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Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (22.02.2022)

Wien, am 22.02.2022

Video online: Podiumsdiskussion Tierversuche

Der VGT veranstaltete zusammen mit der RepRefRed Society am 21. Oktober 2021 im Sky Dome Wien eine Podiumsdiskussion zum Thema Tierversuche. Das Video dazu steht ab sofort auch online zum Anschauen bereit.

Moderatorin Gerlinde Pölsler (Wochenzeitschrift Falter) stellte die Podiumsgäste (wie folgend in alphabetischer Reihenfolge) wie folgend vor:

DDr. Martin Balluch

Seit 2002 Obmann des VGT. Zudem Mitglied der Bundestierversuchskommission.
Der VGT befasst sich bereits seit dem Jahr 1985 mit dem Thema Tierversuche und hat die Durchführung einiger Tierversuche verhindern können. Herr DDr. Balluch hat 12 Jahre als Universitätsassistent und Forscher an Universitäten in Wien, Heidelberg und Cambridge gearbeitet (in theoretischer Physik und angewandter Mathematik). Zudem hat Herr DDr. Balluch in der Philosophie zum Thema Tierrechte dissertiert.

Kurzes Statement zu Tierversuchen:

Tierversuche sind immer noch sehr intransparent. Vieles ist anders als es scheint: Die meisten Tierversuche werden nicht durchgeführt, um Menschenleben zu retten sondern es sind viele völlig sinnlose Tierversuche möglich – auch in Österreich. Dies geschieht u. a. deswegen, weil die Kontrollen sehr schlecht sind, d. h. es wird zu wenig kontrolliert und nahezu jeder Tierversuch in Österreich wird genehmigt.

Prof. Dr. Bruno Podesser

Leiter der Biomedizinischen Forschung an der Medizinischen Universität Wien
Herr Prof. Podesser ist Herzchirurg und forscht z. B. zu Herzklappen. Er führt Tierversuche durch bzw. lässt Tierversuche durchführen. Herr Prof. Podesser ist Mitglied bei der RepRefRed Society (Replacement, Refinement, Reduction Society).

Kurzes Statement zu Tierversuchen:

Es ist ein bisschen einfach zu sagen, ich bin gegen Tierversuche – die sollen jetzt aufhören. Aber wenn man dann eine Corona-Impfung haben möchte, oder eine Herzklappe, oder eine neue Hüfte, dann möchte ich diese sehr wohl haben – und zwar schnell und gratis.

Dr. Birgit Reininger-Gutmann

Leiterin der Biomedizinischen Forschung an der Medizinischen Universität Graz
Frau Dr. Reininger-Gutmann ist verantwortlich für das Tierhaus/die Labortierhaltung an der Universität Graz. Hier wurde auch eine Abteilung für alternative Tiermodelle gegründet. Frau Dr. Reininger-Gutmann ist Präsidentin der RepRefRed Society, die sie gemeinsam mit einer Kollegin im Jahr 2016 gründete.

Kurzes Statement zu Tierversuchen:

Ziel ist es, Tierversuche auf ein Minimum zu reduzieren, aber in der nahen Zukunft werden wir noch nicht ohne Tierversuche auskommen.

Einleitung

Tierversuche – ein Thema das sehr kontrovers diskutiert wird – wobei man die Vertreter:innen der unterschiedlichen Meinungen zu diesem Thema nur selten an einen Tisch bekommt.

Hier ist es gelungen: Herr Prof. Podesser, selbst tierexperimentell tätig und klarer Befürworter von Tierversuchen sowie Frau Dr. Reininger-Gutmann, ebenfalls im tierexperimentellen Bereich aktiv und Begründerin der RepRefRed Society sind der Einladung des VGT gefolgt. Sie haben sich mit Herrn DDr. Balluch, Obmann des VGT und Tierrechtler sowie klarer Gegner von Tierversuchen und Befürworter von Alternativmethoden zu Tierversuchen, zusammengesetzt.

Die Auswahl der genannten Diskussionsteilnehmer:innen erfolgte mit der Intention sowohl die Argumente zu hören, die für die Durchführung von Tierversuchen vorgebracht werden, als auch die, die dagegen sprechen. Darüber hinaus sollten über Frau Dr. Reininger-Gutmann Argumente, Möglichkeiten und Ansätze für eine Verbesserung und bestenfalls einen Ausstieg aus dem Tierversuch in die Diskussion eingebracht werden.

