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Hinweis: Der Inhalt dieses Beitrags in Wort und Bild basiert auf der Faktenlage zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung (09.06.2006)

Wien, am 09.06.2006

Kongress über Alternativen zu Tierversuchen - Linz 2006

Im Folgenden einige Beiträge vom 13. Kongress für Alternativen zu Tierversuchen zusammengefasst und kommentiert von Harald Balluch.

(Einen Bericht vom Kongress finden Sie hier)

 

Tierversuchsgesetz und Ethik-Komitees

Jan van der Valk von NCA (Netherlands Centre Alternatives to animal use) und Mitglied der Kommission aus den Niederlanden die Tierversuche beurteilt und genehmigt, schilderte seine Erfahrungen in dieser Kommission. Die EU-Richtlinie 86/609 die den Schutz von Tieren die in Versuchen oder für andere wissenschaftliche Zwecke genutzt werden regelt, werde gerade überarbeitet. Es sei zu erwarten, dass nach der Überarbeitung eine ethische Evaluierung von Versuchen durch ein Komitee auf lokaler Ebene zwingend als EU-Mindestreichtlinie vorgeschrieben werde. In den Niederlanden sei seit 1997 die ethische Bewertung und Genehmigung von Tierversuchen durch ein ExpertInnen-Komitee verpflichtend.

In Österreich ist derzeit kein vergleichbares Komitee gesetzlich vorgesehen. Eine ethische Evaluierung von Versuchen findet deshalb nicht verpflichtend statt. Die Genehmigung von Tierversuchen ist in Österreich ein rein verwaltungstechnischer Vorgang.

Roman Kolar, von der Tierschutzakademie Neubiberg, seinerseits Mitglied eines Ethik-Komitees zur Genehmigung von Tierversuchen in Bayern, schilderte seine Erfahrungen in diesem Komitee. Er machte auf die Schwierigkeit aufmerksam „Äpfel mit Birnen“ zu vergleichen. Immerhin wären vom ethischen Komitee die Interessen von Wissenschaft und Gesellschaft mit dem Leid der Tiere abzuwiegen, also zwei Dinge miteinander zu vergleichen die überhaupt keine Zusammenhang hätten. Ein großes Maß an Willkür sei daher unvermeidbar. Seiner Ansicht nach müssten im Evaluierungsprozess viel strengere Maßstäbe angesetzt werden: Sollten Zweifel bestehen, ob ein Versuch tatsächlich einen Fortschritt bringen wird, wäre im Sinne der Tiere, also gegen den Versuch, zu entscheiden. Weiters kritisierte er den fehlenden Informationsfluss. Aufgrund der Geheimhaltung höre das Komitee nach seiner Entscheidung nie wieder etwas von dem Versuch. Es wüsste also nie, ob der Versuch überhaupt durchgeführt wurde, geschweige denn, ob er ein Ergebnis brachte und wenn dann welches. Aufgrund dieses fehlenden Feedbacks wäre es unmöglich für zukünftige Entscheidungen des Komitees aus den vergangenen Entscheidungen zu lernen. Ein Fortschritt im Sinne einer verbesserten Entscheidungsfindung sei daher ausgeschlossen.

Franz P. Gruber von der Dorenkamp-Zbinden Foundation, Zürich und Susanne Schreiwiller vom Fonds für versuchstierfreie Forschung thematisierten in ihrem Poster den Status des Bürgerrechts auf Information in den deutschsprachigen Ländern. Deutschland, Österreich und die Schweiz seien die Schlusslichter Europas, wenn es um das Bürgerrecht auf Information gehe, etwa darum ob der Staat offenlege was mit den Steuergeldern passiere. In Österreich sei die Vergabe von Subventionen und Steuermitteln schlicht und einfach geheim. Während andere Länder - wie etwa Schweden seit 1766 - eine lange Tradition eines Offenlegungsprinzips der Behörden, auch genannt „Freedom of Information“ oder „The Principle of Public Access“ kennen, gäbe es so etwas in Österreich nicht. Komitees zur Genehmigung von Tierversuchen müssten deshalb den wissenschaftlichen Wert der Anträge nicht hinterfragen, da sie sich hinter dem Amtsgeheimnis verstecken könnten. Viel einfacher sei es für sie die Öffentlichkeit im Unklaren darüber zu belassen, welche Tierversuche geplant seien und was für oder gegen deren Zulassung spräche. Es wäre zumindest zu erwarten, dass die Öffentlichkeit erfährt, was mit den aus Steuermitteln bereitgestellten Forschungsgeldern geschehe und dass vor der Zulassung solcher Tierversuche über deren Berechtigung in angemessener Weise diskutiert würde.

