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Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (20.06.2024)

Wien, am 20.06.2024

Antibiotikaresistenz: Europäisches Hühnerfleisch im Test

Besorgniserregende Ergebnisse lieferte eine Überprüfung von Hühnerfleischproben aus fünf europäischen Ländern. Auf der Hälfte der Proben wurden antibiotikaresistente Keime gefunden. Kaum eine Probe war unauffällig.

Eine Kooperation von Tierschutzorganisationen hat unlängst eine mikrobiologische Untersuchung von Hühnerfleischproben aus Lidl Filialen in Deutschland, Italien, Polen, Spanien und Großbritannien veranlasst, um diese auf die Präsenz von antibiotikaresistenten Keimen testen zu lassen. Insgesamt wurden 142 Hühnerfleischprodukte gesammelt und unter strikter Einhaltung der Kühlkette an ein Labor in Deutschland gesendet. Die Ergebnisse sind erschreckend: Nur zwei der Proben wurden als mikrobiologisch unauffällig deklariert. Ganze 71 Proben (also 50 %) waren mit multiresistenten Keimen belastet. Dabei handelte es sich um ESBL-bildende Bakterien und MRSA-Keime. Bei 33 Prozent der italienischen und 30 Prozent der polnischen Proben wurden mit 3MRGNI sogar Resistenzen gegenüber drei der vier im klinischen Bereich wichtigsten, bakterizid wirksamen Antibiotikagruppen nachgewiesen. Diese Erreger sind unsensibel gegenüber den meisten verfügbaren Antibiotika, was die Therapiemöglichkeiten im Falle einer Infektion maßgeblich einschränkt. Beim Umgang mit Krankheitserregern dieser Art im wissenschaftlichen oder medizinischen Kontext müssen besondere Schutzmaßnahmen eingehalten werden. Im Supermarkt sind sie allerdings auf frei verkäuflichen Produkten zu finden, die von nichts ahnenden Personen zu Hause gehandhabt werden. Durch Hände, Besteck, Schneidunterlagen oder Spritzwasser können die Erreger auf andere Lebensmittel, Gegenstände oder Flächen übertragen und aufgenommen werden. Auch können solche Bakterien zum Teil mehrere Tage bis Monate auf Oberflächen überleben.

Im Jahr 2022 hat Österreich knapp 75.000 Tonnen Hühnerfleisch importiert.1 Fleischimporte sind also keine Seltenheit. Zum Beispiel wird bei Lidl Österreich im Rahmen von Aktionen teils Hühnerfleisch aus Deutschland angeboten. Bei Spar wird Hühnerfleisch aus Italien vom Geflügelproduzenten AIA in großen Mengen verkauft. Die eingeschickten Hühnerfleischproben aus Italien, die höchst beunruhigende Ergebnisse lieferten, stammten alle von diesem Produzenten. Erst Anfang Juni veranlasste der selbe Produzent eine Rückholaktion in Italien aufgrund gefährlicher Bakterien. Penny vertreibt teils slowenisches Hühnerfleisch und in der Gastronomie ist es häufig überhaupt unersichtlich woher das verwendete Fleisch stammt. Alles in allem besteht kein Zweifel daran, dass uns diese aktuell vorliegenden Ergebnisse auch in Österreich betreffen können.

Abgesehen davon sind Antibiotikaresistenzen, auch unabhängig von belasteten Fleischimporten, ein dringendes Thema für Österreich und vor allem auch für die österreichische Fleischindustrie, wie vorherige Fleischuntersuchungen von Greenpeace und Global 2000 belegen. Im jährlichen österreichischen Resistenzbericht (AURES) heißt es etwa: Immer mehr Hinweise deuten darauf hin, dass der Einsatz antimikrobieller Mittel in der konventionellen Tierhaltung zur Entstehung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen in Bakterienpopulationen beiträgt und damit eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Tier darstellt. […] Insbesondere das Vorkommen von Resistenzen gegenüber humanmedizinisch besonders wichtigen Wirkstoffklassen macht deutlich, dass die Bestrebungen zur Reduktion des Antibiotikaeinsatzes ebenso wie der Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen fortgeführt und z. T. intensiviert werden müssen.

Tabellarische Übersicht der Ergebnisse der Hühnerfleischuntersuchung
Die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt (Deutschland) hat die Untersuchung gemeinsam mit anderen europäischen Organisationen in Auftrag gegeben: Animal Welfare Observatory (Spanien), Essere Animali (Italien), Open Cages (UK) und Otwarte Klatki / Fundacja Alberta Schweitzera (Polen). Diese Tabelle zeigt eine grobe Zusammenfassung der schockierenden Ergebnisse.

