Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (23.08.2018)
Wien, am 23.08.2018Interview mit Pferdeexpertin Brigid Weinzinger
Der VGT befragte die bekannte Tierschützerin zu den besonderen Bedüfnissen von Pferden und welche Bedeutung sie vor allem für ihren Einsatz als Zugtiere vor Kutschen in der Stadt haben.
Brigid Weinzinger engagiert sich seit vielen Jahren im Tierschutz und ist durch ihren Einsatz als Tierschutzsprecherin der GRÜNEN bekannt. Seit ihrem Ausscheiden aus der Politik ist sie mit denktier.at als Verhaltensberaterin und Trainerin für Pferde und Hunde selbständig tätig. Sie hat ein Post-Graduate Studium an der University of Southampton in Tierverhaltensberatung mit dem Schwerpunkt auf sozialem Lernen und Denkfähigkeiten von Tieren abgeschlossen. Zusätzlich hat sie eine Ausbildung als Tellington-Practitioner sowohl für Kleintiere als auch für Pferde und die Ausbildung zur Connected Riding Lehrerin gemacht. Brigid Weinzinger ist als Vertreterin des Dachverbands pro-tier Mitglied im Tierschutzrat des Bundesministeriums.
In der Fiakerdiskussion wird immer wieder angesprochen, dass Pferde Steppentiere sind und deshalb gut mit der Hitze auskommen, stimmt das?
Es stimmt, dass Pferde im Prinzip Steppentiere sind, wobei man dabei sehr wohl unterscheiden muss zwischen zum Beispiel Arabern oder Isländern, die mit Hitze auch unterschiedlich gut zurechtkommen. Steppenklima kennzeichnet sich durch große Trockenheit aus, kann tagsüber hohe Temperaturen erreichen, kühlt nachts merklich ab und meist weht ein leichter Wind. Man sieht also: Wien hat kein Steppenklima! Mit der schwülen Hitze mit hoher Luftfeuchtigkeit, die zwischen den Mauern der Innenstadt steht und wo sich kein Lüftchen rührt, kommen die Pferde nicht gut zurecht.
Fiaker zitieren immer eine Studie aus 2008, in der stehen soll, dass die Fiakerpferde keinen Hitzestress erleiden, was sagst du zu dieser Studie?
Nun, wer die Studie genau liest, wird feststellen, dass die durchaus differenziert argumentiert und nicht einfach sagt Pferde haben keinen Hitzestress
. Das wird der Studie nicht gerecht. Die Studie hatte außerdem nur einige wenige Pferde zur Verfügung und wurde in einem Zeitraum gemacht, wo es keine wirklich heißen Tage geschweige denn eine längere Hitzeperiode mit täglichen Temperaturen über 30 Grad gab. So gesehen ist sie also für die letzten heißen Sommer bedingt aussagekräftig.
Es gibt zur Stressmessung grundsätzlich zwei Methoden: Cortisolmessungen, wie sie in dieser Studie verwendet wurden, oder Verhaltensbeobachtungen. Cortisolmessungen sind dann gut, wenn man einen verlässlichen Grundwert als Normalzustand
hat und einen einzelnen Stressfaktor – in diesem Fall die Tagestemperatur – gut isolieren kann. Die Voraussetzungen sind bei den Fiakerpferden leider nicht erfüllt. Hier kommen mehrere Stressfaktoren durch ihre Haltungsweise und ihren Einsatz zusammen, die man nicht gut kontrollieren kann. Daher lässt sich schlecht sagen, ob die Variation im Stresswert nun von der Temperatur, von einem besonders anstrengenden Einsatztag oder sonstwas herrührt. Auffällig war jedenfalls, dass die Pferde eine hohe Grundlast an Stress hatten, einige sogar in wirklich besorgniserregender Höhe.
Im Winter sind die Fiakerpferde oft eingedeckt, ist das gelebter Tierschutz? Kommen Pferde mit Kälte schlechter zurecht? Mit welchen Probleme haben Fiakerpferde im Winter zu kämpfen?