Ziel muss es sein, auch in Österreich endlich eine bindende ethische Evaluierung im Genehmigungsverfahren von Tierversuchen durch ein entsprechend besetztes unabhängiges ExpertInnen-Komitee gesetzlich zu etablieren. Das alte Tierversuchsgesetz von 1989 muss einer Totalreform unterworfen werden. Die derzeit in den Ländern ansässigen verschiedenen Genehmigungsstellen sind zentral zusammenzuführen, um die Verwaltungsstrukturen zu vereinfachen, vor allem aber um Mehrfachversuche zu verhindern und die Anträge in einer zentralen Datenbank zu verwalten. Die Definition von Tierversuchen ist weiter zu fassen und auch die Zahlen der gezüchteten Versuchstiere in die Statistik mit aufzunehmen. Außerdem muss Schluss mit der Geheimniskrämerei in Sachen Tierversuchen gemacht werden. Art und Ergebnisse von Tierversuchen seien sie erfolgreich oder nicht, sind offen zu legen. Nur so kann sich die Öffentlichkeit und der Gesetzgeber ein Bild von den Vorgängen und der Angemessenheit von Tierversuchen machen und regulierend eingreifen.

 

Mangelhafte Übertragbarkeit auf den Menschen

Die Wissenschafter Andrew Knight (Animal Consultants International), Jarrod Bailey (Medizinische Fakultät der Universität Newcastle upon Tyne) und Jonathan Balcombe (Physicians Committee for Responsible Medicine) veröffentlichten kürzlich eine Studie zur Übertragbarkeit von Karzinogentests an Tieren auf den Menschen (ALTA Alternatives to Laboratory Animals 34 (1), 19-27, 29-38, 39-48). Sie untersuchten dafür die Datenbanken zur Karzinogenität von Chemikalien der us-amerikanischen Umweltschutzbehörde (EPA) und der Internationalen Behörde für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Es stellte sich heraus, dass die EPA in den meisten Fällen, die Daten über die Karzinogenität an Tieren als unzureichend ansehe, um eine Aussage zu treffen, ob es sich bei einer Chemikalie um ein menschliches karzinogen handle oder nicht. Bei 93 von 160 oder 58% der Chemikalien zu denen ausschließlich Daten zur Tierkarzinogenität vorlägen aber keine über Menschen, sah sich die EPA außerstande eine Klassifikation in karzinogen oder nicht karzinogen vorzunehmen. Ein Vergleich der Karzinogenitätsangaben der EPA mit denen der IARC, die eine der führenden internationalen Autoritäten in der Karzinogenitätsbeurteilung ist, zeige darüber hinaus, dass die Übertragbarkeit auf den Menschen noch schlechter wäre als aus den Zahlen der EPA hervorgehe, die offenbar irrtümlicherweise Tumore bei Tieren als Indikatoren für die Karzinogenität beim Menschen überbewerten würde. Die Autoren zählen eine Reihe von Gründen auf, die die Übertragbarkeit von Karzinogenitätstests an Tieren auf den Menschen erschweren oder verunmöglichen, darunter unter anderem die Differenzen in den Ergebnissen zwischen verschiedenen Nagetierarten (die bei weitem häufigsten Versuchstiere für Karzinogenitätstests), Stämmen und Geschlechtern, den wechselhaften aber starken Einfluss des Stresses durch Handling und Haltung der Versuchstiere, die unterschiedlichen Absorptionraten und Wege der Substanzen in den Körper und die starke Variation der Reaktionen von Organsystemen auf Karzinogene zwischen Arten aber auch zwischen Individuen. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass eine Kombination von Tests ohne der Verwendung von Tieren eine größere Sicherheit in der Vorhersagbarkeit der Karzinogenität am Menschen liefern würde. Außerdem wären derartige Serien von Tests kostengünstiger, schneller und erfordern weniger Personal. Ein rascher Wechsel hin zu mehr Investionen in die weitere Erforschung und Implementierung von tierfreien Testmethoden wäre also sowohl gerechtfertigt als auch dringend notwendig. Das Poster der Autoren zu den Schlüssen die aus ihrer Studie für REACH gezogen werden können, wurden am Kongress mit einem Poster Award ausgezeichnet.

