Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (17.04.2023)
Wien, am 17.04.2023Der Putzerfisch weiß, wer er ist
Blaustreifen-Putzerlippfische erkennen sich selbst im Spiegel und auf Fotos. Das bedeutet, dass die kleinen Fische ein Bewusstsein von sich selbst haben. Ähnlich wie wir Menschen auch.
Diese Aufsehen erregenden Ergebnisse mehrerer wissenschaftlichen Studien wurden Anfang Februar 2023 veröffentlicht. Ein Raunen geht seither durch die mit dem Thema befassten wissenschaftlichen Fachdisziplinen. Weltweit haben Medien über diese wissenschaftliche Sensation berichtet. Denn so fundamental neue Erkenntnisse über die mentalen und kognitiven Fähigkeiten von Fischen hat es bislang noch nicht gegeben. Das kann viel verändern.
Die Mitarbeiter:innen des VGT und viele andere Fischfreund:innen und Fischschützer:innen in Österreich freuen sich und sehen durch die Studienergebnisse das bestätigt, was sie schon lange sagen: Fische sind intelligent und haben ein Bewusstsein.
Putzerfische haben ein Ich-Bewusstsein
Mehrjährige wissenschaftliche Studien an der japanischen Universität Osaka unter Leitung von Masanori Kohda haben nun klar bewiesen, dass Blaustreifen-Putzerlippfische sich selbst im Spiegel und auf Fotos wahrnehmen. Das bedeutet: Sie sind sich ihrer selbst bewusst. Sie haben das, was die Wissenschaft ein Ich-Bewusstsein nennt. Das ist nicht nur eine bahnbrechende Entdeckung in der Bewusstseinsforschung, sondern stellt den bisherigen Umgang des Menschen mit Fischen und das menschliche Denken über Fische grundsätzlich in Frage.
Der Spiegeltest
Der japanische Wissenschafter Masanori Kohda und ein Team haben sich einige Jahre lang mit der Frage beschäftigt, ob der Blaustreifen-Putzerlippfisch (Labroides dimidiatus) ein Bewusstsein seiner selbst hat. Ausgangspunkt der mehrjährigen Forschungen war die Überlegung, ob Putzerfische den sogenannten Spiegeltest
bestehen können.1 Der Anfang der 1970er Jahre entwickelte Test ist ein Experiment zur Selbstwahrnehmung von Menschen oder Tieren. Er gilt bis heute als anerkannte wissenschaftliche Testmethode. Wer den Spiegeltest besteht, hat die Fähigkeit, sein eigenes Ich wahrzunehmen und sich selbst zu erkennen.
Vereinfacht gesagt wird beim Spiegeltest einem Menschen oder einem anderen Tier ein Farbfleck an einer Körperstelle aufgemalt, die nur durch den Blick in einen Spiegel erkennbar ist. Wenn Mensch oder Tier dann in den Spiegel schaut, die Farbmarkierung sieht und versucht, sie zu entfernen, bedeutet das, dass Mensch oder Tier das reflektierende Spiegelbild seiner selbst wahrnimmt und sich selbst erkennt.
Studien an der Universität Osaka
Der Spiegeltest wurde bislang mit einigen Säugetier- und Vogelarten, allerdings noch nicht mit Fischen durchgeführt. Das reizte Masanori Kohda und sein Team. Also wurde vor zirka 5 Jahren am Biologischen Institut der Universität Osaka eine Versuchsreihe überlegt und gestartet, bei der der Spiegeltest mit Blaustreifen-Putzerlippfische durchgeführt wurde. Die Wissenschafter:Innen in ihrem Bericht zur Studie: To explore these questions, we here test whether a fish, the cleaner wrasse Labriodes dimidiatus, displays behavioural responses that can be interpreted as passing the mark test. We then ask what this may mean for our understanding of self-awareness in animals and our interpretation of the test itself.
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Putzerfische bestehen Spiegeltest
Für diese erste Studie wurden 10 Blaustreifen-Putzerlippfische verwendet. Penibel genau wurde die erarbeitete Versuchsreihe durchgeführt. Die Ergebnisse ließen die Wissenschaftler:innen staunen. Das abschließende Resümee des Wissenschaftsteams, das im Februar 2019 veröffentlicht wurde, ist eindeutig: Nevertheless, we provide compelling evidence that cleaner wrasse show behavioural responses that can be reasonably interpreted as passing through all stages of the mark test and attempt to remove a mark only when it is able to be viewed in the mirror“. An anderer Stelle heißt es: „Our conclusion is therefore that cleaner wrasse show behavioural responses that fulfil the criteria of the mark test as laid out for other animals, but that this result does not mean they are self-aware.
