Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (19.01.2009)
Wien, am 19.01.2009Stellungnahme des Vereins Gegen Tierfabriken
zum Begutachtungsentwurf der Anlage 6 der 1. Tierhaltungsverordnung, Mindestanforderungen für die Haltung von Hausgeflügel
Zunächst ist allgemein zu dem Entwurf zu bemerken, dass es mit den Tierschutzorganisationen zu den hier vorgeschlagenen Neuerungen im Vorfeld keinerlei Diskussion und Meinungsaustausch gegeben hat. Das ist insofern besonders problematisch, als der Entwurf eine eklatante Verschlechterung der Tierschutzstandards vorsieht, die in einem mühsamen politischen Prozess im Jahr 2004 erkämpft und einstimmig im Parlament beschlossen wurden. Damit widerspricht dieser Entwurf dem zentralen §1 des Tierschutzgesetzes, wonach das Ziel des Gesetzes und damit auch der hier diskutierten Anlage 6, der Schutz des Wohlbefindens der Tiere aus der besonderen Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf ist. Die heute noch gängigen Formen der Massen- und Intensivtierhaltung sind Altlasten aus einer Zeit, in der nur die Industrialisierung der Tierproduktion und die Rationalisierung der Produktionsweisen Vorrang hatten, ohne jegliche Tierschutzbedenken. Nach dem 2. Weltkrieg gab es keine Stimme des Tierschutzes gegen diese Entwicklung. Heute steigt jedes Jahr das Bewusstsein in der Bevölkerung von ihrer Verantwortung gegenüber Tieren, und Tierschutz wird sowohl national als auch auf EU Ebene zunehmend wichtiger. Das offensichtliche Ziel der Politik muss also ein stetiger Abbau der historischen Altlasten tierfeindlicher Produktionsformen sein. Das Tierschutzgesetz kann nur laufend im Sinne der Tiere verbessert und verschärft werden.
Es ist daher vollkommen unfassbar, wie in völliger Verkennung dieses Prozesses eine dramatische Verschlechterung einer seit 4 Jahren bestehenden, zentralen Tierschutznorm vorgeschlagen wird: die Besatzdichte bei Masthühnern soll um 30% und bei Truthühnern sogar um 50% erhöht werden! Dieser Vorschlag kommt einer Bankrotterklärung aller Tierschutzansprüche gleich und ist absolut indiskutabel!!
Nun zu den Punkten im einzelnen:
1) Punkt 2.7.2 „Zulässige Eingriffe: Schnabelkürzen“
Im Jahr 2001 initiierte die Kontrollstelle für artgemäße Nutztierhaltung eine wissenschaftliche Studie zur Notwendigkeit des Schnabelkürzens bei Legehühnern aufgrund von Kannibalismus und Federpicken. Verfasser der Studie war der damalige wissenschaftliche Beirat der Kontrollstelle, bestehend aus Prof. Bartussek, Prof. Haiger, Prof. Konrad, Prof. Troxler und Prof. Woidich, unter Mitarbeit von Dr. Niebuhr und Dr. Kepperl. Die Studie wurde vom Landwirtschaftsministerium mitfanziert.
In der Studie stellen die Autoren fest: Hühner ertasten sich mit dem Schnabel ihre Sinneserlebnisse bei Futtersuche, Fressen und vielen weiteren Verhaltensweisen. […] Daraus ergibt sich die überragende Bedeutung des Tastorgans Schnabel für die Lebensqualität der Hühner. […] Schnabelkupieren ist für das Tier mit Sicherheit ein schmerzhafter Eingriff. Spätere Phantomschmerzen sind nicht ausgeschlossen. Das Schnabelkürzen beraubt die Tiere nachhaltig eines Teiles ihrer Wahrnehmungsfähigkeit.
Mit anderen Worten: Schnabelkupieren ist ein mit heutigen Ansprüchen des Tierschutzes nicht vereinbarer Eingriff, der nur durch außerordentliche Notwendigkeit begründet werden könnte.
Die oben genannte Studie konnte allerdings auch eine Reihe von Parametern in der Hühnerhaltung herausarbeiten, die für die Symptome des Federpickens und des Kannibalismus verantwortlich sind. Auf Basis der Ergebnisse der Studie sind diese Symptome daher mit ganz anderen, viel tierfreundlicheren Maßnahmen erfolgreich bekämpfbar. Es besteht daher keinerlei Notwendigkeit mehr, die Schnäbel zu kürzen. Tatsächlich zeigt sich in der österreichischen Praxis, dass nur noch so wenige Betriebe Schnäbel kupieren, dass die Anzahl schnabelkupierter Legehühner bereits unter 1 % gesunken ist.