Freilebende Pferde halten sich im Winter durch ihr dickeres Winterfell, durch vermehrte Futteraufnahme (Heu), und durch Bewegung warm und brauchen einen windgeschützten Unterstand als Schutz. Wenn die Pferde sehr früh im Jahr eingedeckt werden (z.B. zum Schutz gegen Regen auf den Standplätzen) bildet sich das Winterfell nicht so stark aus und die Pferde frieren leichter. Dazu kommt, dass sie vor der Kutsche lange Zeit ruhig stehen müssen, sich also nicht über Bewegung warmhalten, und dass sie nicht die Möglichkeit haben, stundenlang Heu zu fressen – wie das dem Normalverhalten entspräche. Ohne Decken geht es daher im Winter wohl gar nicht. Bei besonders eisigen Temperaturen oder starkem Wind müsste eigentlich laufend überprüft werden, ob das Pferd nicht friert. Detail am Rande: Pferde stellen sich normalerweise mit dem Hinterteil in den Wind/ins schlechte Wetter, damit der Kopf und die Ohren davor geschützt sind. Das geht natürlich am Standplatz auch nicht.
Auf welche Probleme stoßen Pferde in der Stadt?
Zahllose! Pferde sind Fluchttiere und reagieren daher stark auf Außenreize, vor allem auf Bewegungsreize und Neues oder Ungewohntes. Jeder dieser Reize löst eine kleine oder größere Alarmreaktion, also Stress aus. In Summe kommt es schnell zur Reizüberflutung und hoher Stressbelastung. Verschärft wird dies dadurch, dass sich Pferde am sichersten fühlen, wenn sie in einer Herde mit verträglichen Artgenossen und auf einem Platz mit freier Sicht und gutem Überblick sind, wo man herannahende Feinde gut sehen könnte. Das ist genau das Gegenteil der Situation in der Stadt. Bei den Pferden können die Probleme von dauernder Überreizung über Unsicherheit und Ängstlichkeit bis hin zu Aggression reichen. Letztere kann dadurch ausgelöst werden, dass sie den ganzen Tag neben einem Pferd eingespannt sind, mit dem sie sich nicht vertragen oder dass dauernd droht, weil der Individualabstand nicht eingehalten wird, den beide brauchen würden. Salopp gesagt führt die Situation in der Stadt dazu, dass die Pferde dauernd unter Strom
stehen, was weitreichende Auswirkungen auf ihr Verhalten und auf ihre Gesundheit hat.
Welcher Stressor hat am meisten Einfluss auf das Wohlbefinden der Pferde?
Welcher Einzelfaktor für das jeweilige Pferd den meisten Einfluss hat, lässt sich so nicht beantworten. Es kommen ja eine Fülle an Stressfaktoren zusammen und die Pferde reagieren auf manches unterschiedlich. Was man sagen kann, ist, dass die Summe jedenfalls zu viel ist! Allein schon die Einsatzdauer und das lange Eingespanntsein vor der Kutsche sind unzumutbar, selbst wenn man die Umgebungsbedingungen nicht berücksichtigt.
Uns fällt auf, dass die Fiakerpferde kaum gefüttert werden, während sie am Standplatz warten, ist das ein Problem? Wie könnte eine Fütterung an den Standplätzen ausschauen?
Pferde verbringen üblicherweise rund 16 Stunden im Lauf des Tages mit Futteraufnahme – von Heu oder Gras – wenn sie die Möglichkeit dazu haben oder wild leben. Ihr gesamter Magen- und Darmtrakt ist darauf abgestellt. Es ist also ein Riesenproblem, wenn die Pferde einen ganzen Tag ohne Heu oder anderes Futter unterwegs sind, wobei Kraftfutter hier nicht wirklich einen Ausgleich schafft. Die Fiaker wären zwar verpflichtet, den Pferden am Standplatz Kraftfutter anzubieten und danach eine Stunde Ruhephase einzuhalten, das wird jedoch nicht kontrolliert und wer einen Standplatz längere Zeit beobachtet, wird feststellen, dass es auch selten passiert.
Wassergabe und Füße abspritzen, hilft das wirklich, um Pferde abzukühlen? Stellt das Abspritzen erhitzter Pferdekörper mit eiskaltem Wasser gar ein Problem dar? Wie oft sollten sie getränkt werden?
Wassergabe ist wichtig, weil Pferde viel trinken, gerade bei Hitze, und es sollte möglichst oft angeboten werden und vor allem auch lange genug, damit die Pferde ausgiebig trinken können. Beobachtet man Pferde auf der Koppel, so gehen die alle 1-2 Stunden trinken. Trinken hilft natürlich nicht zum Abkühlen. Das Abspritzen kann kurzfristig erfrischen, gleich danach ist die Wirkung aber auch wieder vorbei – mal abgesehen davon, dass sich nasse Pferde oft nachher wälzen wollen. Wird das Abspritzen falsch gemacht – also nicht langsam von den Hufen aufwärts beginnend und unter Aussparung der sensiblen Nierenregion – oder mit eiskaltem Wasser und gar mit hartem Wasserstrahl gemacht, ist es sehr unangenehm.
