Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (18.07.2008)
Wien, am 18.07.2008Die Tragweite der Tragödien dieser Behördenwillkür, spiegeln die Einzelschicksale!
2. Bericht, offener Brief von Christian Moser
Es ist 8:38 Uhr, gerade wurde ich vom Duschen zurück in die Zelle (Haftraum 9) gebracht. Wie meistens wenn ich schreibe, schreibe ich auch jetzt in Finsternis. Durch das doppelt vergitterte Fenster schaue ich auf den verregneten Gefängnishof. Es ist auch recht kühl heute, es regnet und ist sehr bewölkt. Meiner Stimmung ist das in keinster Weise zuträglich! Genau vor einer Woche, letzten Montag hatte ich die letzte Haftverhandlung, und obwohl ich eigentlich vorhatte, mich nicht zu sehr darauf zu fixieren, keine "offene Hoffnungen" zulassen wollte – damit die etwaige Enttäuschung im Falle einer Verlängerung der U-Haft nicht allzu groß wäre, hat mir der negative Ausgang dieser Haftverhandlung psychisch extremst zugesetzt! Seit einer Woche, bzw. bereits einige Tage früher, keimt in mir die unbeschreibliche Angst, dass – wenn es die Staatsanwaltschaft offenbar schafft mich aufgrund haltloser Verdächtigungen nunmehr fast zwei Monate einzusperren, es ja auch möglich sein könnte, mich aufgrund vager Verdächtigungen und Vermutungen auch zu verurteilen. Faktisch "beruhigen" könnte mich nur der Glaube an den "Rechtsstaat", und wenn dieser Glaube auch bis zu meiner Gefangenschaft schon nicht sehr stark war, so ist er mittlerweile gänzlich verschwunden.
Seit fast zwei Monate bin ich nunmehr von meiner Frau und meinen Kindern getrennt. Seit fast zwei Monaten konnte ich meine Frau und meine drei Kinder weder halten noch küssen. Während meine Tochter Talia im Juni ihren zweiten Geburtstag feierte, war ich schon in Gefangenschaft. Der Trennungsschmerz ist unbeschreiblich. Es vergeht kaum ein Tag, an welchem ich nicht zumindest eine Stunde vor Verzweiflung und Ohnmacht weine. Ich verzweifle an der Gegenwart und habe unsagbare Angst vor der Zukunft! Wer sagt mir, dass ich aufgrund derselben „Verdachtsmomente“ die nach wie vor meine U- Haft begründen sollen, nicht auch zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt werde??? Das gutgläubige „Vertrauen in den Rechtsstaat“ hilft mir nicht mehr!
Meine Kinder Talia, Noah & Samuel sind seit fast 2 Monaten ohne Vater! Meine Frau Karin ist seit fast 2 Monaten ohne Partner und Ehemann! Ich habe extreme Angst, dass meine Familie durch dieses – ich nenne es Exempel – ernsthaft und dauerhaft geschädigt wird! Wie lange kann ich von meinen Kindern, speziell von meiner erst 2-jährigen Tochter getrennt sein, ohne dass sich dauerhafte negative Auswirkungen auf unsere bisherige Vater-Tochter-Beziehung einstellen? Wie lange kann ich von meinem 10-jährigen Sohn Samuel und meinem 5-jährigen Sohn Noah getrennt sein, bis das bisherige Vater-Sohn-Verhältnis unwiederbringlich zerbröckelt? Wie lange dauert es, bis die Trennung von meiner Frau, mit der ich seit 1997 in Partnerschaft lebe, ernsthaft unsere liebevolle Beziehung gefährdet? Wie schafft es meine Frau Karin unseren Haushalt mit 3 Kindern zu führen, in welchem alles auf 2 Elternteile und Beziehungspartner aufgebaut ist? Wo findet meine Frau Trost und Liebe? In Freiheit verbrachte ich jede freie Minute mit meinen Kindern. Wer springt mit ihnen am Trampolin? Wer baut mit ihnen Staudämme beim Bach? Wer bastelt mit ihnen und für sie? Welchen Ersatz gibt es für die langen Spaziergänge und Wanderungen die wir zusammen unternahmen? Wer verantwortet, dass meine Familie in Gefahr läuft, dauerhaften Schaden zu nehmen???