Denn eines ist klar: Die aktuelle Situation im Bereich von Tierversuchen ist vor dem Hintergrund des unnötigen Leidens vieler Tiere und der unzureichenden Umsetzung gesetzlicher Forderungen zum besseren Schutz der Tiere für viele Menschen aus der Bevölkerung untragbar.

Ein Blick auf die Tierversuchsstatistik macht deutlich, um wie viele betroffene Tiere es sich handelt. Im Jahr 2019 waren es alleine in Österreich 250.00 Tiere. Eine unvorstellbar hohe Zahl, insbesondere wenn man sich die Einzelschicksale der Tiere und ihr Leiden vor Augen führt. Leiden, das – wie Herr DDr. Balluch später deutlich macht – auch starke Schmerzen und schwere Leiden oder Ängste beinhalten kann, die voraussichtlich lang anhalten und nicht gelindert werden können.

Im Jahr 2019 lag die Zahl der in Tierversuchsprojekten verwendeten Tiere bei knapp 250.000.

Von den 250.000 verwendeten Tieren sind über 200.000 Mäuse. Es folgen Fische (z. B. Zebrafische), Ratten, Kaninchen, Hunde, Katzen, Schafe, Ziegen, Schweine, Vögel (z. B. Haushühner) und andere Tierarten. Interessant zu hören, dass von den 250.000 Tieren ca. 100.000 genetisch verändert sind.

Eines wurde bereits an dieser Stelle klar: Trotz der gesetzlichen Forderung zur Umsetzung der 3R (Replacement, Reduction, Refinement) nimmt die Anzahl der in Experimenten verwendeten Tiere seit vielen Jahren nicht weiter ab.

Zu Beginn der Diskussion stellt Frau Pölsler vom Falter einige zentrale Fragen zum Thema Tierversuche in den Raum:

  1. Welche Arten von Tierversuchen werden heute noch durchgeführt?
  2. Brauchen wir Tierversuche überhaupt noch, sind diese noch notwendig, gibt es nicht schon viele Ersatzmethoden?
  3. Wenn es Ersatzmethoden gibt, warum werden diese nicht oder nicht häufiger eingesetzt?

Im Laufe der Diskussion gab es viele Antworten – aber einige Fragen blieben auch offen.

Zunächst richtet Frau Pölster das Wort an Frau Dr. Reininger-Gutmann:

Frau Dr. Reininger Gutmann berichtet vom Tierhaus der MedUniGraz, wo verschiedene Tierarten wie Maus, Ratte, Meerschweinchen, Kaninchen, Schaf, Schwein, Zebrafisch und Frosch beherbergt werden. Sie erzählt, dass Sie und ihre Kollegen/Kolleginnen für die Kontrolle der durchgeführten Tierversuche sowie für das Tierwohl zuständig und verantwortlich sind. Als Forschungs- und Arbeitsfelder, in denen die Tierversuche an der MedUniGraz angesiedelt sind, führt Frau Dr. Reininger-Gutmann die Bereiche Onkologie, Herz-Kreislauf, Kardiologie, Chirurgie und Ausbildung von Chirurg:innen auf. Hier lernen Studierende z. B., eine Naht zu setzen. Praxisübungen am lebenden Tier – in letzter Instanz – wie Frau Dr. Reiniger-Gutmann sagt. Im Anschluss berichtet sie dann noch von Rehoming-Programmen für Tiere, die Tierversuche überleben. Rehoming – also eine Vermittlung von ehemaligen Versuchstieren in Privathände.

Auffällig bei all den Schilderungen von Frau Dr. Reininger-Gutmann ist das Wording im Zusammenhang mit Tierversuchen. Da hören wir die Worte Beherbergung von Tieren in einem Tierhaus und Sakrifizierung. Wir hören nicht die Worte Zucht und Haltung von Tieren, Tierlabor und Tötung von Tieren. Auch das Wort Tierwohl im Zusammenhang mit Tierversuchen mutet für viele Zuhörer:innen der Podiumsdiskussion seltsam an ebenso wie die Hervorhebung des Rehomings, das im Tierversuchsbereich ganz eindeutig eine Ausnahme darstellt.

