Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (21.02.2024)
Wien, am 21.02.2024Aspekte der jagdlichen Wildtierfütterung
Die Biologin Dr. Karoline Schmidt im Interview über tierschutzrelevante und ökologische Auswirkungen
Die Wildtierfütterung wird seitens der konservativen Jäger:innenschaft gerne als Tierschutzmaßnahme dargestellt. Intensive Hege mache eine nachhaltige Bejagung erst möglich. Dem gegenüber stehen sehr hohe Wilddichten, die zu einer alarmierenden Verbiss- und Schälschadensituation in unseren Wäldern und in der Folge zu hohem Jagddruck führen.1 Mit der Wildbiologin Dr. Karoline Schmidt von der AG Wildtiere, die seit 30 Jahren im Spannungsfeld Wildtier/Mensch forscht und sich gegen die alljährliche, monatelange, witterungsunabhängige und teils sogar verpflichtende Wildtier-Fütterung ausspricht,2 haben wir uns dem emotional diskutierten Thema angenähert.
Welche frei in der Natur lebenden Wildtiere werden zu welcher Jahreszeit gefüttert?
In Österreich werden zahlreiche jagdbare Wildarten unabhängig von der Witterung die Hälfte des Jahres oder länger gefüttert: Hasen, Rebhühner, Fasane und Enten, sowie von den Huftieren vor allem Rehe und Rothirsche. In manchen Bundesländern werden auch Damhirsche und Mufflons gefüttert. Natürlich kann man Wildtieren in tatsächlichen Notsituationen helfen, etwa bei extremer Schneelage oder Dürre (echte Notfütterung). Wildtiere sind aber per Definition vom Menschen unabhängige, sich frei bewegende und sich selbst versorgende Tiere. Durch die alljährliche, witterungsunabhängige Fütterung nimmt man ihnen die natürliche Lebensweise.
Aus welchem Grund gibt es diese intensiven Wildtierfütterungen?
Aus jagdlichen Interessen. Diese Fütterungen sind eben keine Notfütterungen in außergewöhnlichen Extremsituationen, sondern auf den Prinzipien der Viehhaltung basierende, jagdliche Managementmaßnahmen, um Jagdwild zur Verfügung zu haben. Feldhasen, Rebhühner und Fasane leiden unter dem Verlust ihres Lebensraumes durch die Intensivierung der Landwirtschaft. Fütterungen sind aber kein Ersatz für fehlende Insektennahrung, die für Kücken essentiell ist, für fehlende Nahrungsvielfalt, fehlende Nistplätze, fehlenden Klima- und Feindschutz. Schalenwild wird gefüttert, weil man in bestimmten Bereichen mehr Wild haben will als natürlicherweise dort leben würde. Die Fütterung fördert die Vermehrung: Die Weibchen erreichen ein Körpergewicht, bei dem sie jedes Jahr fruchtbar und trächtig werden. Bei hoher Wilddichte gibt es eine hohe Anzahl von Trophäenträgern. Dadurch wird die Jagd einfacher, das Jagdrevier wertvoller. Der Vorteil für die Jagd ist aber ein Nachteil für Wild und Wald.
Weshalb ist die Fütterung von Huftieren problematisch?
Die Tiere sind an saisonale Veränderungen der natürlich verfügbaren Nahrung angepasst, sowohl an die verringerte Qualität als auch an die geringere Menge während der Wintermonate. Um das Wild anzulocken und an der Fütterung zu halten, sind die Futtermittel (z.B. Rüben, Mais, Getreideschrot) eiweißreicher als die zu dieser Jahreszeit natürlich verfügbare Nahrung. Den Eiweißüberschuss, der den Anpassungen des Stoffwechsels an die winterlichen Nahrungsbedingungen zuwiderläuft, müssen die Tiere durch rohfaserreiche Waldvegetation ausgleichen. Schälschäden sind besonders im Umfeld der Fütterungen zu beobachten.
Wie ist der Stoffwechsel der Wildtiere an winterliche Bedingungen angepasst?
Der Appetit wird weniger, die Verdauungsorgane schrumpfen, dafür befördern die Darmzellen Zucker und Proteine schneller in den Körper. Die Körpertemperatur in den oberflächlichen Körperteilen und den Beinen wird verringert, die Pulsfrequenz und damit die Stoffwechselintensität sinkt. Die Fettreserven werden abgebaut. Mit dem Winterfell passen sich die Wildtiere an die niederen Temperaturen an. Deshalb brauchen sie ja auch keine Wärmestuben. Genauso wenig brauchen sie Fütterungen.
Fütterung ist also nicht notwendig – aber schadet sie den Wildtieren?
Die alljährliche, monatelange, witterungsunabhängige Fütterung schafft oftmals Tierleid, da sie artgemäße Lebensbedingungen verhindert: Die Konzentration vieler Tiere am Futterplatz führt auch bei reichlich Futter zu Konkurrenz, zu aggressivem Verhalten und zu Stress, besonders für niederrangige Tiere. Weil die Fütterung auch die Fortpflanzungsrate ankurbelt und es ohnehin schon sehr viele Rehe und Hirsche gibt, müssen noch mehr dieser Tiere erlegt werden. Letztlich ist also der Preis für einen Winter am Futtertrog ein Leben unter besonders hohem Jagddruck. Die Fütterung schadet auch allen Beutegreifern, die als Konkurrenten um das gefütterte Wild so weit wie möglich eliminiert, also erschossen oder in Fallen erschlagen werden.
Welche Erkrankungen können auf Wildtierfütterungen zurückgeführt werden?