Aufgrund der großen Distanz von meinem Wohnort in Tirol zur Justizanstalt Wr. Neustadt – wo ich seit fast 2 Monaten als Gefangener 91001 eingesperrt bin – ist es meiner Frau und meinen Kindern nur alle 2 Wochen möglich mich besuchen zu kommen. Für eine halbe Stunde, getrennt durch eine Glaswand und verbunden nur durch ein Telefon – das reicht niemals um eine familiäre Beziehung aufrechtzuerhalten! Ich habe Angst, alles zu verlieren was mir bisher wichtig war! Meine Familie, meine Freiheit, mein Leben. Was ist Leben? Das Leben besteht aus Beziehungen zu Menschen die ich liebe, aus Reizen und Erfahrungen aus der Mitwelt. Aus Liebe, Freude – aus Arbeit im positiven Sinn. Mein Lebensmittelpunkt war bis vor 2 Monaten die Beziehung zu meinen 3 Kindern und meiner Frau. Die Trennung von meiner Familie durch diese – rein auf Verdächtigungen basierende – Gefangenschaft, ist für mich nicht „nur“ ein Freiheitsentzug, nein, mir wird das Leben entzogen.
Heute frage ich erstmals um ein psychologisches Gespräch an. Leute, die mich kennen, wissen, was ich für gewöhnlich von PsychologInnen und ähnlichen Personen halte – aber ich bin momentan derart nahe an einem existenziellen Zusammenbruch, dass ich ernsthaft das psychologische Gespräch suche. Ich verzweifle an der Gegenwart und habe unsagbare Angst vor der Zukunft. Ich vermisse meine Familie, auf unbeschreibliche Art! Denkt an mich! Bitte, bitte vergesst mich nicht!!! Neben den emotionalen Belastungen die ich hier, mit verzweifelten Tränen in den Augen beschreibe, gibt es auch unzählige organisatorische und existentielle Probleme. Meine Frau äußerte am Telefon kürzlich die Angst, unser gemeinsames Haus verlassen zu müssen, wenn meine Gefangenschaft noch länger andauern sollte. Unser Haus wird ausschließlich mit Holz beheizt, welches an sich immer über den Sommer von mir geschnitten und gehackt wird. Bereits jetzt bin ich stark im Verzug mit allen Arbeiten die unseren Haushalt betreffen. Wer schneidet und hackt unser Holz für den Winter? Wer schaufelt im Winter die Wege, das Haus und das Auto frei (in Tirol, wo wir wohnen, herrschen stets lange und strenge Winter!)? Wer steht meiner Familie bei??? Bis ich festgenommen wurde, arbeitete ich als Restaurator bei der Stadtarchäologie Hall in Tirol. Eine Verlängerung meiner Gefangenschaft bedeutet womöglich, dass ich meine Arbeit und somit meine auch die finanzielle Existenzgrundlage für meine Familie verliere. Ich habe ein Haus, eine Arbeit und eine Familie die ich über alles liebe meine – auf Vermutungen und Verdächtigungen beruhende – Gefangenschaft gefährdet das alles ernsthaft!
Mir wird gerade mein Leben genommen! Bis vor etwa 2 Wochen war ich noch viel zuversichtlicher und stärker. Ich las oft im Akt der unsere Gefangenschaft begründen soll, und aufgrund der haltlosen Beschuldigungen war ich mir sicher, dass in Kürze die Gerechtigkeit siegen wird und wir freigelassen werden. Auch jetzt lese ich noch regelmäßig im Akt, noch immer dieselben haltlosen Beschuldigungen. Aber nachdem ich jetzt weiß, dass das offenbar reicht um eine nahezu 2-monatige U-Haft zu verhängen, habe ich wie gesagt verzweifelte Angst, dass auf derselben Basis ev. auch eine Verurteilung und eine mehrjährige Gefängnisstrafe erfolgen kann! Hier im Gefängnis wird ständig von Fällen erzählt, wo unschuldige Personen aufgrund haltloser oder konstruierter Vorwürfe teileweise mehrjährige Strafen absitzen müssen. Ich habe extreme Angst. Angst um meine Familie, Angst um mein Leben.