Toni Lindl vom Institut für Applied Cell Culture Ltd. stellte seine Untersuchung der Effektivität von Tierversuchen vor. Grundlage der Studie ist eine Literaturrecherche auf Basis der Anträge biomedizinischer ForscherInnengruppen dreier bayrischer Universitäten. Lindl untersuchte, ob die in den Anträgen der WissenschafterInnen angegebenen Ziele, wie die Entwicklung neuer Therapiemethoden oder die Umsetzung in direkte klinische Verbesserungen, erreicht werden konnten. Das Ergebnis war eindeutig: Nur in 4 Publikationen bzw. 0,3% der Fälle konnte eine direkte Verbindung zwischen dem Tierversuch und den Beobachtungen am Menschen festgestellt werden, nur bei 0.3% war also eine Übertragung der Ergebnisse aus dem Tierversuch auf den Menschen erfolgreich möglich. Aber selbst in diesen 4 Fällen bzw. 0,3% habe sich herausgestellt, dass die Hypothese, die im Tierversuch erfolgreich verifiziert wurde, letztlich falsch war, weshalb die gewonnenen Erkenntnisse zu keinen medizinischen Verbesserungen führten.

 

Tiernutzung in der Ausbildung

Zu diesem Thema gab es eine eigene Section mit mehreren Vorträgen.

Siri Martinsen von InterNICHE Norwegen, sprach über ihr Studium der Veterinärmedizin, das sie erfolgreich abschloss, obwohl sie jegliche Verwendung von Tieren zu deren Schaden verweigerte. Sie argumentierte, dass es sich mit dem tiermedizinischen Ethos nicht vertrüge Tieren Schaden zuzufügen. Ihrer Meinung nach wirkt sich der rücksichtslose Umgang mit Tieren im Veterinärmedizin-Studium negativ aus. Es leide die Fähigkeit sich in ein Tier hineinzuversetzen, die aber für einen Tierarzt bzw. eine Tierärztin notwendig sei, um verlässliche Diagnosen zu erstellen. Sie schilderte ausführlich, wie es ihr eigentlich recht einfach gelang, alle Lernziele des veterinärmedizinischen Studiums auch ohne Tierschädigung zu erreichen.

David Dewhurst, ein Pharmakologe und Physiologe an der Universität Edinburgh, entwickelt bereits seit 1986 tierfreie-computerbasierte Alternativen zu tierschädigenden Methoden in der Ausbildung. Die Überlegenheit computerbasierter Ausbildungsalternativen würde in mehrfacher Hinsicht durch verschiedene Studien bestätigt. So wären diese Methoden nicht nur billiger, sondern briächten richtig angewandt auch einen größeren Lernerfolg bei den StudentInnen. Trotz der Vorteile sei die fehlende Akzeptanz beim Lehrpersonal das größte Problem bei der Verbreitung dieser Lehrmittel. Die Lehrkräfte beharrten oft auf veralteten aber gewohnten Lehrmethoden und wären nur ungern bereit sich mit modernen Lehrmitteln auseinanderzusetzen und sich in diese einzuarbeiten. David Dewhurst wurde für seine Arbeit am Kongress mit dem Thesis Award ausgezeichnet.

Nick Jukes von InterNICHE UK, wies auf die mittlerweile vorhandenen umfassenden tierfreundlichen Alternativen für praktisch alle Ausbildungszwecke hin. Auf interniche.org und eurca.org wären umfassende Datenbanken zu Ausbildungsalternativen online abrufbar. Ebenso sei das in diesem Bereich wichtigste Ressourcebook „From Guinea Pig to Computer Mouse“ bereits in 11 Sprachen frei im Internet verfügbar (arabisch, englisch, farsi, griechisch, polnisch, portugiesisch, rumänisch, russisch, tschechisch, ukrainisch, slowakisch und demnächst auch deutsch).