Die vorliegenden Zahlen sprechen Bände

Laut AGES wurden für landwirtschaftlich genutzte Tiere im Jahr 2022 insgesamt rund 34 Tonnen Antibiotika vertrieben. Davon gehörten 4,35 Tonnen zu jenen Mitteln, die von der WHO als Antibiotika von allerhöchster Bedeutung für die Humanmedizin eingestuft werden. Der größte Anteil abgegebener Antibiotika entfiel mit rund 67 % auf die Schweinebranche. Speziell im Geflügelbereich wurde der Antibiotikaeinsatz zwar vor einigen Jahren in Österreich reduziert. Im letzten Antibiotika-Monitoring-Report der QGV für 2022 ist allerdings ersichtlich, dass die Menge der eingesetzten Antibiotika seit 2013 nicht mehr kontinuierlich sinkt sondern seither schwankt. Der Bericht weist darauf hin, dass eine weitere Reduktion zur Zeit unwahrscheinlich sei. Jedes Jahr werden aber immer noch über 2 Tonnen Antibiotika im Geflügelbereich eingesetzt. Knapp über die Hälfte entfällt dabei auf Masthühner, an zweiter Stelle stehen die Puten. Legehennen erhielten 2022 zu knapp 95 % und Elterntiere zu rund 65 % Antibiotika aus der EMA-Kategorie B. Das sind Mittel, die in der Humanmedizin von kritischer Bedeutung sind und nur mit äußerster Vorsicht eingesetzt werden dürfen. Zu geringeren Anteilen kamen Antibiotika dieser Kategorie auch bei Masthühnern (~20 %), Junghennen und Puten (~10 %) zum Einsatz.II

Was sind multiresistente Keime genau und warum sind sie so gefährlich?

Als multiresistent wird ein Krankheitserreger dann bezeichnet, wenn er gegenüber mehreren verschiedenen Antiobiotika unsensibel geworden ist. Grundsätzlich bringt jeder Einsatz von antibiotischen Mitteln das Risiko einer Resistenzbildung mit sich. Vermehrt passiert das durch häufigen, unbedachten und inkorrekten Einsatz in der Human- und Veterinärmedizin. Die WHO sieht Antibiotikaresistenzen als eine der größten Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit weltweit. Schätzungen zufolge waren sie im Jahr 2019 direkter Grund für 1,27 Mio. und beteiligt an knapp 5 Mio. Todesfällen. Für die zunehmende Verbreitung von Resistenzen werden u.a. mangelnde Hygiene in Krankenhäusern und Pflege aber auch die extremen Bedingungen in der Haltung landwirtschaftlich genutzter Tiere verantwortlich gemacht. Im Grunde begleiten uns Bakterien immer und überall. Zu Infektionen kann es vermehrt kommen, wenn unser Immunsystem geschwächt ist oder es wie etwa bei Kleinkindern noch nicht ausreichend entwickelt ist. Vor allem dann können die auf dem getesteten Hühnerfleisch gefundenen, multiresistenten Keime gefährlich werden. Die durch sie verursachten Infektionen sind nämlich aufgrund der vorhandenen Resistenzgene nur noch schwer oder gar nicht mehr in den Griff zu bekommen.

Dass die Tierindustrie trotzdem irrsinnige Mengen an Antibiotika verbraucht unterliegt mehreren Faktoren. Ein Masthuhn, zum Beispiel, lebt auf extrem beengtem Raum mit zig tausenden anderen Hühnern und die Einstreu wird während einer Mastperiode nicht getauscht. Das bedeutet, dass die Tiere ihr gesamtes Leben auf den angesammelten Exkrementen der kompletten Herde verbringen. Neben diesen Stressfaktoren sind die, für die Mast üblicherweise eingesetzten Hühnerrassen aufgrund der Zucht auf extrem schnelles Wachstum generell äußerst krankheitsanfällig. Infektionen breiten sich unter solchen Bedingungen rasend schnell aus. Auch in anderen Nutztier Haltungssystemen herrschen ähnliche Bedingungen: mangelnde Hygiene, Enge und Stress fördern Infektionen. Erschwerend hinzu kommt, dass es in solchen Intensivtierhaltungen oft nicht zielführend wäre, nur einzelne, erkrankte Tiere zu behandeln. Antibiotika werden dann einer ganzen Gruppe verabreicht (Metaphylaxe). Die Untersuchungsergebnisse belegen: dieses Gesamtpaket bietet den perfekten Nährboden für die Entstehung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenten Krankheitserregern. Bessere Haltungsbedingungen für landwirtschaftlich genutzte Tiere und etwa der Einsatz gesünderer, langsamer wachsender Hühnerrassen in der Mast, wie von der europäischen Masthuhn-Initiative gefordert, können die Gesundheit der Tiere wesentlich verbessern und dadurch eine nachhaltige Reduktion des Antibiotikaverbrauchs ermöglichen.2, 3

Anmerkungen

  1. MRGN = Multiresistente Gramnegative Erreger
  2. Die AGES und der QGV Bericht verwenden unterschiedliche Datengrundlagen, weshalb sich die Zahlen für den für Geflügel für das Jahr 2022 unterscheiden. Die AGES gibt außerdem die Vertriebsmengen an, während die QGV mit den höheren Zahlen den tatsächlichen Antibiotikaeinsatz angibt.

Quellen

  1. Statistik Austria – Versorgungsbilanz für Geflügel nach Arten
  2. Albernaz-Gonçalves, R., Olmos Antillón, G., & Hötzel, M. J. (2022). Linking animal welfare and antibiotic use in pig farming—A review. Animals, 12(2), 216.
  3. Dixon, L. M. (2020). Slow and steady wins the race: The behaviour and welfare of commercial faster growing broiler breeds compared to a commercial slower growing breed. PLoS one, 15(4), e0231006.

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