Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (17.04.2024)
Wien, am 17.04.2024Verleihung des Staatspreises zur Förderung von Ersatzmethoden zum Tierversuch 2023
Der Staatspreis zur Förderung von Ersatzmethoden zum Tierversuch 2023 wurde an Frau Anna-Dorothea Gorki, PhD verliehen.
Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) verleiht jährlich einen Staatspreis für hervorragende wissenschaftliche Arbeiten, deren Zielsetzung es ist, bzw. deren Ergebnisse dazu geeignet sind, im Sinne des 3R-Prinzips (Replacement
, Reduction
, Refinement
) nach Russel und Burch (1959)1, zur Vermeidung oder Verminderung der Verwendung von Tieren in Tierversuchen oder zur Verbesserung der Bedingungen für die Zucht, Unterbringung, Pflege und Verwendung von Tieren in Tierversuchen beizutragen. Der Staatspreis ist mit 10.000 Euro dotiert.2
Der Staatspreis zur Förderung von Ersatzmethoden zum Tierversuch für das Jahr 2023 wurde am 08. April 2024 in einem feierlichen Rahmen im Audienzsaal des BMBWF an Frau Anna-Dorothea Gorki, PhD3, verliehen. Prämiert wurde die Forschungsarbeit Murine Ex Vivo Cultured Alveolar Macrophages Provide a Novel Tool to Study Tissue-Resident Macrophage Behavior and Function
, deren Veröffentlichung im Jahr 2022 im American Journal of Respiratory Cell and Molecular Biology erfolgte.4
In ihrer Arbeit beschäftigten sich Frau Dr.in Gorki und das beteiligte Forscherinnenteam insbesondere mit der Kultivierung von geweberesidenten Makrophagen (Gewebsmakrophagen) außerhalb des lebenden Organismus (ex vivo bzw. in vitro). Im konkreten Fall ging es um die ex vivo-Expansion und -Kultur von primären Gewebsmakrophagen aus der Lunge von Mäusen, die zur Erforschung der Makrophagen in Homöostase- und Krankheitssituationen verwendet werden können. Dies mag zunächst nicht spektakulär klingen, doch tatsächlich kann durch die von Frau Dr.in Gorki neu entwickelte Methode die Anzahl an Tieren, die in Tierversuchen (bzw. in Versuchen mit Tieren)5 im entsprechenden Forschungsbereich verwendet werden, drastisch reduziert werden.
Massenhaftes Töten von Mäusen zur Gewinnung von Gewebsmakrophagen aus ihrer Lunge müsste nun der Vergangenheit angehören
Bisher haben Forscher:innen, die mit murinen alveolären Gewebsmakrophagen arbeiten, diese fortwährend aus der Lunge unzähliger Mäusen gewonnen, die hierfür getötet wurden. Da die isolierten Zellen außerhalb der Tiere nur wenige Tage überlebten, mussten
für weitere Versuche an solchen Zellen immer wieder Mäuse getötet werden. Pro Durchgang der Zellgewinnung bedeutete dies konkret, dass zumindest mehrere Dutzend Tiere ihr Leben lassen mussten
, damit nur wenige Tage an ihren Zellen geforscht werden konnte. Für jede weitere Arbeit wurden erneut entsprechend viele Tiere für die Zellgewinnung getötet.
Diese Situation des massenhaften Tötens von Tieren als Basis ihrer Forschungsarbeiten ließ der jungen Forscherin keine Ruhe und der Gedanke, dass es andere Möglichkeiten geben muss, als alle 3 – 5 Tage 40 oder mehr Mäuse zu töten, um an ihr Forschungsmaterial zu kommen, trieb Frau Dr.in Gorki an, ein ambitioniertes Ziel zu verfolgen – das Ziel, die Gewebsmakrophagen über Zellkulturen zu gewinnen, welche auf den Zellen einer Handvoll Spendermäuse
basieren und nicht auf (je nach Zellbedarf) hunderten oder tausenden und über die Jahre hinweg zehntausenden von Tieren.
Und tatsächlich gelang es Frau Dr.in Gorki, eine Methode zu entwickeln, mit der es möglich ist, aus wenigen Tieren isolierte Zellen erfolgreich und langfristig zu kultivieren. Erfolgreich und langfristig bedeutet hier, dass die Kultivierung funktionstüchtiger Zellen
für eine Zeitspanne von mehreren Monaten und sogar bis zu einem Jahr gelang.