Den Spiegeltest haben die Fische bestanden und sie nehmen sich eindeutig selbst wahr. Aber die Wissenschafter:Innen waren durch die bisher durchgeführten Studien noch nicht davon überzeugt, den Putzerfischen auch ohne Zweifel ein Ich-Bewusstsein zuzusprechen.
Studien wurden fortgesetzt
Also wurden die Forschungen fortgesetzt, die bisherigen Versuche erweitert und verbessert. Die daraus resultierenden Ergebnisse bestätigten einerseits die schon gemachten Untersuchungen und andererseits wurden weitere wichtige Erkenntnisse gewonnen. Im Februar 2022 erschien der nächste wissenschaftliche Bericht. Die Wissenschafter:innen zeigten sich zufrieden: Taken together, these results increase our confidence that cleaner fish indeed pass the mark test, although only if it is presented in ecologically relevant contexts“. Und weiter: „As we see it, the additional experiments largely support the notion that cleaner fish indeed show self-recognition in the mirror task.
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Endgültige eindeutige Beweise
Trotz der Menge an neuen und überraschenden Erkentnissen gab es zu diesem Zeitpunkt innerhalb der wissenschaftlichen Community nach wie vor einige Zweifler:innen, denen die Erkenntnisse noch nicht eindeutig genug waren. Masanori Kohda und sein Team nahmen die Herausforderung erneut an und forschten weiter. Im Februar 2023 erschien der nächste wissenschaftliche Bericht der Forschungsgruppe. Die Ergebnisse sind nun eindeutig, klar und ohne Zweifel: Our results suggest that cleaner fish with MSR ability can recognize their own mirror image based on a mental image of their own face, rather than by comparing body movements in the mirror.
Und: …. demonstrating that cleaner fish with MSR capacity recognize their own facial characteristics in photographs.
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Der Blaustreifen-Putzerlippfisch weiß also, wer er ist. Viele andere Fischarten tun das auch. Wenn eine Fischart Ich-Bewusstsein hat, haben das andere Fischarten auch, das muss nun nicht mehr unbedingt für jede Art wissenschaftlich bewiesen werden. Vor allem ist es nun wichtig, die richtigen Schlüsse aus den neuen Erkenntnissen zu ziehen. Konkret bedeutet das beispielsweise, dass Fische gesetzlich viel stärker und besser geschützt werden müssen. Wer Fisch isst, sollte sich klar darüber sein, dass der Fisch am Teller bewusst erlebt hat, wie er gefangen, gequält und getötet wurde.
Hinweis: Bei den in diesem Artikel erwähnten wissenschaftlichen Studien wurden Versuche an Blaustreifen-Putzerlippfischen durchgeführt. Nach Aussage der Wissenschafter:innen wurden alle Experimente in Übereinstimmung mit den Tierschutzrichtlinien der Japanischen Ethologischen Gesellschaft durchgeführt. Der VGT lehnt Tierversuche ab, auch solche, die in den erwähnten Studien durchgeführt wurden. Die Erkenntnisse und Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Forschungen rechtfertigen die Versuche an den Fischen nicht.
Die bei den Versuchen verwendeten Fische sind außerdem Fische, die von kommerziellen Fischfängern aus dem Meer gefischt wurden. Der VGT lehnt die Praxis des Fanges von frei lebenden Wildtieren aus welchen Gründen auch immer ab.
Quellen
- Spiegeltest (Wikipedia)
- Masanori Kohda, Takashi Hotta, Tomohiro Takeyama, Satoshi Awata, Hirokazu Tanaka, Jun-ya Asai, Alex. L. Jordan: If a fish can pass the mark test, what are the implications for consciousness and self-awareness testing in animals?
- Masanori Kohda, Shumpei Sogawa, Alex L. Jordan, Naoki Kubo, Satoshi Awata, Shun Satoh, Taiga Kobayashi, Akane Fujita, Redouan Bshary: Further evidence for the capacity of mirror self-recognition in cleaner fish and the significance of ecologically relevant marks
- Masanori Kodha, Redouan Bshary, Naoki Kubo, Satoshi Awata, Will Sowersby, Kento Kawasaka, Taiga Kobayashi, Shumpei Sogawa: Cleaner fish recognize self in a mirror via self-recognition like humans.