Ungeeignete Futtermittel verursachen Verdauungsbeschwerden und beeinträchtigen die Pansenflora. Verschimmeltes Futter schädigt die Leber, Pilzsporen infizieren die Lunge. Die häufigste Todesursache von Rehen im Winter ist die fütterungsbedingte Pansenübersäuerung. Durch die Konzentration vieler Tiere am Futterplatz gibt es ein erhöhtes Infektionsrisiko verschiedenster Krankheitserreger (Salmonellen, Trichomonaden, Histomonaden). Fasan- und Entenfütterungen locken Ratten an. Zu ihrer Bekämpfung werden Giftköder ausgelegt. Das führt zu qualvollen Sekundärvergiftungen bei Beutegreifern, darunter auch seltene Arten.
Welche Konsequenzen haben Wildtierfütterungen für den Wald?
Begründet werden Fütterungen auch damit, dass man dadurch den Wald vom Verbiss entlastet, Waldschäden also verringert. In der Regel ist das Gegenteil der Fall. Aufgrund der intensiven Fütterung kann der Wildbestand die ökologische Tragfähigkeit des Lebensraumes dauerhaft übersteigen. Das geht zu Lasten der Verjüngung des Waldes und verringert die Baumartenvielfalt, weil bevorzugte Baumarten schon als Keimlinge herausgefressen
werden. Diese Arten fehlen dann im Ökosystem. Bei mangelnder Waldverjüngung und fehlendem Baumartenreichtum sind die wichtigsten Funktionen des Waldes (Lawinen-, Muren- und Hochwasserschutz, ausgleichende Wirkung auf das lokale Klima, Reinigung und Erneuerung von Luft und Wasser) vielerorts bereits eingeschränkt. Wenn wildlebende Huftiere ähnlich wie landwirtschaftlich genutzte Tiere bewirtschaftet werden, führt das fast überall auch zu einer Schwächung der Resilienz des Waldökosystems. Für den Wald ist die Fütterung nachhaltig schädigend.
Welche Auswirkungen hätte das Einstellen der Fütterung auf Rot- und Rehwild?
Wenn man vom Einstellen der Fütterung spricht, ist es wichtig, zu betonen, dass dies bei Rothirschen nicht von heute auf morgen geht, sondern schrittweise und kontrolliert mit professioneller Begleitung (örtlich und zeitlich gezielte Jagddruckverteilung, Schaffung von Ruhezonen etc.) erfolgen muss. So können sich die Tiere in ihrem Raumverhalten auf Verhältnisse ohne Fütterung einstellen. Dann ist, wie eine Studie im Gailtal belegt, die Sterblichkeit bei Rothirschen ohne Fütterung in Normalwintern nicht höher ist als in Gebieten mit Fütterung.3 Es gibt kein Massensterben! Auch Rehe sind sehr flexibel und passen sich rasch an geänderte Verhältnisse an. Allgemein verbessert sich die Kondition von Rot- und Rehwild. Deshalb kommen sie auch ohne Fütterung gut durch den Winter. Durch die geringere Fortpflanzung gäbe es weniger Wild – und weniger Jagddruck. Für ein ökologisch und gesellschaftlich nachhaltiges Jagdmanagement von Rehen und Rothirschen ist eine Entwöhnung von der alljährlichen, witterungsunabhängigen Fütterung deshalb unumgänglich. Schließlich haben wir Wildtieren gegenüber die Pflicht, möglichst wenig in ihr Leben einzugreifen.
Wie stellt sich der Zusammenhang zwischen Wildtierfütterungen und Jagddruck dar?
Weil durch Fütterungen der Wildstand angehoben wird, erfordert mehr Wild mehr Bejagung in der restlichen Zeit des Jahres. Dadurch werden die Tiere menschenscheu, leiden unter einer Dauerangst, beschossen zu werden, und ziehen sich zurück. Der Jagderfolg nimmt ab, die Jagdzeiten müssen verlängert werden, die Beunruhigung durch die Jagd nimmt zu. Das verstärkt das Feindbild Mensch. Freiflächen werden vom Wild als Gefahrenzone weniger genutzt und wenn, dann nur nachts. Intensive Fütterung ist der Hauptantrieb dieses Teufelskreises.
Welchen Prozess erhoffen Sie sich diesbezüglich vom Volksbegehren für ein Bundes-Jagdgesetz?
Unser Ziel sollte doch sein, dass Wildtiere weitestmöglich unabhängig leben und überleben können. Das Volksbegehren für ein Bundes-Jagdgesetz fordert ein schrittweises Beenden der verpflichtenden Winterfütterung bis 2030. Das erlaubt sowohl den Wildtieren als auch der Jägerschaft, sich auf fütterungsfreie Gegebenheiten einzustellen. Es würden alle dabei gewinnen: das Wild durch eine natürliche Lebensweise und bessere Gesundheit, die Jagd wäre anspruchsvoller und Geweihe wären wieder ehrliche Hinweise auf die Lebensraumqualität. Der Wald hätte eine artenreichere Verjüngung und erhöhte Schutzfunktion für den Menschen. Ist es nicht für alle, die in der Natur unterwegs sind, unvergleichlich beglückender, echte
Wildtiere zu sehen, statt halbdomestiziertes Wild an gefüllten Futtertrögen?
Vielen Dank für das Interview!
Quellen
- Parlamentskorrespondenz Nr. 1415 vom 05.12.2022 [22.01.24]
- Forum AG Wildtiere: Positionspapier Wildfütterungen
- Wildmanagement Gailtaler Alpen, Endbericht [22.01.24]