Es ist daher an der Zeit, das Schnabelkupieren zu verbieten.
2) Punkt 3 „Besondere Haltungsvorschriften für die Aufzucht von Küken und Junghennen“
Nach §18 (3) des Tierschutzgesetzes ist die Käfighaltung für Legehennen ab 1. 1. 2009 verboten. Da Legehennen nur dann in Alternativsystemen (Boden- oder Freilandhaltung) gehalten werden dürfen, wenn ihre Aufzucht in Alternativsystemen erfolgte (siehe Punkt 4.6) ist für österreichische Legehühner eine Aufzucht von Küken und Junghennen in Käfigen sowieso nicht mehr möglich.
Zusätzlich ist die Haltung von Legehühnern in Käfigen aus ethischen Gründen verboten worden, und daher ist nicht einzusehen, warum diese ethischen Gründe nicht auch die Aufzucht von Küken und Junghennen umfassen sollen.
Die Käfighaltung von Küken und Junghennen muss daher verboten werden.
3) Punkt 7.3.1 „Übergangsfrist für bestehende nicht ausgestaltete Käfiganlagen“
Da diese Übergangsfrist mit 31. 12. 2008 abgelaufen ist, sollte dieser Passus völlig aus der Verordnung gestrichen werden.
4) Punkt 7.3.2 „Übergangsfrist für bestehende ausgestaltete Käfiganlagen“
Da in diesem Begutachtungsentwurf die Nummerierung gegenüber der bestenden Anlage 6 abgeändert wurde, muss die Referenz im ersten Absatz „wenn die Bestimmungen des Punktes 7.3.2.2 eingehalten werden“ lauten.
5) Punkt 5.3 „Bewegungsfreiheit [von Mastgeflügel]“
Nach dem Begutachtungsentwurf soll die derzeit gültige maximale Besatzdichte für Masthühner von 30 kg/m² auf 36 bzw. „temporär“ sogar 38 kg/m² angehoben werden. Bei einem Gewicht von 1,5 kg pro Tier bedeutet das einen Anstieg von 20 auf fast 26 Tiere pro m², also eine Zunahme von fast 30%! Für Mastputen soll die Besatzdichte von 40 kg/m² auf 58 kg/m² angehoben werden, also vom Standpunkt der Tiere eine Verschlechterung um fast 50%!
Im Jahr 2004 wurde vom Parlament einstimmig ein neues Bundestierschutzgesetz beschlossen. Dieses Beschlusspaket enthielt auch eine Übereinkunft zur Besatzdichte bei Masthühnern und –puten, die sich an der schlechtesten damals gültigen Verordnung in den Ländern orientierte. Schon damals wollten Vertreter der Landwirtschaft die Besatzdichte noch höher als die damals gültige maximal erlaubte Besatzdichte in den Ländern hinaufschrauben. Als Argument dafür wurde genannt, dass die Masthuhnbetriebe sich sowieso nicht an das Gesetz halten würden, und so müsse man das Gesetz dem Verhalten der Gesetzesbrecher anpassen, nicht umgekehrt.
Diese haarsträubende Argumentation führte letztendlich aufgrund öffentlichen Drucks nicht zum Erfolg, und die Besatzdichten blieben bei 30 kg/m² für Masthühner und 40 kg/m² für Truthühner. Diese Verordnung wurde einstimmig von allen Parlamentsfraktionen mitgetragen und auch vom Bauernbund akzeptiert.
In den folgenden Jahren kam es vermehrt zu Kontrollen von Geflügelmastbetrieben seitens des Tierschutzes und es zeigte sich, dass die Betriebe mit Hilfe des „Splitting-Verfahrens“ die maximalen Besatzdichten einhielten. Im Splitting-Verfahren werden nach etwa 31-34 Tagen ca. 30% der Masthühner zum Schlachthof gebracht, während die übrigen bis zum Alter von 40-42 Tagen im ausgedünnten Stall weitergemästet werden. Auf Basis dieses Verfahrens konnten sich die Betriebe an das Gesetz halten und wirtschaftlich bestehen. Und die Masthühner hatten eine maximale Besatzdichte, die sie wenigstens nicht derart dramatischen Konsequenzen für ihr Wohlbefinden aussetzt, wie das die wissenschaftliche Literatur für Besatzdichten über 30 kg/m² beschreibt.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Geflügelmastbetriebe seit Bestehen von Vorschriften für maximale Besatzdichten – seit etwa 20 Jahren – mit 30 kg/m² bzw. 40 kg/m² ausgekommen sind. Vom rein ökonomischen Standpunkt aus ist daher nicht nachzuvollziehen, warum ausgerechnet jetzt eine derart drastische Erhöhung der Besatzdichten notwendig sein sollte.
