Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (14.11.2022)
Wien, am 14.11.2022Tiertransporte: illegal
Warum das Kälbertransport-Abkommen zwischen Italien und Österreich laut Rechtsmeinung von Jurist:innen illegal ist
Als Reaktion auf VGT-Aufdeckungen über Transporte von österreichischen Kälbern von Vorarlberg und Tirol nach Bozen in Südtirol und dann weiter zu italienischen oder spanischen Mastbetrieben schlossen Österreich und Italien 2019 ein neues Abkommen, um derartige Kälbertransporte zu legalisieren. Dieses Abkommen ist EU-rechtswidrig und läuft dem Tierwohl – entgegen seiner Zielsetzung – klar zuwider. Daraufhin haben die beiden Juristinnen Patricia Patsch und Barbara Felde, sowie der Tierarzt und Tiertransportexperte Alexander Rabitsch, eine juristische Beurteilung des Abkommens abgegeben. Dabei kamen sie – genauso wie die Jurist:innen des VEREIN GEGEN TIERFABRIKEN – zu dem Schluss, dass dieses Abkommen illegal ist.
Das juristische Gutachten wurde auch der Europäischen Kommission vorlegt. Diese war bislang nicht darüber informiert, dass Österreich und Italien eigene Regelungen trafen, um sich auf Kosten des Tierwohls einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber den anderen EU-Mitgliedstaaten zu verschaffen. Die Jurist:innen setzten der EU-Kommission eine Frist, bis Jänner 2023 zu reagieren.
Transporte lebender Tiere innerhalb der Europäischen Union werden durch die EU-Tiertransport-Verordnung (TTVO) geregelt1. EU-Verordnungen gelten in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Einzelne Mitgliedstaaten dürfen zwar zusätzlich abweichende Regelungen treffen, allerdings nur für Transporte innerhalb eines Staates. Das Kälbertransport-Abkommen zwischen Österreich und Italien regelt den Transport von Kälbern zwischen diesen beiden Staaten und ist daher EU-rechtswidrig. Außerdem dürfen die abweichenden Regelungen nicht noch mehr dem Tierwohl zuwiderlaufen, als dies bereits die TTVO tut. Denn allein die Tatsache, dass lange Transporte von nicht entwöhnten Jungtieren überhaupt zulässig sind, widerspricht offensichtlich dem Tierwohl, sind diese doch stets mit erheblichem Stress, Angst und Bedrängnis und im Falle von Kälbern zusätzlich mit erheblichem Leid durch stundenlangen Nahrungsentzug verbunden.
Das Abkommen widerspricht auch inhaltlich in mehreren Punkten der TTVO: Die maximal zulässige Transportdauer für Kälber beträgt nach der TTVO 19 Stunden, wobei nach spätestens 9 Stunden eine einstündige Pause einzulegen ist, während der die Kälber versorgt werden müssen. Ein Transport beginnt mit dem Verladen des ersten Tieres am Versandort und endet mit dem Entladen des letzten am Bestimmungsort. Im österreichisch-italienischen Abkommen wird zwischen dem vorläufigen und dem endgültigen Bestimmungsort differenziert. Die TTVO sieht eine solche Differenzierung jedoch nicht vor. Sie definiert lediglich den Bestimmungsort. Dabei handelt es sich um den Ort, an dem ein Tier von einem Transportmittel entladen wird und entweder mindestens 48 Stunden verbleibt, bevor es weiter transportiert wird, oder gleich geschlachtet wird.