Details zur Methode:
Die ex vivo expandierten und kultivierten, alveolären Gewebsmakrophagen der Mäuse
(AMs) behalten längerfristig typische morphologische Merkmale bei und exprimieren während der gesamten in vitro-Kultur stabil murine primäre AM-Oberflächenmarker. Die Makrophagen reagieren auf mikrobielle Liganden und weisen ein AM-ähnliches Transkriptionsprofil auf, einschließlich der Expression AM-spezifischer Transkriptionsfaktoren. In Tierversuchen dringen ex vivo kultivierte Maus-AMs bei der Übertragung in AM-defiziente Mäuse effizient in deren Lunge ein und erfüllen wichtige Makrophagenfunktionen, was zu einer deutlich verringerten Tensidbelastung bei diesen Mäusen führt.4
Im Vergleich zu den bisherigen Möglichkeiten, die entsprechenden Zellen in vitro am Leben zu halten, ein Quantensprung.
Auszeichnung der Preisträgerin durch Bundesminister ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Polaschek und Laudatio durch Frau Univ.-Prof.in Dr.in Doris Wilflingseder
Die Auszeichnung der Preisträgerin erfolgte durch Bundesminister ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Polaschek, der auch die Begrüßungsrede hielt. Frau Univ.-Prof.in Doris Wilflingseder, die zwei Jahre zuvor ebenfalls mit dem Staatspreis ausgezeichnet wurde, hielt die Laudatio.6, 7
Herr Prof. Polaschek hob bei seiner Ansprache hervor, dass die gesetzliche Verpflichtung zur Verfolgung des 3R-Prinzipes sowohl in der Europäischen Tierversuchsrichtlinie (Richtlinie 2010/63/EU)8, als auch in den nationalen Gesetzen (in Österreich ist dies das Tierversuchsgesetz 2012, TVG 2012)9 wiederzufinden ist.
Frau Prof.in Wilflingseder betonte die Notwendigkeit, Tierversuche zu ersetzen und machte auf die Relevanz der prämierten Arbeit aufmerksam, durch die Versuche von der Maus in die Zellkultur verlegt werden könnten. Die von Frau Dr.in Gorki entwickelte Methode erlaube es erstmalig, primäre Gewebsmakrophagen aus der Lunge von Mäusen für den langen Zeitraum von bis zu einem Jahr in Kultur zu halten, wobei die Zellen morphologisch intakt blieben, bei den Zellen alle Gewebscharakteristika gegeben seien und sie keine degenerierenden Veränderungen aufweisen würden (ein Problem, das bei der in vitro-Zellkultivierung nicht selten auftritt). Die kultivierten Gewebsmakrophagen stellen somit ein vielversprechendes Modell für die tierversuchsfreie Forschung dar.
Wissen muss geteilt und verbreitet werden, denn nur so kann bestmöglicher Nutzen gewonnen, unnötiges Leid vermieden und mit der Generierung des Wissens verbundenes Leid gerechtfertigt werden
Ein Beweis dafür, dass die prämierte Arbeit von Frau Dr.in Gorki et al. auf großes, internationales Interesse stößt, findet sich nicht nur darin, dass die Preisträgerin bereits von zahlreichen Kolleg:innen kontaktiert wurde, die in Hinblick auf die eigene Forschung an der neu etablierten Methode der Zellkultivierung interessiert sind, sondern auch in der Tatsache, dass die Veröffentlichung, laut Laudatorin, bereits über 3000 Mal heruntergeladen wurde.
Die in diesem Fall vielversprechende Verbreitung des Wissens und das rege Interesse von Forschenden an der neu entwickelten Methode der Zellkultivierung muriner alveolärer Gewebsmakrophagen machen Hoffnung, dass hierdurch – sowie mittels weiterer Arbeiten und Entwicklungen – die längst überfällige, auch gesetzlich geforderte Reduktion der Tiere, die im Rahmen von Tierversuchen und Versuchen mit Tieren verwendet werden, gelingt.8, 9
Alternativmethoden zu Tierversuchen fallen nicht vom Himmel
Im Zusammenhang mit der hier vorgestellten Methode als Beitrag zu den 3R wurde sehr deutlich, dass die Ermittlung von Alternativmethoden
/Ersatzmethoden zu Tierversuchen
bzw. Versuchen mit Tieren auf absoluter Eigeninitiative der prämierten Forscherin beruhte. Ohne die Ambitionen und den Einsatz der Forscherin, aber auch ohne die entsprechenden (finanziellen, räumlichen, personellen etc.) Rahmenbedingungen, die ihr diese Forschung erlaubten, gäbe es an dieser Stelle keinerlei Fortschritt zur Reduktion der Anzahl verwendeter Tiere. Das Massentöten von Mäusen würde hier (wie anderswo) mit der Begründung
weitergehen, dass es keine Alternativen gibt ...