Gegen eine Erhöhung der Besatzdichten lassen sich folgende Argumente anführen:
- Nach Petermann 2006, „Geflügelhaltung“, in Krankheitsursache Haltung, herausgegeben von Thomas Richter im Enke Verlag, ist die Besatzdichte in der Mastgeflügelhaltung aus ethologischer Sicht einer der wesentlichen Parameter (Hervorhebung im Original). Es ist vollkommen indiskutabel, einen für den Tierschutz wesentlichen Parameter um 30% bzw. 50% zu verschlechtern, nachdem er bereits Jahrzehnte existiert hat und völlig etabliert ist.
- Petermann 2006, „Geflügelhaltung“, in Krankheitsursache Haltung, herausgegeben von Thomas Richter im Enke Verlag, gibt für 1,5 kg schwere Masthühner eine Bodenfläche von 360 cm² an, die der einzelne Körper einnimmt. Bei vollem Besatz von 38 kg/m² wären dann bei völlig gedrängtem Stillstehen der Hühner nur mehr 8% der Stallfläche unbesetzt. Unter diesen Bedingungen sind nicht nur keine artgerechten, sondern überhaupt keine Verhaltensweisen mehr möglich!
- Der Bericht des Scientific Committee on Animal Health and Animal Welfare der EU-Kommission vom März 2000 stellt in Punkt 7.5.6 fest, dass das Wohlbefinden von Mastgeflügel direkt mit der Besatzdichte zusammenhängt, und dass schwerwiegende Nachteile für Masthühner nur bei Besatzdichten von 25 kg/m² oder weniger vermieden werden können. In den Empfehlungen dieses Berichts wird deutlich ausgesprochen, dass Besatzdichten nicht höher als 25 kg/m² sein dürfen, und dass auch bei bestem Stallklima schwere Probleme für die Hühner auftreten, wenn Besatzdichten 30 kg/m² übersteigen.
- Bei erhöhten Besatzdichten können die Mast- und Truthühner ihr natürliches Verhalten nicht mehr ausleben, sie bewegen sich weniger, werden öfter durch andere Tiere gestört, sie scharren und pecken weniger am Boden, und sie gehen weniger und putzen seltener ihre Federn (Punkt 6.9 im Bericht der EU-Kommission).
- Bei erhöhten Besatzdichten wird die Bodeneinstreu wesentlich rascher verschmutzt. Da die Tiere viel Zeit sitzend verbringen, sind insbesondere Brust und Bauch flächig mit anhaftendem Kot verklebt. Dadurch entwickeln sich schwere Kontaktdermatitiden (Brustblasen, hock burns und Fußballenveränderungen). Siehe dazu Martrechar et al. 2002, Risk factors for foot-pad dermatitis in chicken and turkey broilers in France, Preventive Veterinary Medicine 52:213-226. Derartige Erkrankungen befallen bei hohen Besatzdichten fast 50% der Tiere (Sanotra et al. 2003, A comparison between leg problems in Danish and Swedih broiler production, Animal Welfare 12:677-683). Tiere, die häufiger still sitzen, bekommen in einer verkoteten Einstreu viel eher Fußballenprobleme (Su et al. 2000, Research Notes, A note on the effect of perches and litter substrate on leg weakness in broiler chickens, Poultry Science 79:1259-1263).
- Die Menge von Ammoniak in der Stallluft hängt direkt von der Besatzdichte ab. Eine erhöhte Ammoniakkonzentration führt zur Schädigung des Lungenepithels. Auch Schleimhautreizungen, Keratokonjunktivitis, Glottis- und Lungenödem, sowie eine verminderte Atemfrequenz können auftreten. Wenn den Tieren die Möglichkeit geboten wird, erhöhter Ammoniakkonzentration auszuweichen, dann tun sie das (Jones et al. 2005, Avoidance of atmospheric ammonia by domestic fowl and the effect of early experience, Applied Animal Behaviour Science 90(3/4):293-308).
