Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (14.06.2010)
Wien, am 14.06.2010Stierkampf: Weltkulturerbe oder anachronistische Barbarei?
Der Kulturkampf um die UNESCO-Kulturerbeliste
Ein Tier, welches vor johlendem Publikum zu Tode gemartert wird, mit Lanzen, Spießen, Messern so lange massakriert wird, bis es tot zusammenbricht: das ist der traurige Kern, das schlichte Wesen des Stierkampfs – ein archaischer „Brauch“ und eine „Tradition“, die viele Menschen vor ein Rätsel stellt: Wie konnte sich diese kulturelle Barbarei bis ins 21.Jahrhundert erhalten, und noch heute stetig Heerscharen fanatischer und einflussreicher Fürsprecher für sich gewinnen?
Der Stierkampf ist ein knallhartes Geschäft, alleine in Spanien hängen an der Schreckensbranche 70.000 Arbeitsplätze und der Jahresumsatz beläuft sich alleine hier auf schätzungsweise 1,5 Milliarden Euro, darunter auch immense Subventionen nationalstaatlichen Zuschnitts sowie auch durch die EU.
Es existiert reichhaltiges Dokumentations- und Anschauungsmaterial über die Realität des Stierkampfes, das sich über die letzten Jahrzehnte – ja Jahrhunderte - angesammelt hat, es gibt zahllose - darunter auch ganz aktuelle - authentische Filme, Fotos, Berichte; darüber hinaus ebenso beredte wie kompetente Zeugnisse und Stellungnahmen von WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen, TierrechtlerInnen, AnwältInnen, TierärztInnen, AnthropologInnen, PhilosophInnen, SchriftstellerInnen, KünstlerInnen, JournalistInnen, BiologInnen, die sich nüchtern und objektiv mit dem urtümlichen Brauch auseinandergesetzt haben und auf Basis dieser sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema zu vehementen KritikerInnen oder zumindest SkeptikerInnen wurden.
Verständlich, dass in der Stierkampfszene und den zugehörigen Lobbys Panik ausbricht. Die Stierqual-Profiteure und -Lobbyisten fürchten vor allem, dass die mit dem Stierkampf verbundenen Einnahmequellen, einschließlich staatlicher Subventionen, versiegen könnten. Denn die Tauromachie, wie die blutigen Gemetzel verharmlosend genannt werden, ist ein sehr lukratives Business.
Einführung der UNESCO-Kulturerbe Konvention 2003
Die UNESCO hat am 29. September 2003 in Paris bei ihrem 32. Treffen die Konvention für den Schutz des immateriellen Kulturerbes beschlossen.
VertreterInnen der Erhaltung des Stierkampfs witterten bald ihre Chance, der wachsenden Bewegung gegen den Stierkampf auf dieser neuen Ebene entgegen zu wirken.
Schon im Jahre 2005 forderte die Asociación Internacional de Tauromaquia (AIT), dass der Stierkampf zum Weltkulturerbe erklärt wird. Dieser erste Antrag wurde abgelehnt. Seitdem arbeitet die Stierkampflobby, die sich inzwischen weltweit zusammengeschlossen hat, intensiv an dem Projekt “Proyecto Tauromaquia de la UNESCO”, um zu erreichen, dass der Stierkampf als Immaterielles Kulturerbe unter den Schutz der UNESCO gestellt werde.
Der mächtige spanische Stierkampf-Dachverband „Mesa del Toro“, der die Lobbying-Kampagne bei der UNESCO uneingeschränkt unterstützt, ist so einflussreich, dass ihm 2008 gestattet wurde, im Europäischen Parlament für die „schützenswerte Tradition“ (so die Sicht der Stierkampfbefürworter) bzw. „Kulturschande“ (Sicht der Stierkampfgegner) des Stierkampfs bei den Abgeordneten zu werben. Am 4. und 5. Juli 2008 zog der Stierkampf ins EU-Parlament ein. Es fand die Ausstellung “Entre hombre y toro” („Zwischen Mann und Stier“) statt.