Es stellte sich heraus, dass bereits ausreichend ethisch verträgliche Methoden für die Ausbildung entwickelt wurden. Es mangelt aber am Interesse und dem Willen der ProfessorInnen diese überlegenen Lehrmittel auch in die universitäre Ausbildung zu integrieren.

 

Tierethik

Zu grundlegenden Frage des Lebensrechts der Tierethik waren zwei Vorträge angesetzt. Es sprachen Jörg Luy vom Institut für Tierschutz und Tierverhalten der FU Berlin und der Obmann des VGT Martin Balluch.

Jörg Luy führte aus welche Argumente bisher in der Tierethik zur Berücksichtigung von Tieren herangezogen wurden. Er traf eine Einteilung in zwei Gruppen, nämlich in EthikerInnen die das Leid von Tieren und EthikerInnen die die Interessen von Tieren ins Zentrum der Argumentation stellten. Erstere (die Leid-EthikerInnen) kämen zum Ergebnis, dass Tiere kein Lebensrecht hätten, weil der Tod bzw. das tot sein für sich genommen nicht mit Leid verbunden ist. Zweitere (die Interessen-EthikerInnen) stehen auf dem Standpunkt, dass Tiere ein Interesse daran haben am Leben zu sein, und dass die Tötung eines Tieres diesem Interesse zuwiderläuft. Sie argumentieren, dass dieses Interesse nicht leichtfertig gebrochen werden dürfe und kämen daher zum Ergebnis, dass Tiere ein Lebensrecht hätten. Luy selbst findet dieses Argument nicht schlüssig, weil Tiere wenn sie Tod sind keine Interessen mehr hätten. Da die Interessen mit dem Tier sterben, stelle somit die angst- und schmerzfreie Tötung von Tieren nach Luy kein Übel dar. Für ein Lebensrecht von nichtmenschlichen Tieren, könne man nur indirekt argumentieren (z.B. zur Verhinderung der Verrohung von Menschen). Menschen selbst hätten laut Luy nur deshalb derzeit ein Lebensrecht, weil die Gesellschaft das zwecks Konfliktvermeidung so vereinbart habe (Kontraktionalismus).