Im Verlauf der Diskussion spricht Frau Dr. Reininger-Gutmann auch das heikle Thema der Übertragbarkeit von Daten aus Tierversuchen auf den Menschen an. Diese ist nachweislich in vielen Fällen nicht gegeben und stellt die Nutzung von Tieren als Modell für den Menschen aber auch für andere Tierarten in Frage. Ein Thema, das nicht nur wissenschaftliche, sondern auch ethische Relevanz hat und durchaus im Bewusstsein der Wissenschaftler:innen ist.

Tierversuche trotz Ungewissheit bezüglich der Übertragbarkeit von Daten auf den Menschen und andere Tierarten als das Tiermodell?

Als Nächstes wendet sich Frau Pölster Herrn Prof. Podesser zu:

Bezüglich der an ihn gerichteten Fragen zu Art und Zweck der Tierversuche an der MedUniWien sowie zu den verwendeten Tierarten bestätigt Herr Prof. Podesser die Aussagen von Frau Dr. Reininger-Gutmann zur MedUniGraz auch für Wien.

Als Beispiel für einen konkreten Versuch nennt Herr Prof. Podesser ein Experiment aus der kardiovaskulären Forschung/der Herzchirurgie. Er berichtet davon, dass die MedUniWien eine Herzklappe entwickelt hat, deren erste Testung am Menschen kurz bevorsteht und davon, dass es eine Kooperation mit einer Universität in Kapstadt, Südafrika gibt. Südafrika – ein Land, in dem das durch eine bakterielle Infektion ausgelöste Rheumatische Fieber weit verbreitet ist. Die Infektion ruft bei sehr vielen jungen Menschen Herzkrankheiten hervor. 32 Millionen Menschen sind betroffen und diese Menschen benötigen – zumindest zum Teil – eine neue Herzklappe. Im kommerziellen kostet eine solche Herzklappe in Österreich ca. 20.000 – 25.000 Euro. Nahezu unerschwinglich für Menschen in Südafrika aber auch in anderen betroffenen Ländern, wie z. B. Indien. Herr Prof. Podesser zitiert hierzu einen Kollegen:

They have sold their house for their first operation … what are they going to sell the next time …?

Die in Wien mit Hilfe von Tierversuchen an Schweinen entwickelte Herzklappe kostet nur 2000 Euro und wäre unter den gegebenen Bedingungen ein großer Segen v. a. für die Bevölkerung in Ländern, in denen die medizinische Versorgung Privatsache ist und der Geldbeutel bzw. die Kosten von Therapien über Leben und Tod entscheiden können. Es gab sicher niemanden unter den Zuhörer:innen, der/die von den Erzählungen von Herrn Prof. Podesser zu den Schicksalen der erkrankten Menschen unberührt blieb. Niemand wird nur ansatzweise bestritten haben, dass es gut, wichtig, sinnvoll und notwendig ist, den betroffenen Menschen Hilfe zukommen zu lassen.

Aber: Zusätzliche Tierversuche zur Entwicklung medizinischer Produkte die es bereits gibt, d. h. einzig weil die aktuell verfügbaren zu teuer sind?! Gäbe es hier nicht andere Lösungen?

Interessant ist, dass bei der Nennung von Beispielen zur Relevanz von Tierversuchen fast immer Projekte aus dem Bereich der angewandten Forschung beschrieben werden oder aus dem Bereich der Ausbildung; denn diese liegen zahlenmäßig deutlich unter Projekten aus der Grundlagenforschung – wie Herr Prof. Podesser in seinen Ausführungen selbst darlegt. Aber es verkauft sich eben besser zu sagen, dass man Tierversuche durchführt, um Chirurgen auszubilden oder eine Herzklappe zu entwickeln als z. B. anzugeben, die Funktion eines Rezeptors zu erforschen, um Erkenntnisgewinn zu erlangen der evtl. Mensch, Tier und Umwelt zugute kommen könnte – oder eben nicht.

Nur weil ein Ziel gut und erreichbar ist kann man doch nicht sagen, dass jeder Weg dorthin prinzipiell akzeptabel ist.

