit verbundene Landnutzung« als einen »der wichtigsten Faktoren für den Klimawandel und die globale Erwärmung«. Den betroffenen Genter BürgerInnen machte der Inder plausibel, dass schon ein einmaliger Fleischverzicht pro Woche zur Einsparung von 170 Kilogramm CO₂ im Jahr führt. Wenn also alle 240.000 Einwohner der Stadt Gent sich einmal in der Woche vegetarisch ernähren würden, könnte man damit die klimaschädigenden Emissionen von 18.000 PKWs wettmachen.

Auch der Leiter des Umweltdezernats Tom Balthazar saß bei diesem Vortrag im Publikum und war beeindruckt. »Zunächst habe ich die Idee der Vegetarier belächelt«, räumt er ein, »doch diese Zahlen haben mich überzeugt.« Als Leiter des Genter Umweltdezernats verhalf Balthazar anschließend Leenaerts Vorschlag zum Durchbruch.

Erste Stadt der Welt mit „Veggiedag“

Nach längeren Diskussionen im Stadtrat hat Gent als erste Stadt der Welt hochoffiziell einen fleischfreien Wochentag eingeführt. Im Sinne des Klimaschutzes heißt seit Sommer 2009 die Parole » Donderdag Veggiedag « – jeden Donnerstag ist das Hauptgericht in allen öffentlichen Kantinen und Schulmensen vegetarisch, an allen anderen Tagen gibt es zusätzlich vegetarische Alternativen.

Die Stadtverwaltung unterstützt die richtungsweisende Kampagne offiziell mit Personal und Finanzen, etwa hundert Gastwirte beteiligen sich freiwillig. Wer justament ein Stück Fleisch auf dem Teller möchte, findet in Gent natürlich auch donnerstags noch Anbieter von Fleischspeisen. In Flugblättern werden aber alle BürgerInnen freundlich eingeladen, am kulinarischen Klimaschutz doch teilzunehmen und in Tourismusbüros liegen Stadtplan-Lokalführer aus, die all jene Lokale auflisten, die sich am vegetarischen Donnerstag beteiligen. An den Genter Schulen läuft ein begleitendes pädagogisches Programm, denn die kommunalen PolitikerInnen haben verstanden, dass man am besten über die Eltern an die Kinder herankommt.

Weltweites Interesse

Der „Veggiedag“ in Gent hat seither weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt, nicht nur verschiedenste Öko- und Vegetarierverbände, sondern auch JournalistInnen aus der ganzen Welt reisen in die belgische Provinz, um sich vor Ort ein Bild zu machen und in teils großen Schlagzeilen darüber zu berichten. Und auch so manche andere Stadtverwaltung hat bereits Interesse an dem Fall bekundet, zwei weitere belgische Städte sind dem Vorbild bereits gefolgt.
Offenbar trifft die Idee im Zuge von Klimawandel und Ökodebatten weltweit einen Nerv der Zeit.

Weltweite Fleischproduktion und Fleischkonsum explodieren

Und das ist in Anbetracht der Ernährungsentwicklung der letzten Jahrzehnte auch nicht verwunderlich. Seit den 60er Jahren hat sich die Weltbevölkerung verdoppelt, der Verzehr von rotem Fleisch (Wiederkäuer, Schweine usw.) hingegen stieg um das Vierfache, der von Geflügelfleisch hat sich seither sogar verzehnfacht.
Schätzungen zufolge leben heute 60 Milliarden Nutztiere auf der Erde – Fische noch gar nicht einberechnet. Und die globale Fleischproduktion und Tierzucht steigen nach wie vor rasant an.
Gefürchtet und bekannt ist mittlerweile der Ausstoß des Treibhausgases Methan bei der Verdauung von Rindern, das 20 Mal so klimaschädlich ist wie CO2 und damit einen immensen Boost für den Treibhauseffekt bedeutet. Darüber hinaus werden bei der energieaufwändigen Düngerproduktion, beim Transport von Futter, Fleisch und Lebendtieren sowie bei der Kühlung des Fleischs große Mengen an CO2 freigesetzt.