Martin Balluch, dessen Vortrag an den von Jörg Luy anschloss wies darauf hin, dass Kontrakte im Sinne von Kompromissen immer instabil wären. Verändern sich die Machtverhältnisse zwischen den Vertragsparteien, dann würden auch die Kontrakte verändern, da jedeR der VertragspartnerInnen ja auf etwas nur verzichtete, um etwas anderes dafür zu bekommen. Müsste die eine Person oder Personengruppe aufgrund eines Machtüberschusses nicht mehr befürchten, etwas zu verlieren, wenn sie den Kontrakt bricht, dann wird sie eine Änderung des Kontraktes zu ihren Gunsten erzwingen, und sei es mit Krieg oder staatlicher Exekutivgewalt. Außerdem würden in Kontrakten jene nicht oder nur ungenügend berücksichtigt, die nicht verhandeln könnten oder die keine Macht hinter sich hätten, um ihren Interessen entsprechendes Gewicht zu verleihen. Ideal wäre daher eine Ethik die einen Konsens bieten könnte - der also alle Beteiligten zustimmen könnten, weil sie deren Argumentation schlüssig und gerecht fänden. Dementsprechend dürfe eine derartige Ethik nicht auf religiösem Fundament aufbauen und müsste rationalen nachvollziehbaren Argumenten folgen. Im Folgenden skizzierte Balluch dann seine im Buch „Die Kontinuität von Bewusstsein“ entwickelte Idee einer Tierethik: Zuerst argumentierte er, dass ein Lebewesen mit Bewusstsein sich qualitativ von einem Lebewesen ohne Bewusstsein unterscheide. Bewusstsein als das Ergebnis eines Evolutionsprozesses müsse Auswirkungen auf das Handeln eines Lebewesens haben und wäre daher auch wissenschaftlich untersuchbar. Im Weiteren legte er Nahe, dass mit Bewusstsein ein freier Wille und daher Autonomie und Interessen verknüpft wären. Das Lebewesen mit Bewusstsein wertet. Weil ein bewusstes Lebewesen Dinge will und nicht will, gäbe es aus der subjektiven Sicht dieses Lebewesens ein „Gut“ und ein „Böse“. Als Grundlage aller Interessen wurden in Folge das Leben, die Unversehrtheit und die Freiheit eines Lebewesens identifiziert. Ein Lebewesen müsse sich dieser Interessen nach Leben, Unversehrtheit und Freiheit zwar nicht jederzeit bewusst sein, werte diese Güter aber implizit als gut, da sie die Vorraussetzung für die Erreichung all seiner bewusst erlebten Interessen wären. Zuletzt führte Balluch noch den Anspruch der Universalität bzw. Gerechtigkeit ein: „Was du nicht willst dass man dir tu, das füg auch keinem andren zu“ oder Kants kategorischen Imperativ. Erkenne ich also für mich, dass mein Leben, meine Unversehrtheit und meine Freiheit meine wichtigsten Güter wären und fordere daher ein Recht auf diese ein, so müsste ich selbiges auch für alle anderen Lebewesen fordern, auf die dieselben Voraussetzung ebenfalls zuträfen. Balluch kommt also zu dem Ergebnis, dass alle Lebewesen mit Bewusstsein ein Recht auf Leben, Unversehrtheit und Freiheit haben. Hier handle es sich um keinen naturalistischen Fehlschluss, da Bewusstsein zwar eine natürliche und naturwissenschaftlich untersuchbare Eigenschaft sei, die Wertung von Leben, Unversehrtheit und Freiheit aber über die subjektive Perspektive der einzelnen Lebewesen in die Argumentation der Grundrechte bewusster Lebewesen eingeflossen wäre. In der darauf folgenden Diskussion wies Balluch darauf hin, dass noch genauer untersucht werden müsse, welche Lebewesen tatsächlich über ein Bewusstsein verfügten. Außerdem entspräche das Ergebnis der ethischen Analyse einer Idealforderung und es könne durchaus sein, dass diese im realen Leben aufgrund praktischer Hindernisse nicht vollständig umsetzbar wäre.

Das Buch von DDr. Martin Balluch „Die Kontinuität von Bewusstsein“ kann im VGT-Shop bestellt werden.

 

3R und Genmanipulation

Das 3R-Prinzip (Replacement (Vermeidung), Refinement (Verfeinerung), Reduction (Verringerung)) wurde von William Russel und Rex Burch 1959 formuliert. Es bezeichnet Maßnahmen zur Reduzierung der Versuchstierzahlen und der Belastungen für Versuchstiere: Unter den Oberbegriff Replacement fasst man solche Maßnahmen, die zu einem Ersatz von Tierversuchen (etwa durch Versuche an Zellkulturen oder durch Computersimulationen) führen. Als Refinement bezeichnet man solche Versuchsansätze, die das Leiden der Versuchstiere minimieren. Und mit Reduction ist die Minimierung der Versuchstierzahl durch statistische Optimierung und ein kluges Versuchsdesign gemeint.

Wenn man die Diskussion rund um Tierversuche beobachtet, fällt auf, dass sich praktisch alle zu diesem Prinzip bekennen. Auch die rücksichtslosesten TierexperimentatorInnen betonen die Wichtigkeit und Richtigkeit dieses Konzepts. Das hat damit zu tun, dass das 3R Konzept sehr unkonkret ist und einen dementsprechend großen Interpretationsspielraum lässt. So kann schnell einmal behauptet werden, dass man sich bemühe Tierversuche zu vermeiden, die Anzahl der Tiere zu senken und das Leiden zu minimieren. Das klingt gut und wer könnte das schon widerlegen? Wie soll man jemandem beweisen, dass er sich nicht darum bemüht und zuwenig Zeit, Energie und Geld in Überlegungen und Erforschung von Alternativen investiert? Überhaupt angesichts der Tatsache, dass keine Verpflichtung besteht Tierversuche und ihre Ergebnisse (seien sie positiv oder negativ) offen zu legen, erscheint Kritik noch unmöglicher. Wenn nicht einmal das Wissen da ist, welche Versuche gemacht werden, wie soll man sie dann kritisieren oder nachweisen, dass zuwenig über Alternativen nachgedacht wurde.