Du bist Verhaltenstrainerin – können Pferde eingespannt in der Kutsche ein natürliches Verhalten ausüben? Wie schaut der Tagesablauf eines freilebenden Pferdes aus, können Fiakerpferde einen Teil davon ausleben? Gibt es Verhaltensstörungen bei Fiakerpferden?
Vor der Kutsche eingespannt sein und natürliches Verhalten stehen diametral im Widerspruch. Schon ein aufgezäumtes Pferd unter dem Sattel kann sich nicht mehr natürlich verhalten, noch viel weniger ein Pferd vor der Kutsche, das ja buchstäblich nicht mal einen Schritt machen kann. Im normalen Tagesablauf legen frei lebende Pferde gemütlich grasend lange Wegstrecken zurück, also langsames Tempo Schritt für Schritt, vielleicht das eine oder andere Mal von einem kurzen Trab unterbrochen. Sie haben über den Tag verteilte Ruhephasen im Stehen oder Liegen, sie haben Interaktionen mit anderen Pferden bis hin zum gegenseitigen Fellkraulen, vor allem aber verbringen sie viele Stunden des Tages mit Fressen. Von all dem können die Fiakerpferde nur das Ruhen im Stehen ausleben, sonst nichts. Welche Verhaltensstörungen bei Fiakerpferden vorkommen, ließe sich nur umfassend beantworten, wenn man Zugang zu ihnen auch in ihren Stallungen und nicht eingespannt hat. Vom bloßen Beobachten kann man allerdings sehen, dass manche Pferde aggressives Verhalten Menschen gegenüber (Stichwort aufdringliche Passanten) oder Artgenossen gegenüber haben. Auffällig ist auch das häufige Maul- und Zungenspiel der Pferde (Leerkauen, grundloses Lecken, etc.), das auf stereotypes Verhalten in Folge von überbordendem Stress hinweisen könnte.
Ist das lange Warten am Standplatz ein Problem für die Pferde?
Definitiv, weil es ein erzwungenes Stehen in Reglosigkeit ist (Bewegung ist vor der Kutsche ja nicht möglich) und die Pferde dabei dennoch oft nicht wirklich zur Ruhe kommen, weil das dauernde Nachrücken in der Reihe sie ja immer wieder aufstört. Wenn der Standplatz dann noch in der prallen Sonne liegt oder dicht daneben Autos vorbeifahren, wird es umso schwieriger zu ertragen.
Sind im Gegensatz dazu die Rundfahrten gut für das Bewegungstier Pferd? Wie weit schränkt das Geschirr und die Kutsche ihren natürlichen Bewegungsablauf ein? Gibt es gesundheitliche Schäden? Sind Spätfolgen bekannt?
Bewegung an sich wäre durchaus gut. Von einem natürlichen Bewegungsablauf kann vor der Kutsche aber nur sehr bedingt die Rede sein. Häufig werden die Fluchtreflexe des Pferdes getriggert oder es möchte seine Aufregung und Nervosität durch schnellere Bewegung ausdrücken, kann das aber nicht – das typische nervöse Tänzeln von Pferden, die eigentlich Schritt gehen sollten, ist ja öfter zu beobachten. Zu bedenken ist, dass die Pferde nicht für lange Strecken auf hartem Untergrund gemacht sind, egal ob das stundenlanges Stehen auf Kopfsteinpflaster oder die Rundfahrten auf Asphalt sind. Die Gelenke können davon Schaden nehmen. Und natürlich gibt es immer wieder Probleme mit Scheuer- oder Druckstellen durch das Geschirr.
Was sagst du zum Einsatz von Maulkörben? Sind Pferde hier eingeschränkt?
Ich lehne den Einsatz von Maulkörben grundsätzlich ab, weil das Tragen des Maulkorbs über Stunden hinweg eine Belastung für das Tier sein kann. Vor allem aber, weil er ja nur dann zum Einsatz kommt, wenn ein Pferd nach anderen Pferden oder Menschen schnappen würde und ein solches Pferd hat vor der Kutsche einfach nichts verloren. Es eignet sich nicht dazu, kommt mit den Einsatzbedingungen nicht zurecht oder hat tieferliegende Verhaltensprobleme. Solche Pferde sollten erst gar nicht vor der Kutsche eingesetzt werden.