Selbstverständlich fand angesichts dieser unverfrorenen Propaganda auch eine Gegenveranstaltung der StierkampfgegnerInnen mit internationaler Beteiligung vor dem Parlament statt. Laut Angaben der Stierkampflobbyisten wurde die Ausstellung von den europäischen ParlamentarierInnen sehr gut aufgenommen, “…so dass die Chancen für einen Eintrag als Weltkulturerbe der UNESCO sehr gut stehen.”
Möglich sind derartige aufwendige Lobbyingauftritte auch dank großzügigen „Freunden“ und Sponsoren, darunter vermögende Viehzüchter und Industrielle.
Spanische Stierkampforganisation bereitet Antrag für UNESCO vor
Ein weiterer Anlauf erfolgte im Herbst vorigen Jahres. Im Oktober 2009 hat die spanische Stierkampforganisation Mesa del Toro offiziell die andalusische Regionalregierung ersucht, mit anderen spanischen autonomen Regionen zusammen die spanische Regierung aufzufordern, die notwendigen Schritte einzuleiten, um den Stierkampf durch die UNESCO als immaterielles Weltkulturerbe schützen zu lassen. Die französische Stierkampf-Webseite „Terres Taurines“ berichtete, dass in Frankreich und in sechs weiteren Stierkampfländern ebenfalls die Regierungen aufgefordert werden sollen, den Antrag bei der UNESCO zu stellen.
Nachdem die autonome Gemeinschaft Madrid - die Region Madrid also - den Stierkampf zum “Bien de Interes Cultural”, zum regionalen Kulturerbe erklären lassen wollte, haben kurz darauf auch andere Autonomien Spaniens - Murcia, Valencia, Andalusien und Navarra ähnliche Pläne verkündet.
Französische Stierkampfstädte kündigen Antrag für UNESCO-Weltkulturerbe an
Im Dezember 2009 beschloss die „Generalversammlung der französischen Stierkampfstädte“, Maßnahmen ergreifen zu wollen, um den Stierkampf von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe erklären zu lassen. Der Verband wollte sich damit auch der Kampagne von sieben weiteren Stierkampf-Ländern anschließen, um "die Stierkampf-Kultur gegenüber allen Angriffen im Namen so genannter "Tierrechte", die von keiner internationalen Instanz und besonders nicht von der UNESCO anerkannt werden, zu schützen".
An dieser Argumentation erkennt man ein mal mehr eindrucksvoll, wie wichtig rechtsethisch und rechtsphilosophisch fundierte, rechtsstaatlich verbriefte bzw. institutionalisierte und international ratifizierte Tierrechte als grundlegendes, rechtlich-formales Konzept und juristischer Schutzschirm gegen überkommene, destruktiv-anachronistische „Traditionen“ und „Gebräuche“ wie Stierkampf oder Singvogelfang ist.
Genauso, wie es im gesellschaftlich-sozialen, zwischenmenschlichen Bereich im Zuge von Zivilisation und Fortschritt im Lauf der Geschichte zu einer kontinuierlichen Reduktion von Gewalt im menschlichen Zusammenleben kommen sollte, ist auch im Zusammenleben mit den Tieren eine stete Reduzierung und Minimierung von allgemeiner und struktureller Gewalt eine unverzichtbare zivilisatorische Prämisse im Sinne von gesellschaftspolitischer Modernisierung und ethisch-kulturellem Fortschritt der Gesellschaft.
Die Stierkampflobby hat sich mittlerweile in einer internationalen Organisation, der „Asociacion Internacional de Tauromaquia“ (AIT), weltweit zusammengeschlossen: Spanien, Frankreich, Portugal, Mexiko, Kolumbien, Peru, Venezuela und Ecuador arbeiten gemeinsam und geradezu fieberhaft an der Verwirklichung ihres UNESCO-Projekts.