Auch in der EU wird das 3R-Konzept hochgehalten. Erst im Jänner 2006 veröffentlichte die EU-Kommission gemeinsam mit europäischen industriellen Dachverbänden eine „3R-Deklaration“ zu der sich all diese Verbände bekennen. Unter anderem ist in dieser zu lesen, dass alle Industriezweige, inklusive der pharmazeutischen, chemischen, kosmetischen, agrochemischen und nahrungsmittelerzeugenden Industrie, schon jetzt dazu verpflichtet wären, verfügbare Methoden die die Verwendung von Tieren vermeiden, vermindern oder verfeinern (3R) bei Sicherheits- und Wirkungstests aufgrund der bereits existierenden EU-Richtlinie 86/609/EEC einzusetzen.

Am Kongress sprach Arianna Ferrari, die den Lehrstuhl für Ethik in den Biowissenschaften an der Universität Tübingen inne hat, über ihre Untersuchung der Verträglichkeit von der gentechnischen Veränderung von Tieren mit den 3R-Prinzipien. Sie kritisierte den großen Mangel an spezifischen Daten über den Tierverbrauch und die Belastungen für die betroffenen Tiere in den unterschiedlichen Phasen der Herstellung und Nutzung von gentechnisch veränderten Tieren. Die meisten der offiziell zur Verfügung gestellten Tierversuchsstatistiken würden keine spezifische Kategorie für gentechnisch veränderte Tiere enthalten. Außerdem fehlten bis dato Richtlinien für zur Haltung und Nutzung gentechnisch veränderter Versuchstiere. Trotz der Vielfältigkeit der Verwendung gentechnisch veränderter Versuchstiere legte sie eine sehr überzeugende Analyse auf Grundlage empirischer Daten auf Basis der 3R-Prinzipien vor.

Von Replacement, also der Vermeidung von Tierversuchen, könne durch gentechnische Veränderung überhaupt keine Rede sein, weil es sich ja auch bei gentechnisch veränderten Versuchstieren, nach wie vor um Tiere und damit Tierversuche handle. Zu einer Reduction, also einer Verminderung der Anzahl der Versuchtiere, komme es durch gentechnische Veränderung auch nicht. Vielmehr wäre aufgrund der unspezifischen Technik von einem explosionsartigen Anstieg der verwendeten Tiere auszugehen. Würde nämlich versucht eine bestimmte Gensequenz an einem bestimmten Ort des Genoms zu platzieren, so funktioniere das nur bei einem kleinen Bruchteil der Tiere. Festgestellt könne das aber erst werden, wenn die Tiere heranwüchsen, was oft mit qualvollen Missbildungen bei den „Ausschuss“-Tieren verbunden wäre. Die Herstellung derartiger Tiere die etwa als Krankheitsmodelle dienen, müsse regelmäßig wiederholt werden. Statt einer Reduction führe die gentechnische Veränderung also zwangsweise zu einem massiven Anstieg der Versuchstiere. Ein „Refinement“, also eine Verminderung des Leids der Tiere direkt im Versuch, ist gar kein erklärtes Ziel beim Einsatz gentechnisch veränderter Versuchstiere. Sollte es trotzdem in einer Versuchsanordnung „zufällig“ zu einem „Refinement“ kommen, könne das niemals die ungeheure Leidvermehrung aufwiegen, die mit der Herstellung der Versuchstiere verbunden sei. Ferrari kommt also zu dem Ergebnis, dass der Einsatz gentechnisch veränderter Tiere als Versuchmodelle grundsätzlich in Widerspruch zu den Prinzipien der 3R stehe.

Bleibt abzuwarten ob die EU-Kommission und die europäische Industrie tatsächlich zu ihrem Bekenntnis zu den Prinzipien der 3R stehen und in Zukunft Abstand von der Verwendung gentechnisch veränderter Versuchtiere nimmt.

 

Alle Abstracts zu den Beiträgen vom 13. Kongress über Alternativen zum Tierexperiment in Linz 2006 in englischer Sprache finden Sie hier:

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