Sind Scheuklappen hilfreich oder stellen sie eine Einschränkung dar?
Pferde reagieren besonders sensibel auf Bewegungsreize von hinten oder seitlich, also von dort, wo anpirschende Raubtiere sie anfallen würden. Da es in der Stadt diese Reize dauernd gibt und durch die Reizüberfllutung auch keine wirkliche Gewöhnung eintreten kann, werden die Scheuklappen eingesetzt, damit das Pferd die Reize einfach nicht sieht und nicht mit Flucht reagiert. Allerdings bekommt das Pferd natürlich mit, dass sein Sichtfeld deutlich eingeschränkt ist und man muss annehmen, dass das individuelle Sicherheitsgefühl dadurch abnimmt.
Manchmal sieht man Fiakerpferde, deren Schweif am Gespann angebunden ist, was bedeutet das für das Pferd?
Der Schweif ist die natürliche Fortsetzung der Wirbelsäule, der oberste Teil des Schweifes besteht ja noch aus einigen Wirbeln. Ein Anbinden des Schweifs beeinträchtigt jedenfalls die Beweglichkeit des Schweifs, er kann nicht mehr zur Fliegenabwehr oder zum Ausdruck von Aufregung verwendet werden, und wenn er weit oben oder stark seitlich weggebunden wird, so dass der wirbelige Teil des Schweifes in seiner Position verändert wird, wirkt sich das auf die ganze Wirbelsäule und den gesamten Bewegungsapparat aus. Das kann im Lauf der Zeit zu (zusätzlichen) Verspannungen oder sogar zu einseitiger Belastung von Gelenken und Bändern und in Folge davon zu Abnutzungserscheinungen führen.
Gibt es Lahmheiten, Fehlstellungen oder Verletzungen bei Fiakerpferden?
Lahmheiten, Fehlstellungen und Verletzungen können bei allen Pferden jederzeit auftreten. Je nach Nutzungsart sind die Risiken unterschiedlicher Art, z.B. die typischen Vorderbeinprobleme bei Sprungpferden oder Verspannungen und Rückenprobleme bei Dressurpferden. Bei Fiakerpferden sind beispielsweise Abnutzungserscheinungen im Bewegungsapparat, chronische Verspannungen und stressbedingte gesundheitliche Probleme wie Magengeschwüre zu erwarten. Die Pferde sollten daher mindestens 2x jährlich einer gründlichen Untersuchung von spezialisierten PferdetierärztInnen unterzogen werden. Kontrollen am Standplatz sollten diese ergänzen, damit akute Beschwerden ebenfalls erfasst werden.
Was würdest du den FiakerfahrerInnen raten im Umgang mit ihren Tieren?
Ganz ehrlich? Wenn einer seine Pferde wirklich mag, dann aus dem Dienst entlassen und selber einen anderen Beruf ergreifen 😉.
Würdest du sagen, dass Fiakerpferde in ihrer Anpassungsfähigkeit überfordert sind, oder können sie mit den Anforderungen zurechtkommen?
Die Fiakerpferde sind in ihrer Anpassungsfähigkeit weit überfordert!
Wie kann man Fiakerpferden helfen?
Ich persönlich würde ein Ende der Fiakerfahrten befürworten, das ist Pferden einfach nicht zuzumuten und genau deswegen haben andere Städte sie bereits abgeschafft. Der mindeste Kompromiss wäre aber, dass die Pferde nicht mehr in der Innenstadt sondern nur in verkehrsberuhigten oder Grünzonen wie dem Prater zum Einsatz kommen und die Einsatzzeiten deutlich beschränkt werden.
Haben die gesetzlichen Änderungen im Fiakergesetz positive Auswirkungen auf die Fiakerpferde? Gibt es Bereiche, wo das Gesetz noch nicht weit genug geht, um wirklich die Pferde zu schützen?
Die gesetzlichen Änderungen sind erste Schritte in die richtige Richtung, müssten aber auch streng kontrolliert werden. Insgesamt reichen sie aber bei weitem noch nicht aus. Ein 12-Stunden-Tag in der Wiener Innenstadt vor die Kutsche gespannt lässt sich einfach nicht pferdegerecht gestalten.