Nicht nur, dass der Stierkampf per Gesetz erhalten werden soll – „Angriffe“ in Form von Kritik daran beziehungsweise Agitation gegen das „kulturelle Erbe“ Tauromachie könnten mit Stierkampf im UNESCO-Welterbe-Rang sogar empfindlich sanktioniert werden. Dies könnte dazu führen, dass diejenigen, die sich gegen den Stierkampf engagieren, z.B. in Form von vollkommen legalen Protesten und Kundgebungen vor Stierkampfarenen, deren Ziel die Abschaffung derselben ist, ein „Vergehen gegen das historische Erbe“ bzw. einen rechtlichen Verstoß gegen ein von Seiten der UNESCO unter Schutz stehendes „Kulturgut“ begehen, welches mit empfindlichen Geld- bis hin zu Haftstrafen belangt werden könnte.
Grundidee der UNESCO
Wie absurd die Bestrebungen, die Tauromachie als immaterielles kulturelles Erbe der Welt zu verankern, sind, zeigt ein Blick hinter die Ideen und Leitgedanken der UNESCO.
Zu den Aufgabengebieten der UNESCO gehört selbstdefinitionsgemäß die Förderung von Erziehung, Wissenschaft und Kultur sowie Kommunikation und Information, aber sicherlich nicht die Erziehung zu gewalttätiger Verrohung, Brutalität und Gewissenlosigkeit oder die Förderung mittelalterlich-archaischer kultureller Relikte, die an barbarischer Grausamkeit kaum zu übertreffen sind. Kultur ist nicht als starres, unveränderliches System zu verstehen, sondern als ein dynamischer, evolutionärer Prozess, welcher durch Hinzufügen, Ersetzen oder auch Verlust von überholten Kulturgütern, Bräuchen und Traditionen in stetem Wandel begriffen ist.
Grundidee der UNESCO-Welterbekonvention ist die “Erwägung, dass Teile des Kultur- oder Naturerbes von außergewöhnlicher Bedeutung sind und daher als Bestandteil des Welterbes der ganzen Menschheit erhalten werden müssen.” Die Unterstützung der finanziellen Interessen der Stierkampflobby und die damit verbundenen Misshandlungen von leidensfähigen Tieren entspricht jedenfalls nicht der Leitidee der Vereinten Nationen und ihrer Kulturförderungspolitik.
Ob die „Tauromachie“ nun wirklich wie kürzlich der Singvogelfang im Salzkammergut zum „Immateriellen Weltkulturerbe“ erklärt wird, ist offen und wird davon abhängen, ob in einer der nächsten Antrags- und Entscheidungsrunden über die Aufnahme neuer immaterieller Kulturgüter diese tatsächlich von der UNESCO in die Liste des erhaltenswerten Weltkulturerbes aufgenommen wird. Unter den maßgeblichen EntscheidungsträgerInnen befinden sich etliche dem Stierkampf zugeneigte LandesvertreterInnen, die laufend von einer einflussreichen und hartnäckigen Lobby bearbeitet werden.
Für uns als TierfreundInnen, TierrechtlerInnen, NGOs , MeinungsbildnerInnen, JournalistInnen oder einfach kulturell Interessierte und zivilgesellschaftlich Bewegte ist es entscheidend, jetzt dazu beizutragen, dass nicht eine anachronistische Barbarei und ein ästhetisch verklärtes, kulturell verbrämtes Blutbad und Gemetzel zum Weltkulturerbe der Menschheit erklärt und geadelt wird und damit als schützenswertes Kulturgut auf sehr lange, nicht abschätzbare Zeit – ja vielleicht auf ewig - festgeschrieben wird.
Stehen wir jetzt dagegen auf, bevor es zu spät ist! Nur eine starke, vielfältige Stimme und breite Bewegung für die Rechte der Tiere kann künftige Generationen von „Kampfstieren“ davor bewahren, den grausamen Martertod in einer Arena zu sterben.