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Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (02.06.2010)

Wien, am 02.06.2010

Kommentar zu: Der Schweineversuch

In der Ausgabe 1/2010 der Zeitschrift "bergundsteigen", einer Zeitschrift für BergführerInnen, erschien ein Artikel über die Lawinenversuche an Schweinen in Tirol. Die Autoren dieses Artikels waren allerdings auch diejenigen Personen, die diese Tierversuche durchgeführt haben. Die Zeitschrift, obwohl eigentlich nur mit Bergsteigen befasst, ermöglichte DDr. Martin Balluch eine kritische Gegenstimme zu äußern.

Zu obigem Thema haben die Studienautoren in bergundsteigen 1/10 vierseitig ihren Standpunkt darlegen dürfen. Als Wissenschaftler, Lawinenopfer und Obmann des Vereins Gegen Tierfabriken, der in die Proteste gegen diesen Versuch involviert war, fühle ich mich mehrfach betroffen und möchte daher in der leider gebotenen Kürze gerafft Stellung nehmen.

Der Tierversuch

Ziel der Versuchsreihe hätte es sein sollen, gewisse physiologische Prozesse beim Menschen unter dem Lawinenschnee zu verstehen. Das durch die angegebene Versuchsanordnung durchzuführen, ist durch zwei Faktoren begrenzt. Erstens sollten die Schweine Schmerzmittel und Narkose erhalten, was natürlich mit den physiologischen Prozessen, an denen man interessiert ist, interferiert. Unter der Lawine haben die menschlichen Opfer beides nicht. Je tiefer die Narkose, desto weniger leidet das Versuchstier, aber desto stärker wird der Einfluss der Narkotika auf die physiologischen Prozesse.

Zweitens wollte man erfahren, was bei Menschen unter den genannten Bedingungen passiert. Da Schweine keine Menschen sind, lässt sich aus der Versuchsanordnung bestenfalls eine Hypothese über die Situation bei Menschen ableiten. Unumgänglich ist letztendlich der Versuch am Menschen selbst, in der einen oder anderen Art, um an gesichertes Wissen zu gelangen. Es fragt sich, ob man den Zwischenschritt Tierversuch nicht unterlassen könnte. Im selben bergundsteigen findet sich sogar ein Beispiel für einen derartigen „Menschenversuch“ (S. 19): ein Lawinenopfer trug ein Pulsmessgerät. Würde man über Jahre viele SchitourengeherInnen mit den entsprechenden Geräten ausrüsten, hätte man die gewünschten Messresultate.

Ethisch nicht gerechtfertigt

In Österreich, mit seinem völlig veralteten Tierversuchsgesetz aus 1988, ist eine echte ethische Evaluierung von Tierversuchen durch eine professionelle Kommission leider nicht vorgesehen. Auch dieser Versuch ist daher nie einer derartigen Bewertung unterzogen worden, bevor er genehmigt wurde. Zur ethischen Evaluierung gehört, den potentiellen Nutzen mit dem tatsächlichen Schaden abzuwägen, wobei problematisch ist, dass den Nutzen die Menschen aber den Schaden die Tiere haben.

Der vorliegende Tierversuch wollte keine neuen Behandlungsmethoden oder neue Medikamente entwickeln. Er sollte lediglich dazu dienen, Grundlagen zu erforschen, die möglicherweise später zu weiteren Hypothesen führen könnten, die wiederum potentiell eines Tages verbesserte Behandlungserfolge an Menschen bringen könnten. Die Autoren sagen selbst, ihre Versuche hätten zur Empfehlung führen können, unter gewissen Bedingungen die Wiederbelebung von Lawinenopfern nicht aufzugeben (S. 29).

In der ethischen Diskussion werden Tierversuche in der Grundlagenforschung ohne konkrete Anwendungsideen in der Humanmedizin grundsätzlich stark kritisiert. Wenn der potentielle Gewinn einer Tierversuchsreihe lediglich eine Empfehlung sein könnte, die gleichen Wiederbelebungsmaßnahmen länger durchzuführen, dann scheint das ethische Urteil klar. Die Befriedigung von Neugier allein kann heute keinen invasiven Tierversuch rechtfertigen. Wenn es wirklich nur um humanmedizinische Hilfe und nicht um Neugier geht, läge es doch näher, die obige Empfehlung jetzt schon auszugeben und nach einigen Jahren zu evaluieren, ob sie sinnvoll war.

Tierversuche notwendig?

Im Gegensatz zu den sehr blauäugigen Aussagen der Autoren sind Versuchstiere bei weitem nicht ausreichend geschützt und werden praktisch nie artgerecht – weil pathogenfrei – gehalten. Tierversuche sind auch für wissenschaftlichen Fortschritt nicht notwendig. In der Astronomie gibt es große wissenschaftliche Fortschritte, obwohl man keine Versuche durchführen kann. Man ist auf geduldige Beobachtung, Statistik, Theoriearbeit und Computersimulation angewiesen. Fortschritte gibt es offensichtlich auch ohne Tierversuche, die wesentliche Frage ist, ob Fortschritt durch Tierleid erkauft werden darf.

„Radikale Tierversuchsgegner“

Eine lebendige Demokratie muss Platz für Proteste haben. Die Ausführungen der Autoren lassen mangelndes Demokratieverständnis erkennen. Gewaltfreie Besetzungen, Blockaden, Demonstrationen und Medienaktionen sind legitime Aktionsformen einer Protestkultur, um konstruktiv Konflikte in der Gesellschaft auszutragen, wenn eine Anpassung der Gesetze und Gewohnheiten notwendig wird (siehe Balluch 2009, „Widerstand in der Demokratie“, Promedia Verlag). Ohne dieses wichtige Korrektiv wären Minderheiten und nicht repräsentierte Interessen (z.B. Tiere und Umwelt) schutzlos.

6 Millionen Schweineschlachtungen pro Jahr

Die Autoren suggerieren, dass, wenn man schon Schweine isst, sie auch für solche Tierversuche verwenden dürfen müsste. Man kann aber nicht ein Übel mit dem anderen aufwiegen. Das ethische Urteil der Durchschnittsbevölkerung zur Schweinefleischproduktion ist durch die Gewöhnung an das Wiener Schnitzel am Teller von Kindheitsbeinen an getrübt. Dagegen ist das ethische Urteil der Gesellschaft zum vorliegenden Tierversuch, das durch eine Protestlawine klar artikuliert wurde, viel vertrauenswürdiger, weil es aus der notwendigen Distanz, ohne persönlich involviert zu sein, gefällt wurde.

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