Italienische Sammelstellen2, wie die bei Bozen, werden durch das Abkommen zum vorläufigen Bestimmungsort erklärt. Nur wenn die Kälber dort mindestens 48 Stunden verbleiben, ist die Sammelstelle tatsächlich als Bestimmungsort zu qualifizieren. Andernfalls bilden der Transport dorthin, der dortige Aufenthalt und der anschließende Weitertransport, einen zusammenhängenden Transportvorgang, bei dem die Maximaldauer der Beförderung von 19 Stunden (9 Stunden + 1 Stunde Pause + 9 Stunden) eingehalten werden muss. Das an dieser Sammelstelle regelmäßig durchgeführte Umladen und neu Zusammenstellen der Tiersendungen ist ebenfalls entgegen der TTVO, da diese eine Neuzusammenstellung und eine Umladung auf ein anderes Fahrzeug nicht vorsieht.
Diverse Aufdeckungen des VEREIN GEGEN TIERFABRIKEN beweisen, dass die Kälber weniger als 48 Stunden an der Sammelstelle bei Bozen verbleiben und dann weiter transportiert werden, wodurch die höchst zulässige Dauer für Tiertransporte weit überschritten wird. Einige Kälber könnten nicht maximal 19 Stunden - wie EU-rechtlich erlaubt - sondern bis zu mehrere Tage unterwegs sein. Diese Praxis könnte für die Kälber eine erhebliche Verlängerung und Verschlimmerung der ihnen durch den Transport entstehenden Qualen bedeuten. Außerdem liegt auch hier ein Verstoß gegen die TTVO vor, die bestimmt, dass Transporte aus Tierschutzgründen so kurz wie möglich zu halten sind.
Plausibilitätsprüfung unmöglich
Des Weiteren ist für die Behörden nicht nachvollziehbar, wie lange der Transport der Tiere tatsächlich dauert. Dadurch wird die EU-rechtlich vorgeschriebene Plausibilitätsprüfung vor der Abfahrt des Transportes verunmöglicht. Diese Prüfung ist bei langen Transporten – das sind solche, die mehr als 8 Stunden dauern – durch die zuständige Behörde am Versandort (in Österreich die Bezirksverwaltungsbehörde des Versandortes) durchzuführen. Dabei hat die Behörde unter anderem zu kontrollieren, ob das vom Organisator des Transportes vorgelegte Fahrtenbuch wirklichkeitsnahe Angaben enthält und der Transport nicht gegen die EU-Verordnung verstößt. Im Abkommen zwischen Österreich und Italien ist weder vorgesehen, dass im Fahrtenbuch der Bestimmungsort noch die einzuhaltenden Pausen noch die gesamte Transportdauer angegeben werden muss. Diese Angaben sind jedoch für eine sinnvolle Plausibilitätsprüfung notwendig. Besonders die rechtswidrige Formulierung des "vorläufigen" Bestimmungsortes verunmöglicht, den geplanten Transport bis zum tatsächlichen und endgültigen Ziel nachzuvollziehen.
Die beschriebene Praxis der Organisatoren der Tiertransporte lässt sich als „illegales Sammelstellenhopping“ bezeichnen und verschlimmert das ohnehin schon enorme Leid der Kälber als Abfallprodukt der Milch- und Käseindustrie nochmal um ein Vielfaches. Der VEREIN GEGEN TIERFABRIKEN fordert die österreichische Regierung daher auf, die illegalen Transporte zu beenden und darüber hinaus Kälbertransporte endlich ganz zu verbieten.
(1) VO (EG) 1/2005 des Rates v 22.12.2004 über den Schutz von Tieren beim Transport und damit zusammenhängenden Vorgängen sowie zur Änderung der RL 64/432/EWG und 93/119/EG und der VO (EG) 1255/97
(2) Nach der TTVO sind Sammelstellen „Orte wie Haltungsbetriebe, Sammelstellen und Märkte, an denen Hausequiden, Hausrinder, Hausschafe, Hausziegen oder Hausschweine aus unterschiedlichen Haltungsbetrieben zur Bildung von Tiersendungen zusammengeführt werden“. Sowohl der Betrieb in Bergheim, als auch derjenige bei Bozen erfüllen diese Kriterien und sind daher als Sammelstellen zu qualifizieren.