Schlüssige Antworten dazu, ob die beschriebenen Tierversuche zum Üben von Nähten und der Testung von Herzklappen tatsächlich alternativlos sind, blieben sowohl Frau Dr. Reininger-Gutmann, als auch Herr Prof. Podesser schuldig. So kann man sich z. B. fragen, ob das Üben von Nähten nicht an Modellen/Dummies erfolgen könnte und ob die Testung der beschriebenen Herzklappe nicht außerhalb eines lebenden Organismus möglich wäre; denn Herr Prof. Podesser selbst zeigt diese Möglichkeit am Ende der Diskussion für ein anderes Medizinprodukt aus dem kardiovaskulären Bereich auf. Ein Produkt, das zuvor (und man darf beim zuvor vom gleichen Stand der Technik ausgehen) angeblich alternativlos in Großtieren getestet wurde.

Herr DDr. Martin Balluch macht diesem zentralen Punkt der Kritik an Tierversuchen mit folgender Aussage deutlich:

Man muss Alternativen auch entwickeln wollen!

Bezüglich der Alternativlosigkeit von Tierversuchen sei an dieser Stelle auch noch das vermeintliche Argument von Herrn Prof. Podesser genannt, dass der Gesetzgeber für Regulatorische Projekte (z. B. Projekte zur Entwicklung von Arzneimitteln und Medizinprodukten) Tierversuche vorschreibt. Allerdings muss diesem Argument für Tierversuche ganz deutlich widersprochen werden; denn die gesetzliche Forderung eines Tierversuches sagt absolut nichts über seine Alternativlosigkeit aus und wir alle wissen, dass Gesetze dem Stand der Wissenschaft oftmals hinterherhinken.

Frau Pölster richtet nun das Wort an Herrn DDr. Balluch und fragt:

Hat sich im Tierversuchsbereich in den letzten Jahren etwas verändert? Wo stehen wir heute, im Jahr 2021, im Vergleich zum Jahr 1985?

Herr DDr. Martin Balluch berichtet, dass sich das Wesentlichste im Bereich der Alternativmethoden getan hat. Er führt Beispiele an und beschreibt u. a. Zellkulturmodelle, die mittlerweile nicht mehr nur in zwei Dimensionen (2D) in der Petrischale gezüchtet und verwendet werden, sondern auch in drei Dimensionen (3D). So kommen sie dem lebenden Organismus viel näher, was zur Validität der Daten beiträgt und zur Übertragbarkeit auf Mensch und Tier. Des Weiteren beschreibt Herr DDr. Balluch die Möglichkeit der Gewinnung von Stammzellen aus normalen Körperzellen. Stammstellen sind pluripotent und haben somit die Fähigkeit, sich zu verschiedensten Zellen und in Folge zu Geweben und Organen zu differenzieren. Schließlich nennt Herr DDr. Balluch noch ein großes, vielversprechendes EU-Project zum Human on a Chip – ein Projekt zur Entwicklung eines Modells, das den ganzen menschlichen Organismus abbilden soll und damit weitere Möglichkeiten in der Forschung eröffnet.

Vielversprechende Perspektiven in Hinblick auf Tierversuche bzw. die Entwicklung von tierversuchsfreien Alternativmethoden

Fortschritte sieht Herr DDr. Balluch auch bezüglich der ethischen Diskussion zu Tierversuchen und sagt, dass die Bevölkerung Tierversuche heutzutage wesentlich kritischer sieht als früher. Wenn man die Bevölkerung befragt hätte man z. B. Mehrheiten grundsätzlich gegen Tierversuche an Hunden, grundsätzlich gegen Tierversuche an Katzen und grundsätzlich gegen Tierversuche an Primaten.

Allerdings – ergänzt Herr DDr. Balluch – werden diese Versuche trotzdem weiter durchgeführt.

Die Meinung der Bevölkerung zu Tierversuchen schlägt sich nicht ausreichend in den Gesetzen und der Kontrolle von Tierversuchen nieder.

Wenngleich sich in den Augen von Herrn DDr. Balluch v. a. gesetzlich nur wenig getan hat gab es in den letzten Jahren auch positive Entwicklungen. Als Beispiel führt Herr DDr. Balluch Erfolge des VGT in Bezug auf die Beendigung von Versuchen an Schimpansen in Orth an der Donau im Jahr 1999 an. Zudem wurden die Tiere im Anschluss nicht getötet – was zuvor wahrscheinlich noch geschehen wäre. Herr DDr. Balluch fährt fort: „Wir haben es geschafft, dass 2006 ein Menschenaffen-Tierversuchsverbot in Österreich durchgesetzt wurde. Wir waren damit zwar nicht das erste Land, aber eines der ersten Länder die das zustande gebracht haben.“ Zusätzlich hat in Österreich (aus Gründen, die in der Podiumsdiskussion nicht näher erläutert wurden) die Primatenforschung prinzipiell geendet.