Indischer Klimaschützer und Ex-Beatle Mc Cartney im EU-Parlament

Anfang November trat Rajendra Pachauri im EU-Parlament gemeinsam mit dem weltberühmten Vegetarismus-Aktivisten und Ex-Beatle Paul Mc Cartney auf.

Unter dem Titel "Less Meat = Less Heat" (Weniger Fleisch = weniger Hitze) fand dort am 3. Dezember 2009 eine Veranstaltung statt, in der Sir Paul McCartney und der Nobelpreisträger Dr. Pachauri die europäischen PolitikerInnen aufgefordert haben, konkrete Maßnahmen zur Senkung des Fleischkonsums zu ergreifen. Vier Tage vor der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen machten sie damit deutlich, dass der Klimawandel auf allen Ebenen bekämpft werden muss.

Paul McCartney und der Nobelpreisträger riefen darüber hinaus weltweit in einem offenen Brief dazu auf, dem übergroßen Konsum an Fleisch entgegenzutreten. In dem Brief streichen sie den Zusammenhang zwischen Fleisch und Klimawandel heraus und schlagen vor, dass Regierungen Initiativen entwickeln, diesen Zusammenhang auch Ihren BürgerInnen zu vermitteln.

Regierungen und Industrie sollten tier- und klimafreundliche Alternativen fördern
Die beiden argumentieren weiter, dass die Maßnahmen von Einzelnen wichtig, aber in ihrem Ausmaß dennoch begrenzt sind. Ihrer Meinung nach ist es die Aufgabe der Regierungen und Industrie sicherzustellen, dass nachhaltige Alternativen wie pflanzliche Produkte in großem Umfang erhältlich und erschwinglich sind.

McCartney und Pachauri zählen eine Reihe von weiteren Initiativen auf, die Regierungen nach dem Genter Vorbild unternommen haben, wie die Kampagne für einen fleischfreien Donnerstag in der brasilianischen Metropole Sao Paolo unter dem Motto „segunda sem carne“ sowie die Initiativen "Meat-Free-Monday" und "Meatless-Monday" in Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Auch in Deutschland gibt es bereits erste konkrete Ansätze von Initiativen, ebenfalls einen fleischfreien Wochentag einzuführen, mehr dazu im Folgenden.

Agrar-Lobbyist lädt Vegetarier trotzig zum Barbecue

Bei den EU-Parlamentariern stießen die beiden Klimaschützer mit ihrem unverblümten Plädoyer für weniger Fleisch nicht gerade auf ungeteilte Begeisterung. Speziell Vertreter der Landwirtschaft äußerten sich vehement dagegen, ein britischer Abgeordneter lud die beiden prominenten Gäste und die EU-ParlamentarierInnen ebenso demonstrativ wie trotzig zu einem gemeinsamen Grillessen unter dem Motto „All you need is meat!“ – in Abwandlung des Titels eines altbekannten Beatlessong. Die Frage Fleischkonsum reduzieren – ja oder nein – und inwieweit öffentliche Stellen und Politik sich hier einmengen dürfen ist also höchst kontroversiell.

Auch schon im deutschsprachigen Raum Debatte auf höchster politischer Ebene

Dennoch ist die Debatte auch schon auf höchster politischer Ebene in den deutschsprachigen Raum vorgedrungen. Auch im deutschen Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (kurz BMELV) spricht man bereits vom »Einsparungspotenzial«, welches in der »Zusammensetzung des Speiseplans« stecke.
Und im letzten Klimareport des BMELV wird darauf hingewiesen, dass knapp ein Drittel der durch die Ernährung verursachten Emissionen sich durch »fleischreduzierte Kost« vermeiden lasse.
Sogar die konservative bayrische Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner hat die Zeichen der Zeit erkannt: kurz vor dem Jahreswechsel hat sich die CSU-Ministerin öffentlich für eine Reduzierung des Fleischkonsums eingesetzt – ziemlich mutig, bedenkt man den Druck, welcher solchen Bestrebungen von der Fleischlobby üblicherweise entgegenschlägt.