Dies macht deutlich, wieviel mehr Möglichkeiten es zur Verminderung von Tierleid und zur Vermeidung von Tiertod im Bereich der Forschung mit Tieren gäbe, welche Verantwortung alle Beteiligten tragen und welche Pflichten von Forscher:innen, Behörden und der Gesellschaft wahrgenommen werden müss(t)en.
Wermutstropfen im Zusammenhang mit der prämierten Arbeit – und gleichzeitig die verdiente Auszeichnung eines wünschenswerten und notwendigen Weges
Ein Wermutstropfen im Zusammenhang mit der prämierten Arbeit besteht darin, dass für sie – sowie im Zuge der zukünftigen Kultivierung von murinen alveolären Gewebsmakrophagen – auch weiterhin Mäuse getötet werden, um mit ihren Zellen frische Zellkulturen zu etablieren. Für die hierfür getöteten Tiere wird es kein Trost sein, dass neben ihnen weniger Tiere für die Zellgewinnung sterben, als zuvor. Auch die Tatsache, dass die aus den langlebigen Zellkulturen gewonnen Gewebsmakrophagen anschließend zum Teil in Tierversuchen verwendet werden, in denen weitere Tiere leiden und sterben, stimmt traurig und macht nachdenklich. Von einem vollständigen Ersatz von Tierversuchen bzw. dem Ersatz der Verwendung und Tötung von Tieren in der tierversuchsfreien Forschung5, scheinen wir noch sehr weit entfernt zu sein.
Nichtsdestotrotz ist der von Frau Dr.in Gorki aufgezeigte Weg der konsequenten Verfolgung des 3R-Prinzips durch die Forscher:innen selbst (sowie durch alle anderen Personen, die im Tierversuchsbereich arbeiten), beispielhaft und anerkennenswert und genau das, was notwendig ist, um das langfristige Ziel – den vollständigen Ausstieg aus dem Tierversuch – gemeinsam zu erreichen.
Autorin: Dr. Vera Marashi
Quellen und Anmerkungen
- The Principles of Humane Experimental Technique, Methuen, London. Russell, W.M.S. and Burch, R.L. (1959). A digital version of the Principles may be accessed for free on the website of Johns Hopkins University's Center for Alternatives to Animal Testing (CAAT).
- Ausschreibung des Staatspreises zur Förderung von Ersatzmethoden zum Tierversuch. Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF)
- Zugehörigkeit von Frau Dr.in Gorki während des Forschungsprojektes: Forschungslabor für Infektionsbiologie, Medizinische Fakultät I und Forschungszentrum für Molekulare Medizin, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien, Österreich. Zugehörigkeit von Frau Dr.in aktuell: G.ST Antivirals GmbH, https://www.gst-antivirals.com
- Gorki, Anna Dorothea et al.: Murine Ex Vivo Cultured Alveolar Macrophages Provide a Novel Tool to Study Tissue-Resident Macrophage Behavior and Function, in: Am J Respir Cell Mol Biol. 66(1) (2022), S. 64-75.
- Nicht jeder Versuch an einem Tier ist ein
Tierversuch
(s. § 2 Z 1 lit. a bis c, TVG 2012), womit nicht alle Versuche an Tieren im Europäischen Wirtschaftsraum unter die Richtlinie 2010/63/EU8 und in Österreich unter das TVG 20129 fallen. Entsprechend stellt dasTöten von Tieren allein zum Zwecke der Verwendung ihrer Gewebe oder Organe
keinen Tierversuch dar. Dies trifft somit auch auf die Gewinnung von Zellen aus der Lunge von Mäusen mittels Lavage (hier zur Kultivierung von Gewebsmakrophagen) nach Tötung der Tiere zu. - Tierversuche: Staatspreis für Alternativenforscher:innen Prof. Wilflingseder und Prof. Ertl: Prof. Dr. Doris Wilflingseder, Med Uni Innsbruck, hat 3-dimensionale Organoide aus Menschenzellen und Prof. Dr. Peter Ertl, TU Wien, menschliche Organe auf einem Chip entwickelt, vgl. dazu Staatspreis 2021
- Video und Zusammenfassung zu: Tierversuchsfreie Covid-19-Forschung
Der Vortrag von Gastreferentin Frau Prof. Doris Wilflingseder, Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie, Medizinische Universität Innsbruck vom 29. Juni 2021 ist nun auch online als Video und als Text-Zusammenfassung verfügbar - RICHTLINIE 2010/63/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (Text von Bedeutung für den EWR)
- Tierversuchsgesetz (TVG) 2012 (TVG 2012)