Damit hat es sich auch, schließt Herr DDr. Balluch die Aufzählung positiver Entwicklungen in den letzten Jahren. Mehr hat sich nicht getan – zumindest soweit ich das aus der Außenperspektive beurteilen kann. Mit dem letzten Halbsatz spricht Herr DDr. Balluch die häufig kritisierte, fehlende Transparenz im Zusammenhang mit Tierversuchen an. Diese ist mit den inzwischen erforderlichen Nicht-Technischen-Projektzusammenfassungen (NTPs), in denen jeder Tierversuch zumindest kurz beschrieben werden muss, zwar etwas besser geworden – aber ausreichend ist die Transparenz definitiv nicht.

Trotz der NTPs fehlt es an ausreichender Transparenz; denn es ist weiterhin kaum möglich zu durchschauen, welche Tierversuche durchgeführt werden bzw. wie diese konkret ablaufen.

Ebenfalls nicht nachvollziehbar sind für Herrn DDr. Balluch die Genehmigungsprozesse bzw. die Ergebnisse der Prüfung von Projektanträgen zu Tierversuchen. Als Beispiel nennt er Tierversuche, die im Bereich der Massentierhaltung angesiedelt sind. So wurden im Jahr 2019 insgesamt 7891 Tiere in Versuchen verwendet die dem alleinige Zweck dienten, die Massentierhaltung noch effizienter zu gestalten. Eine Massentierhaltung, die in der Gesellschaft zwar existiert, die jedoch abgelehnt wird. Tierversuche, die nicht nur zum Schaden der Tiere in den Tierversuchen beitragen, sondern in der Regel auch zum Schaden der Tiere in der Landwirtschaftlichen Nutztierhaltung und zum Schaden der Umwelt und der menschlichen Gesundheit! Tierversuche, so Herr DDr. Balluch, deren Zweck in seinen Augen keinen Tierversuch rechtfertigen kann.

Herr DDr. Balluch bezeichnet diese Situation als untragbar und stellt folgende Frage:

Was fehlt da beim Genehmigungsprozess, dass solche Dinge durchkommen? Tierversuchsprojekte, die nicht nur zum Schaden der Versuchstiere sind, sondern auch zum Schaden von Mensch, Tier und Umwelt.

Bezüglich des Fehlens angemessener Kontrollen/Prüfungen spielt Herr DDr. Balluch vermutlich auf die gesetzlich vorgeschriebene Schaden-Nutzen-Analyse (SNA) mittels des dafür entwickelten Kriterienkataloges an. Denn im Rahmen der Genehmigung von Tierversuchsprojekten müsste eine Abwägung stattfinden – eine Abwägung deren Ergebnis zeigen soll, ob der potenzielle Nutzen eines Tierversuchsprojektes durch den tatsächlichen Schaden, den die Tiere in den Versuchen erleiden, gerechtfertigt ist. Eine Abwägung, die auf wissenschaftlichen Kriterien beruhen und ethische Aspekte berücksichtigen soll. Einzig wenn das Ergebnis der SNA zeigt, dass der Nutzen für Mensch, Tier und Umwelt größer ist als der Schaden für die Versuchstiere darf (dürfte) ein Tierversuchsprojekt genehmigt werden.

Aber wie gut kann die Prüfung von geplanten Tierversuchsprojekten sein, wenn das Tool zur Prüfung suboptimal ist, d. h. wenn das Tool im Zuge seiner Entwicklung soweit reduziert und modifiziert wurde, dass eine echte, zuverlässige und faire SNA kaum bzw. gar nicht mehr möglich ist? Und wie gut kann die Prüfung sein, wenn die Durchführung der SNA zum großen Teil in den Händen derer liegt, die die Tierversuchsprojekte geplant haben und diese möglichst ohne Hemmnisse durchführen möchten?

Schließlich schildert Herr DDr. Balluch noch zwei Beispiele für Tierversuche in denen Tieren schweres Leid zugefügt wurde und es kommt zu einer Diskussion, ob solche Versuche wirklich sein müssen oder ob es nicht doch Alternativen gibt.