Es ist jetzt 9.50 Uhr, wir haben keine Uhr in der Zelle, aber auf MTV gibt´s bis ca. 10.00 eine Zeitanzeige. Seit etwa 2 Wochen habe ich nichts mehr gezeichnet und gemalt. Bis dahin malte und zeichnete ich fast täglich. Portraits von meinen Kindern und meiner Frau, meine triste Zelle aus verschiedenen Perspektiven, den Blick aus dem vergitterten Fenster .. mich selbst hinter Gittern. Gitter, Mauern und Beton. Seit 2 Wochen kann ich nicht mehr zeichnen. Bis dahin schrieb ich auch ein sehr ausführliches Tagebuch, seit etwa 2 Wochen schreibe ich nur noch das nötigste. Ich bin geistig zur Zeit in keinster Weise fähig, irgendwie kreativ zu sein. Alles wird in tiefer Traurigkeit und lähmender Verzweiflung erstickt. Auch die Tränen, die regelmäßig meinen Kopf und meine Augen durchspülen, verschaffen mir zur Zeit keine Klarheit. Ich versuche mich zwanghaft von allem abzulenken. 1 bis 2x pro Woche kann ich für eine Stunde im Fitnessraum trainieren, 1x pro Woche habe ich die Möglichkeit, mich im Rahmen der gefängniseigenen Musikgruppe musikalisch zu beteiligen. Durch meine Vergangenheit als Musiker war es recht leicht, dass ich da mitspielen kann. Leider ist es absolut nicht meine Musik die wir da machen. Wir covern Stücke vom Ambros, Danzinger, Ike & Tina Turner, Bob Marley, Queen, Bruce Springsteen etc. Aber die 2-3 Stunden in der Musikgruppe lenken mich meist positiv ab.
Noch was tendenziell positives zum Abschluss: Bezüglich veganem Essen geben sich die Leute hier glaub ich sichtlich Mühe. Die meisten Beamten verhalten sich „korrekt“ (was immer das heißen mag) – mit den Mithäftlingen hab ich praktisch auch keine Probleme. – Natürlich ist es extrem komisch, hier als unschuldiger Tierrechtler mit Personen zusammengesperrt zu sein, die z.T. wegen Vergewaltigung, Mordversuch, in den meisten Fällen wegen Raub und/oder Drogen verurteilt wurden. Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen! Aber es ist noch immer kühl und trüb. Die Gedanken an meine Kinder und meine Frau treiben mir schon wieder die Tränen in die Augen! Ich bin verzweifelt und demoralisiert. Gar nicht in erster Linie wegen mir, sonder wegen der Menschen die ich so sehr liebe. Samuel, Talia, Noah und Karin, ich liebe euch, ich vermisse euch!!!! Haltet durch! Denkt an mich, bitte vergesst mich nicht!!! Mit jedem Tag, jedem Schritt in die weitere Verzweiflung und Traurigkeit, bekomme ich mehr Gespür dafür, was es auch für Millionen von nicht-menschlichen Tieren heißt, tagtäglich eingesperrt zu sein. Und obwohl es mir faktisch sicher besser geht, als den meisten eingesperrten n.m. Tieren, so leide ich dennoch unsagbar unter der Trennung von meiner Frau und meinen Kindern! Ich wünsche mir nichts mehr auf der Welt, als dass ich wieder zurück zu meiner Familie, zu meinen Kindern oder meiner Frau, zurück in die Freiheit, zurück in mein Leben kehren kann, dass meine Gefangenschaft beendet wird.
Karin, Noah, Samuel und Talia, ich liebe euch so sehr! Ich vermisse euch so sehr! Denkt an mich! Vergesst mich nicht, bitte! Haltet durch!!!! Wir schaffen das, irgendwie! Helft zusammen! Ich hoffe, ich komme bald raus hier!
Aus der Gefangenschaft
Chris Moser