- Erhöhte Besatzdichten und verkotete Einstreu führen zu Überhitzung und erhöhter Luftfeuchtigkeit. Da die Hühner vor allem gegen Mastende sehr viel Eigenwärme produzieren, können die beiden Faktoren zusammengenommen die Anpassungsfähigkeit der Tiere überfordern. Bei einer wissenschaftlichen Untersuchung kamen McLean et al. 2002 (Welfare of male and female broiler chickens in relation to stocking density as indicated by performance, health and behaviour, Animal Welfare 11:55-73) zu folgendem Schluss: „Der Umstand, dass die Hühner in der sechsten Lebenswoche bei einer Besatzdichte von 28 kg/m² deutlich weniger hechelten als bei Besatzdichten von 34 oder 40 kg/m² belegt, dass ihr thermisches Wohlbefinden und damit ihre Gesundheit in diesem Alter Besatzdichten von weniger als 34 kg/m² erfordern.“
- Eine Untersuchung an der Universität Oxford (Hall 2001, The effect of stocking density on the welfare and behaviour of broiler chickens reared commercially, Animal Welfare 10:23-40) hat gezeigt, dass erhöhte Besatzdichten um 38 kg/m² die Gesundheit der Tiere in vielfacher Hinsicht schädigen. Die Mortalitätsraten waren signifikant höher als bei niedrigeren Besatzdichten.
- Im März 2007 veröffentlichte die EU-Kommission eine europaweite Umfrage zum Thema „Einstellung der EU-BürgerInnen zu Tierschutz“ (siehe http://ec.europa.eu/food/animal/welfare/survey/sp_barometer_aw_en.pdf). Die Befragung wurde in 29 europäischen Ländern von 6. September bis 10. Oktober 2006 durchgeführt. Insgesamt wurden 28.652 Personen befragt. Dabei wurde in der EU und auch in Österreich der Nutztierschutz von der Bevölkerung sehr groß geschrieben (siehe: http://vgt.at/publikationen/texte/artikel/20071014Eurobarometer/index.php). Nach dem Schutz der Legehühner war gerade der Schutz der Masthühner den Menschen am wichtigsten (http://vgt.at/publikationen/texte/artikel/20060721Eurobarometer/index.php). Unter diesen Umständen kann es nur als Verhöhnung des Volkswillens gesehen werden, den Schutz der Masthühner mit einer neuen Verordnung drastisch zu verschlechtern!
- Im Mai 2007 sprach sich der damalige Landwirtschaftsminister und heutige Vizekanzler Josef Pröll eindeutig gegen eine Erhöhung der Masthuhnbesatzdichte aus. Er betonte, dass er im Agrarministerrat gegen höhere Besatzdichten in der EU-Direktive gestimmt habe und sagte wörtlich: „Die Neuregelung hat wenig mit Tierschutz aber viel mit Industrieinteressen zu tun und schreibt Tierleid fest, statt es zu beseitigen. Das ist ein bedauerlicher Sündenfall der EU beim Tierschutz […] Dies widerspricht allen Erklärungen der EU die Tierschutzstandards verbessern zu wollen.“
- Der Tierschutzrat hat in seiner 15. Sitzung eine Erhöhung der Besatzdichte
bei Mastputen auf einen Wert von über 40 kg/m² mit folgendem Beschluss
abgelehnt: „Auf Grund der vorliegenden wissenschaftlichen
Erkenntnisse wird festgestellt, dass das Wohlbefinden der Truthühner,
insbesonders aus ethologischer Sicht, bei Überschreitung einer Besatzdichte
von 40 kg/m² stark beeinträchtigt ist. Daher kann einer Erhöhung der Besatzdichte
nicht zugestimmt werden.“ In derselben Sitzung hat der Tierschutzrat auch
einer Erhöhung der Besatzdichte bei Masthühnern über 30 kg/m² hinaus nicht
zugestimmt.
Zusammenfassend ist eine Erhöhung der Besatzdichte von Mastgeflügel nicht nur wirtschaftlich nicht notwendig, sondern auch und gerade vom Standpunkt des Tierschutzes aus völlig undenkbare und schwere Tierquälerei. Eine derartig massive Verschlechterung des österreichischen Tierschutzgesetzes wäre in schlimmster Weise anachronistisch und stünde der Entwicklung zu stetig besserem Tierschutz diametral entgegen. Abgesehen davon widerspricht das eklatant dem Willen der Bevölkerung.