Auf der einen Seite hört man von Herrn Prof. Podesser in Anlehnung an die Praxisorientierung der betreffenden Forschungsprojekte: Man kann es nicht anders sagen. Das hat schon seinen Sinn. Ich will damit nicht in Frage stellen, dass es sich um schweres Leid handelt, das beim Tier verursacht wird – deshalb ist es auch so kategorisiert.

Und Herr Prof. Podesser fügt hinzu:

Was grausam klingt muss nicht notwendiger Weise sinnlos sein – sondern es kann ganz bewusst für Patienten zum Einsatz kommen. ... Jeder von uns, der mit Tierversuchen arbeitet, ist froh für jedes Tier das nicht verwendet werden muss.

Herr DDr. Balluch entgegnet:

Man muss sich immer fragen was das Wort müssen bedeutet.

Mit diesem kurzen, bedeutungsvollen Satz trifft Herr DDr. Balluch den Kern der Sache. Hierbei stehen nicht zwangsläufig die Versuchsziele/der angestrebte Nutzen in Frage, sondern vielmehr der Weg dorthin. Aber auch die Frage, ob wir aus ethischen Gründen nicht auf bestimmte Erkenntnisse verzichten müssten, schwingt mit.

Replacement, Reduction, Refinement (3R)

An dieser Stelle der Podiumsdiskussion standen alle 3R im Mittelpunkt.

Zunächst wurde auf die RepRefRed Society eingegangen, die als Vernetzungsplattform von Wissenschaftler:innen aus den Bereichen Tierversuche und Alternativmethoden zu Tierversuchen dienen sollte – u. a. mit dem Ziel, durch einen bedarfsorientierten Austausch die Entwicklung von Alternativmethoden zu fördern.

Neben dem Ersatz von Tierversuchen durch Alternativmethoden (Replacement) und der Reduzierung der Anzahl verwendeter Tiere in den Tierversuchen (Reduction), die z. B. durch eine optimierte statistische Planung erfolgen kann, wurde auch die Relevanz einer Verbesserung der Situation für Tiere in Tierversuchen diskutiert (Refinement). Als Beispiele für ein Refinement nennt Frau Dr. Reininger-Gutmann ein besseres, d. h. für die Tiere stressfreieres Handling, eine gute Anästhesie und Analgesie (Schmerzausschaltung), eine Verbesserung der Haltungsbedingungen und die Definition von Abbruchkriterien für einen Versuch. Wenn von Abbruchkriterien gesprochen wird ist eines klar: Hier geht es in vielen Fällen um schweres Leid bei den Tieren.

Auf Möglichkeiten zur Verbesserung von Haltungsbedingungen angesprochen gab es dann einige Statements, die Verwunderung auslösten. Insbesondere als es um Aussagen ging, die völlig veraltete, nicht-tiergerechte Haltungsbedingungen für bestimmte Tierversuche rechtfertigen sollten. Rechtfertigen in Hinblick auf eine Standardisierung auf Minimalbedingungen als einzige Möglichkeit der Reproduzierbarkeit von Ergebnissen im Sinne ihrer Gültigkeit.

Versuchsergebnisse werden durch eine Variation von Faktoren nicht verfälscht – sie fallen aufgrund der Variationen einfach nur anders aus – und das muss man bei der Interpretation der Daten wissen und berücksichtigen.

Wenn – wie in der Diskussion von Tierversuchsseite suggeriert – ein Tierversuch an Kaninchen nicht mehr funktioniert wenn die Kaninchen nicht in winzigen Gitterkäfigen gehalten werden (Käfige, die an Legebatterien für Hühner erinnern welche bei uns aus gutem Grund verboten sind) dann muss man sich wohl fragen, was da gemessen wird? Wie valide ist das Ergebnis eines Versuches mit Legebatteriekaninchen, wenn z. B. die Wirkung eines Arzneimittels nur für diese Tiere bestätigt werden kann und gesundheitliche Bedenken nur für diese Tiere ausgeschlossen werden können – nicht aber für Kaninchen aus tiergerechterer Haltung?

Interessanter Weise wurde diese nicht nachzuvollziehende Unterlassung von Refinement-Maßnahmen (Standardisierung auf Minimalbedingungen), die man in bestimmten Tierversuchsbereichen findet, sowohl von Herrn Prof. Podesser, als auch von Frau Dr. Reininger-Gutmann selbst in Frage gestellt; denn später in der Diskussion sprachen beide die Relevanz der Diversität an, die bei der Versuchsplanung zur Validität der Daten beiträgt.