In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung nannte Aigner, ganz entgegen der bisherigen Zurückhaltung europäischer Landwirtschafts- und UmweltpolitikerInnen, die gesundheitlichen und umweltschädigen Folgen des hohen Fleischkonsums beim Namen. Vor allem im Sinne des Klimaschutzes sei es wichtig, den Fleischkonsum zu senken. Dabei müsse jedeR BürgerIn bei sich selbst anfangen, so die Agrarpolitikerin.

Erste Initiative in Deutschland gescheitert

Die erste Initiative, das Genter Beispiel nach Deutschland zu holen, scheiterte aber. In Magdeburg wurde ein Antrag von SPD, Tierschutzpartei und den Grünen, einen vegetarischen Tag einzurichten, öffentlich von der Metzgerinnung kritisiert. Auch dem abgeschwächten Vorschlag der anderen Ratsfraktionen, stattdessen einen Tag der bewussten Ernährung einzuführen, wurde mit großer Skepsis und teils Ablehnung begegnet.

Bremen als Vorreiter

Mehr Erfolg war hingegen einem Anlauf in Bremen beschieden. Die Bürgerstiftung Bremen hat den Donnerstag zum "Veggi-Tag" erklärt - um das Klima und die Gesundheit der BürgerInnen zu schonen, ruft sie dazu auf, sich donnerstags pflanzlich zu ernähren.

Der Bürgermeister Bremens Jens Böhrnsen (SPD) wurde vom deutschen Vegetarierbund (VEBU) kontaktiert und über die positiven Effekte eines Veggietages informiert. Auch ein offizieller Brief von Sir Paul McCartney und Rajendra Pachauri mit der Bitte um Einführung eines Veggietages wurde dem Bürgermeister geschickt.

Und tatsächlich war Bürgermeister Böhrnsen so aufgeschlossen, die Schirmherrschaft über das Projekt zu übernehmen Die Bürgerstiftung Bremen konnte auch schon einige weitere gewichtige Bündnispartner ins Boot holen, darunter den kommunalen Umweltsenator, die lokale Krankenversicherungsanstalt AOK Bremen, Umweltverbände und die Verbraucherzentrale.

Auch Niederlande ziehen nach

Auch in den Niederlanden tut sich bereits einiges. Am 8. Dezember hat die zweite Kammer im niederländischen Parlament einen gemeinsamen Antrag der holländischen Tierrechtspartei „Partei für die Tiere“ und der Partei „Grün Linke“ angenommen, der die Bewerbung eines fleischfreien Tages fordert. Eine Öffentlichkeitskampagne soll nun über die ökologischen und auch tierschutzrelevanten Folgen des Fleisch- , Fisch- und Milchproduktekonsums in den Niederlanden aufklären.

Parlamentsmitglied und Sprecher der „Grün Linken“ Tofik Dibi hofft auf eine zeitgemäße multimediale Kampagne, die sowohl Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene anspricht: "Wir möchten den Menschen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger kommen, sondern einfach bewusst machen, was wir gemeinsam erreichen können für eine nachhaltige Welt. Je eher, desto besser."

Österreich als Nachzügler?

In Österreich stecken alle Bemühungen, eine vergleichbare Initiative umzusetzen, noch in den Kinderschuhen. Tierschutz- und Vegetarismusorganisationen haben bereits vorgefühlt, doch die Skepsis ist auch hierzulande groß. Mächtige Lobbys wie die der Fleischindustrie werden gegen die tier- und klimafreundliche Initiative mobil machen, wenn maßgebliche PolitikerInnen sich für das Thema zu interessieren beginnen und die Verhandlungen und Gespräche zu einem Veggie-Wochentag konkret werden. Doch auch hierzulande ist der Trend zu Ökologie, Nachhaltigkeit und ethisch reflektiertem Konsum nicht aufzuhalten. Ein erster vegetarischer Tag ist nur eine Frage der Zeit und jede einzelne Stadt Österreichs hat noch die historische Chance, hier zum absoluten Pionier von Nachhaltigkeit und Tierfreundlichkeit zu werden.

 

 

 

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