Neu sind diesbezügliche wissenschaftliche Erkenntnisse übrigens nicht.

Dass nicht nur beim Refinement Luft nach oben ist, sondern das 3R-Konzept auch in Hinblick auf eine generelle Verringerung der Anzahl verwendeter Tiere versagt macht Herr DDr. Balluch mit folgendem Statement deutlich:

Was die Tierversuchszahlen nicht tun ist sinken!

Und Herr DDr. Balluch fährt fort: Das würden wir uns erhoffen! Wir würden uns erhoffen, dass die 3R funktionieren würden – und wir würden uns erhoffen, dass es eine öffentliche Diskussion gibt und die Einstellung der Menschen in die Tierversuchspraxis einfließt.

Alternativmethoden

Im letzten Teil der Podiumsdiskussion wurde ganz im Sinne des Ausdrucks last but not least das Thema Alternativmethoden behandelt.

Von 2D- und 3D-Zellkulturen haben wir in der Podiumsdiskussion bereits gehört und Frau Pölster spricht hier weitere Entwicklungen in der Forschung in Form von komplexen Miniorganen (Organoiden) an. Es handelt sich hierbei um dreidimensionale Zellkultursysteme mit realistischer Mikroanatomie. Organoide werden aus Gewebszellen, embryonalen Stammstellen oder induzierten pluripotenten Stammzellen erzeugt. Mit Hilfe von Organoiden können menschliche Organe nachbildet werden, um physiologische Abläufe zu untersuchen und z. B. Krankheiten und Behandlungen zu erforschen.

Komplexe Zellkultursysteme als Alternativen zu Tierversuchen

Die Aussage von Herrn Prof. Podesser, dass man Kreisläufe an diesen Modellen nicht testen kann, korrigiert Frau Dr. Reininger-Gutmann. So bieten z. B. Multiorgan-Chips die Möglichkeit, verschiedene Organoide über blutkreislaufähnliche Systeme miteinander zu verbinden. Auch der Aussage, dass man Immunreaktionen vermutlich schlecht nachstellen kann, muss deutlich widersprochen werden: Hierzu gibt es sogar hochaktuelle Beispiele aus der COVID-19-Forschung in deren Rahmen ganz konkret die Immunreaktionen nach einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus an einer künstlichen Lunge untersucht werden können (s. hierzu Vortrag von Prof. Wilflingseder beim VGT).

Womit Herr Prof. Podesser sicher recht hat ist die Tatsache, dass die Testung einer Herzklappe am Miniherzen nicht machbar ist. Allerdings ist z. B. die Testung von Arzneimitteln oder toxischen Substanzen an zellkulturbasierten Modellen möglich, was zukünftig u. a. zu einer drastischen Reduktion der in regulatorischen Tierversuchen verwendeten Tiere führen sollte.

Aktuell findet man in der Forschung häufig eine Kombination aus tierfreien Alternativmethoden und Tierversuchen. Dies z. B. dort, wo Wirksamkeit und Verträglichkeit von Therapien zunächst an Zellkulturen getestet werden und erst dann an Tieren.

Sehr erfolgsversprechende Fortschritte in Hinblick auf die Behandlung von Krankheiten gibt es im Bereich der personalisierten Medizin, bei der an menschlichen Zellen geforscht wird, die von konkreten Patient:innen stammen. Über solche Methoden der personalisierten Medizin können passgenaue Therapieansätze evaluiert werden. In diesem Zusammenhang fällt der Fachbegriff Patient Derived Xenografts (PDX). Bei diesen Tiermodellen handelt es sich um immundefiziente, humanisierte Mäuse, denen Krebszellen oder Krebsgewebe von Patient:innen implantiert werden, um das Wachstum, das Monitoring und die Behandlung patientenorientiert zu untersuchen bzw. zu gestalten.

Eines wird hiermit zum Abschluss der Diskussion deutlich:
Fortschritte in der Forschung und die Entwicklung neuer Technologien gehen nicht zwangsläufig mit einem Ersatz von Tierversuchen (Replacement), einer Reduktion der Tierzahl (Reduction) oder einer Verbesserung der Situation für die verwendeten Tiere (Refinement) einher. Vielmehr ergeben sich mit dem Fortschritt oftmals neue Herausforderungen und Verantwortlichkeiten für alle Beteiligten.

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